EU-Kritik an Gas-Importen verärgert Wien
7. September 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- EU-Kritik an Gas-Importen aus Russland verärgert Österreich
- Früherer Förderer von Selenskyj wegen Korruptionsverdacht angeklagt
- NATO-Generalsekretär: Ukraine auf dem Vormarsch
- Bericht: Europa überholt USA bei Hilfszusagen für Ukraine
- Blinken: Fast ein Drittel der Ukraine mit Minen und Sprengsätzen verseucht
Die Kritik eines hochrangigen EU-Vertreters an Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas hat diplomatische Spannungen mit der Alpenrepublik ausgelöst. Martin Selmayr, der Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, soll die österreichischen Gas-Zahlungen an das kriegsführende Russland als "Blutgeld" bezeichnet haben. Als Reaktion zitierte das Außenministerium in Wien den deutschen EU-Diplomat zu einem Gespräch, wie eine Ministeriumssprecherin bekannt gab.
Selmayr hatte bei einer Diskussionsveranstaltung am Mittwochabend in Wien kritisiert, dass Österreich weiterhin rund 60 Prozent seiner Gaslieferungen aus Russland beziehe. Das niemand dagegen protestiere wundere ihn. Wörtlich sagte Selmayr laut der Nachrichtenagentur APA: "Blutgeld wird jeden Tag mit der Gasrechnung nach Russland geschickt." Als reiches Land könne Österreich wie andere Staaten ohne russisches Gas auskommen, meinte er.
Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler von der konservativen ÖVP kritisierte Selmayrs Äußerungen als "völlig einseitig", "unseriös und kontraproduktiv" und verwies auf Österreichs laufende Bemühungen. Die Regierung plant, bis 2027 aus russischem Gas auszusteigen. Die Energiesprecherin der liberalen Neos gab laut APA Selmayr Recht. Die rechtspopulistische FPÖ griff den EU-Vertreter scharf an und forderte dessen Abberufung aus Wien.
Früherer Förderer von Selenskyj wegen Korruptionsverdacht angeklagt
Der einflussreiche ukrainische Oligarch und frühere Förderer von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Ihor Kolomojskyj, ist wegen Betrugsverdacht angeklagt worden. Wie das Nationale Antikorruptionsbüro (NACB) erklärte, werde Kolomojskyj verdächtigt, Gelder einer von ihm mitgegründeten Bank veruntreut zu haben. Demnach gehe es um einen Betrag von mehr als 9,2 Milliarden ukrainische Griwna, umgerechnet rund 233 Millionen Euro. Laut NACB soll es fünf weitere Verdächtige in dem Fall geben.
Kolomojskyj war bereits am vergangenen Wochenende auf Anordnung eines Gerichts wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche festgenommen und für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen worden. Der 60-Jährige zählte einst zu den reichsten Männern der Ukraine. Unter anderem besaß er einen der einflussreichsten Fernsehsender des Landes. In diesem machte Selenskyj als Schauspieler in einer Comedy-Sendung Karriere. Später unterstützte Kolomojskyj den Wahlkampf von Selenskyj. Der jetzige Präsident hat erklärt, keine persönlichen Beziehungen zu Kolomojskyj zu pflegen.
NATO-Generalsekretär: Ukraine auf dem Vormarsch
Die ukrainische Gegenoffensive kommt nach Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg voran. Die ukrainischen Streitkräfte hätten russische Verteidigungslinien durchbrechen können, "und sie rücken vor", sagte Stoltenberg bei einer Anhörung im EU-Parlament in Brüssel. Die Gefechte seien schwierig und sehr heftig. Die Erfolge zeigten jedoch, wie wichtig die Unterstützung der NATO sei.
Die ukrainische Armee käme zwar langsamer voran als erhofft, sie erziele aber Geländegewinne von etwa hundert Metern pro Tag. Stoltenberg betonte: "Und wir dürfen den Anfang nicht vergessen: Zu Beginn war die russische Armee die zweitstärkste der Welt. Nun ist sie die zweitstärkste in der Ukraine".
Bei ihrer Gegenoffensive hatte die Ukraine eigenen Angaben zufolge in den vergangenen Tagen eine wichtige russische Verteidigungslinie in der Region Saporischschja im Süden des Landes durchbrochen. Kiew räumte jedoch ein, dass die im Juni begonnene Offensive langsamer vorankommt als erwartet. Frontalangriffe waren durch die dichten Minenfelder der Russen ins Stocken geraten.
