Aktuell: G7 wollen notfalls "jahrelang" Waffen liefern
14. Mai 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- G7 beharren auf territorialer Integrität der Ukraine
- Scholz: Putin hat keines seiner Kriegsziele erreicht
- Sondertreffen der NATO-Außenminister in Berlin
- Baerbock bekräftigt Solidarität mit der Ukraine
- Türkei stemmt sich gegen NATO-Erweiterung
Deutschland und die anderen G7-Staaten wollen der Ukraine notfalls noch jahrelang Waffen und andere militärische Ausrüstung liefern. Das geht aus der Abschlusserklärung des Treffens der G7-Außenminister hervor. Die G7 forderten zudem Russland auf, die Blockade ukrainischer Getreideexporte zu beenden.
Russische Grenzziehungen "niemals" akzeptieren
Zuvor hatten die sieben führenden Industriestaaten des Westens versichert, die von Russland durch den Angriffskrieg in der Ukraine angestrebten neuen Grenzziehungen "niemals" zu akzeptieren. Die G7 würden ihre "Unterstützung für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine - einschließlich der Krim - und aller Staaten aufrechterhalten", erklärten die Außenminister der Gruppe im schleswig-holsteinischen Wangels. Zugleich übten sie scharfe Kritik an Belarus. Die Führung in Minsk müsse "aufhören, die russische Aggression zu ermöglichen, und ihre internationalen Verpflichtungen" einhalten.
Im Blickpunkt standen auch die globalen Auswirkungen des Konflikts. "Der russische Aggressionskrieg gegen die Ukraine sowie die einseitigen Handlungen Russlands zur Einschränkung der ukrainischen Agrarexporte führen zu scharfen Preisanstiegen auf den Rohstoffmärkten", heißt es in der Abschlusserklärung. Dies führe schon jetzt zu einer Bedrohung der "globalen Ernährungssicherheit". Die G7 forderten Russland auf, "sofort seine Attacken auf die wichtige Transport-Infrastruktur der Ukraine einzustellen, einschließlich auf Häfen, damit diese für den Export ukrainischer Agrarprodukte genutzt werden können".
Unterstützung "nicht per Knopfdruck"
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte zuvor um Geduld bei der Lieferung schwerer Waffen gebeten. Es sei Konsens, "dass wir an der Seite der Ukraine stehen müssen, damit es nicht weitere Kriegsverbrechen gibt, damit die Ukraine sich verteidigen kann", sagte Baerbock am Rande des G7-Treffens. Deutschland wie auch viele andere Bündnispartner könnten aber "nicht per Knopfdruck sofort Unterstützung" gerade im Bereich Luftverteidigung liefern, fügte die Ministerin hinzu.
Zu den Erfolgsaussichten diplomatischer Initiativen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs betonte Baerbock im Ersten Deutschen Fernsehen: "Die Diplomatie, die stirbt nie." Allerdings habe die Welt seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs am 24. Februar "auf brutale Art und Weise" erleben müssen, dass Putin keines seiner Versprechen gehalten habe.
Damit die Menschen in der Ukraine in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben könnten, müssten als allererstes die Waffen schweigen, so die Grünen-Politikerin. "Es ist so richtig und wichtig, dass der Bundeskanzler gegenüber dem russischen Präsidenten noch mal deutlich gemacht hat, dass diese Bombardierung von unschuldigen Menschen unverzüglich aufhören muss."
Scholz: Putin hat keines seiner Kriegsziele erreicht
Zweieinhalb Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sieht Bundeskanzler Olaf Scholz keinen Sinneswandel bei Kremlchef Wladimir Putin. Auf eine entsprechende Frage antwortete Scholz im Interview mit dem Nachrichtenportal "T-Online" mit "Nein". Russland habe sich in eine "dramatische Lage" manövriert, sagte der Kanzler. "Der russische Präsident muss verstehen: Seinem Land ist die Möglichkeit, vom Fortschritt der Welt zu profitieren, so lange verbaut, bis es echten Frieden gibt."
Der Kreml habe keines seiner Kriegsziele erreicht. Die Ukraine sei nicht erobert worden, sondern verteidige sich "mit viel Geschick, Mut und Aufopferungswillen". Die NATO habe sich nicht zurückgezogen, sondern ihre Kräfte an der östlichen Flanke verstärkt - und sie werde noch stärker, wenn Finnland und Schweden ihr beiträten.
Das russische Militär selbst habe höhere Verluste erlitten als in den zehn Jahren des Afghanistan-Feldzugs der Sowjetunion. Scholz sagte: "Langsam sollte Putin klar werden, dass ein Ausweg aus dieser Situation nur über eine Verständigung mit der Ukraine führt." Eine Vereinbarung könne allerdings kein Diktatfrieden Russlands sein. Scholz hatte am Freitag mehr als eine Stunde lang mit Putin telefoniert.
EU-Kommission erwägt Gaspreis-Deckel
Die EU-Kommission will offenbar bei einem vollständigen Ausfall russischer Gaslieferungen die Preise für Verbraucher deckeln. Die "Welt am Sonntag" zitiert aus einem Kommissionspapier zu "kurzfristigen Energiemarkt-Interventionen". Darin werde den Mitgliedstaaten vorgeschlagen, eine Preisobergrenze für Erdgas einzuführen. Mit der Deckelung sollten die Abnehmer vor einer Kostenexplosion geschützt werden. Eine solche Intervention erforderte von staatlicher Seite jedoch hohe Summen. Dem Blatt zufolge werden die Preisobergrenzen innerhalb der Bundesregierung kritisch gesehen.
Selenskyj: "Viel mehr Druck erforderlich"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangt mehr Druck der internationalen Gemeinschaft auf Moskau. "Mit jedem Tag des Krieges nehmen die globalen Bedrohungen zu, gibt es eine neue Gelegenheit für Russland, Instabilität in anderen Teilen der Welt zu provozieren, nicht nur hier in Europa".
Derweil stürben aber in der Ukraine Männer und Frauen, "die ihr Bestes geben, damit alle Menschen frei leben können". Daher sei "viel mehr Druck auf Russland erforderlich", sagte Selenskyj in einer neuen Videoansprache. Dennoch gebe es Länder, in denen Sanktionen gegen Moskau zurückgehalten würden oder Hilfe für die Ukraine blockiert werde, kritisierte der Staatschef. Konkret nannte er jedoch kein Land beim Namen.
"Tatsächlich kann heute niemand vorhersagen, wie lange dieser Krieg dauern wird", so Selenskyj weiter. "Aber wir tun alles, um unser Land schnell zu befreien. Das ist unsere Priorität - jeden Tag daran zu arbeiten, den Krieg zu verkürzen." Dazu aber brauche die Ukraine die Hilfe ihrer Partner, "aus europäischen Ländern, aus den Ländern der ganzen freien Welt".
Flüchtlingsansturm aus der Ukraine lässt nach
Bundesinnenministerin Nancy Faeser geht von einer Rückkehr der meisten Ukraine-Flüchtlinge in ihre Heimat aus. Über die polnisch-ukrainische Grenze kehrten inzwischen täglich 20.000 Geflüchtete zurück in ihr Land - auch aus Deutschland, sagte sie der Zeitung "Rheinische Post". Daran sehe man, "wie groß der Wunsch zur Rückkehr ist". Nur ein Teil werde bleiben, "wenn die Menschen die Chance sehen, mit ihrer Qualifikation auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen".
Die Ministerin verwies auch auf einen deutlichen Rückgang der Zahl täglicher Neuankömmlinge. Derzeit kämen pro Tag ungefähr 2000 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland an. Mitte März seien es 15.000 gewesen. Es bleibe dennoch "eine große humanitäre Kraftanstrengung, die geflüchteten Frauen, Kinder und alten Menschen bestmöglich zu versorgen", betonte Faeser.
Pentagon-Chef spricht mit Moskauer Kollegen
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat erstmals seit Beginn des Kriegs in der Ukraine mit seinem russischen Kollegen Sergej Schoigu telefoniert. In dem rund einstündigen Gespräch habe Austin einen sofortigen Waffenstillstand verlangt, teilte das US-Verteidigungsministerium mit. Austin habe auch betont, wie wichtig es sei, die Kommunikationskanäle zwischen Russland und den USA offenzuhalten. Der russische Machtapparat hatte zuletzt beklagt, dass es keine Kontakte zwischen Moskau und Washington mehr gebe. Austin soll sich längere Zeit aber vergeblich um ein Telefonat mit Schoigu bemüht haben.
USA begrüßen NATO-Erweiterung
Die US-Regierung hat sich für einen NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens ausgesprochen. Ein formeller Mitgliedsantrag der beiden Länder wäre ein "weiterer Beweis für die strategische Fehlkalkulation" des russischen Präsidenten, sagte Karen Donfried, eine Top-Diplomatin des Außenministeriums in Washington. Finnland und Schweden sind schon enge Partner der westlichen Allianz, waren aber traditionell bündnisfrei.