Ehemaliger US-Sonderbeauftragter Volker: Ukrainer gehen methodisch vor
Der ehemaligen US-Botschafter bei der NATO und ehemalige US-Sonderbeauftragte für die Ukraine, Kurt Volker, bewertet das Vorgehen der ukrainischen Armee bei ihrer Gegenoffensive als "sehr effektiv". "Russland hat massive Minenfelder und Panzerfallen und andere Formen des Verteidigungsschutzes für seine besetzten Gebiete geschaffen. Und die Ukrainer gehen dabei sehr vorsichtig und methodisch vor", sagte Volker im Interview mit der DW. "Sie schützen ihre Leute. Sie werfen sie nicht wie Kanonenfutter an die Frontlinie."
Dadurch kämen die Truppen zwar nur langsam voran, doch das Vorgehen sei erfolgreich. Die Ukraine greife Russlands logistische Versorgungswege an und dringe in einigen Gebieten ohne Luftunterstützung und Artillerie mit großer Reichweite durch die ersten russischen Minengürtel vor. Ein entscheidender Punkt wäre erreicht, wenn es den Truppen Kiews gelänge, die besetzte Krim von der Landverbindung nach Russland abzuschneiden, sowohl im Süden der Ukraine als auch über die Brücke über die Straße von Kertsch.
Bericht: Europa überholt USA bei Hilfszusagen für Ukraine
Die europäischen Hilfszusagen für die Ukraine summieren sich nach Zahlen des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) inzwischen auf 156 Milliarden Euro. Die Summe liege damit mehr als doppelt so hoch wie die Zusagen der USA von weniger als 70 Milliarden, berichtete das IfW aus seinem "Ukraine Support Tracker". Die USA bleiben für Kiew aber weiter die wichtigste Quelle für die Unterstützung mit Munition und Waffen.
Für die Finanzierungszusagen aus Europa zählt das Institut versprochene Mittel der Europäischen Union, ihrer Mitgliedsstaaten und von Nicht-EU-Staaten wie Großbritannien oder Norwegen zusammen. Allein ein neuer Hilfstopf der EU, die sogenannte Ukraine-Faszilität, umfasse 50 Milliarden Euro für die Jahre 2023 bis 2027. Zu weiteren Zusagen für mehrjährige Unterstützung zähle ein deutsches Militärpaket im Wert von 10,5 Milliarden Euro für die Jahre 2024 bis 2027. Daneben nennt das IfW mehrjährige Programme aus Norwegen, Dänemark, Großbritannien, der Schweiz, Schweden, Portugal und Litauen.
Blinken: Fast ein Drittel der Ukraine mit Minen und Sprengsätzen verseucht
US-Außenminister Antony Blinken hat am zweiten Tag seines Ukraine-Besuchs von den USA gespendete Überwachungsdrohnen und gepanzerte Fahrzeuge bei Kiew besichtigt. "Für die ukrainischen Grenztruppen und die Polizei - mit Bewunderung für Ihren außergewöhnlichen Mut und den Dienst für Ihr Land und unsere Partnerschaft", schrieb Blinken in ein Gästebuch, wie der der Nachrichtensender CNN am Donnerstag meldete. Zudem habe er ein Minenräumungszentrum besucht.
Laut dem US-Außenminister ist derzeit fast ein Drittel des ukrainischen Territoriums vermint oder durch anderen Sprengsätze verseucht. Aber die Ukrainer kämen zusammen, um die Sprengsätze und Minen "loszuwerden und das Land buchstäblich zurückzugewinnen", sagte Blinken. Washington sei "stolz" darauf, die Ukraine in ihren Anstrengungen zu unterstützen, "der Aggression entgegenzutreten, während sie sich erholt und wieder aufbaut". Die Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Volkes sei außergewöhnlich, betonte Blinken.
USA liefern der Ukraine panzerbrechende Uranmunition
Die USA werden der Ukraine erstmals panzerbrechende Uranmunition liefern. Das Verteidigungsministerium in Washington kündigte ein neues Rüstungspaket für Kiew im Umfang von 175 Millionen Dollar (rund 163 Millionen Euro) an. Darin enthalten ist Munition vom Kaliber 120 Millimeter mit abgereichertem Uran für die im Januar zugesagten US-Kampfpanzer vom Typ Abrams. 31 Stück der schweren Panzer hatte US-Präsident Joe Biden versprochen. Bislang wurde aber noch kein Abrams-Panzer an die Ukraine geliefert.
Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt, das bei der Anreicherung von Uran für den Einsatz in Atomkraftwerken oder bei der Herstellung von Atomwaffen entsteht. Durch seine extreme Dichte haben die Geschosse eine sehr hohe Durchschlagskraft.