Die finnische Staatsführung hat bereits angekündigt, sie wolle einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO stellen. Mit einer entsprechenden Entscheidung Schwedens wird am Sonntag gerechnet.
In der Debatte um einen möglichen NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die engen Beziehungen des Militärbündnisses zu den beiden nordischen Ländern hervorgehoben. Im Vorfeld des NATO-Außenministertreffens in Berlin, habe er mit dem finnischen Außenminister Pekka Haavisto und der schwedischen Außenministerin Ann Linde gesprochen, twitterte Stoltenberg. Der NATO-Generalsekretär führte demnach auch Gespräche mit der Türkei, die Einwände gegen einen NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens vorgebracht hatte.
Türkei verschließt sich nicht der NATO-Erweiterung
Kurz vor dem Sondertreffen der NATO-Außenminister scheinen die Wogen über einen Dissenz zwischen der Türkei sowie Finnland und Schweden zumindest etwas geglättet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ über einen Sprecher erklären, die Türkei verschließe unabhängig von ihrer Kritik an Finnland und Schweden nicht die Tür für deren NATO-Beitritt.
Der finnische Außenminister Haavesto kündigte bei seiner Ankunft am Tagungsort in Berlin an, er werde noch im Lauf des Abends mit seinem türkischen Kollegen Mevlut Cavusoglu zusammenkommen, um Ungereimtheiten aus dem Weg zu räumen. "Ich bin sicher, wir werden eine Lösung finden", sagte Haavesto. Er habe mit seinem "guten Kollegen" Cavusoglu bereits am Freitag telefoniert.
Cavusoglu hatte zuvor die Bedenken seines Landes gegen einen NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands bekräftigt. Die beiden Länder unterstützten "offen" die "Terrororganisationen" Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und YPG, sagte Cavusoglu vor Beginn des NATO-Außenministertreffens in Berlin. Die türkische Bevölkerung sei mehrheitlich gegen eine NATO-Mitgliedschaft von Ländern, die "diese Terrororganisationen unterstützen".
"Bittere Realitäten" in Mariupoler Stahlwerk
Die Verhandlungen über einen freien Abzug der im Werk Azovstal in Mariupol eingekesselten ukrainischen Kämpfer gestalten sich nach Darstellung Kiews "äußerst schwierig". Sie teile "die Angst und Sorge der Menschen, die den Verteidigern der Festung nahestehen", sagte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Doch es herrsche Krieg. "Und im Krieg geschehen keine Wunder, es gibt nur bittere Realitäten."
Wereschtschuk bemüht sich seit Tagen mit Hilfe der UN und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, mit der russischen Seite über einen möglichen Ausweg für die auf dem Werksgelände verschanzten ukrainischen Truppen zu sprechen. Das russische Militär lehnt bisher jedes Zugeständnis ab und fordert deren Kapitulation. Nach ungenauen Schätzungen halten sich in dem weitläufigen Werk noch rund 1000 ukrainische Kämpfer auf, viele von ihnen verwundet.
Sanktionen treiben russische Inflation an
Angesichts der Sanktionen des Westens ist Russlands Inflation auf den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten gestiegen. Die jährliche Inflationsrate habe im April 17,8 Prozent erreicht, teilte die russische Statistikbehörde Rosstat mit. Bei den Lebensmittelpreisen lag die Teuerungsrate demnach sogar über 20 Prozent. Kremlchef Putin hatte am Donnerstag versichert, mit seinen Sanktionen schade der Westen mehr sich selbst als Russland. Sein Land sei widerstandsfähig gegenüber "äußeren Herausforderungen".
Riga beschließt Monument-Demontage
Die Stadtverwaltung von Riga hat die Entfernung von Lettlands letztem Denkmal aus Sowjetzeiten beschlossen. Der Stadtrat beauftragte die Denkmalbehörde, das 79 Meter hohe Monument zu Ehren der Roten Armee abzureißen. "Die Abrissarbeiten werden nicht billig, denn das Denkmal ist aus Stahlbeton und besteht aus mehreren riesigen Skulpturen", hob Rigas Bürgermeister Martins Stakis hervor.
Das Denkmal war von 1979 bis 1985 errichtet worden, um an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland zu erinnern. Jedes Jahr am 9. Mai versammeln sich dort tausende Mitglieder von Lettlands russischer Minderheit, um an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Verdienste der Sowjetunion darum zu erinnern. Die meisten Letten sehen im 9. Mai 1945 aber zugleich den Beginn einer fast 50-jährigen sowjetischen Herrschaft über Lettland. Erst 1991 wurde der baltische Staat unabhängig.
wa/bru/jj/as (dpa, afp, rtr, kna)
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