Uranmunition ist giftig und sehr umstritten
Der Einsatz von Uranmunition oder auch DU-Munition (englisch: depleted uranium) ist nach internationalem Recht nicht verboten. Er ist aber umstritten, weil das Metall giftig ist - sowohl für die Soldaten als auch für Menschen, die im Kriegsgebiet leben.
Russland kritisierte das Vorhaben als "unmenschlich". "Die Entscheidung der US-Regierung, Waffen mit abgereichertem Uran zu liefern, ist ein Zeichen der Unmenschlichkeit", erklärte die russische Botschaft in Washington im Kurznachrichtendienst Telegram. "Es ist klar, dass Washington mit seiner Idee, eine 'strategische Niederlage' herbeizuführen, bereit ist, nicht nur bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, sondern auch ganze Generationen auszulöschen."
Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Nach Angaben des Pentagons haben die USA seit Beginn des Angriffskriegs Ende Februar 2022 militärische Hilfe im Umfang von mehr als 43 Milliarden US-Dollar (rund 40 Milliarden Euro) für Kiew bereitgestellt oder zugesagt.
Baerbock spricht von Angriff "auf die Menschlichkeit"
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat den russischen Beschuss eines Marktplatzes in der Ostukraine, bei dem am Mittwoch mindestens 17 Zivilisten getötet worden waren, als Angriff "auf die Menschlichkeit" verurteilt. "Der brutale Angriff auf unschuldige Menschen, die friedlich auf einem Markt einkaufen, verdeutlicht: Dieser Angriff ist ein Angriff auf das Völkerrecht, auf die Menschlichkeit", erklärte Baerbock im Onlinedienst X (vormals Twitter). "Wir stehen an der Seite der Ukraine."
Bei dem Bombardement im Zentrum der Stadt Kostjantyniwka wurden nach ukrainischen Angaben auch 32 Menschen verletzt. Die Stadt mit rund 70.000 Einwohnern liegt nahe der Kriegsfront in der Industrieregion Donezk. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland einen vorsätzlichen Angriff auf Zivilisten vor. Der Kreml in Moskau betont stets, es würden nur militärische Ziele angegriffen.
Türkei will angeblich russisches Getreide weiterleiten
Die Türkei hat sich nach Angaben der Regierung in Moskau dazu bereit erklärt, eine Million Tonnen russisches Getreide umzuschlagen. "Alle grundsätzlichen Vereinbarungen sind getroffen worden", erklärte der stellvertretende Außenminister Alexander Gruschko laut der Nachrichtenagentur Interfax. Demnach soll sich die Türkei um den Weitertransport des Getreides kümmern. Mit finanzieller Unterstützung Katars soll es dann zu ermäßigten Preisen an afrikanische Staaten geliefert werden.
Russland hatte im Juli die Verlängerung des von der Türkei und den Vereinten Nationen vermittelten Abkommens mit der Ukraine über den Transport von Getreide über sichere Passagen im Schwarzen Meer verweigert. Die Ukraine und Russland gehören zu den größten Getreideexporteuren weltweit, sie haben maßgeblichen Einfluss auf die Weltmarktpreise. Vor allem arme afrikanische Länder sind durch die gestiegenen Importpreise des Grundnahrungsmittels unter Druck geraten.
Russland und Ukraine attackieren sich gegenseitig mit Drohnen
Zum vierten Mal innerhalb von fünf Tagen hat Russland ukrainischen Angaben zufolge das Gebiet um den Donauhafen Ismajil angegriffen. Bei den dreistündigen nächtlichen Attacken seien zivile und Hafeninfrastruktur sowie ein Fahrstuhl und ein Verwaltungsgebäude beschädigt worden, teilte der Regionalgouverneur von Odessa, Oleg Kiper, im Onlinedienst Telegram mit. Der Donauhafen Ismajil unweit der Grenze zu Rumänien ist seit dem Austritt Russlands aus dem Getreideabkommen im Juli zu einem der wichtigsten Exporthäfen für ukrainisches Getreide geworden.
Auch Russland meldet Drohnenangriffe auf westrussischem Gebiet. Das russische Militär und Gouverneur Alexander Bogomas berichteten über den Abschuss von drei ukrainischen Drohnen in der Region Brjansk. "Durch die herabstürzenden Trümmer eines Flugapparats wurden teilweise die Verglasung des Bahnhofsgebäudes, der Bahnhofsvorplatz und einige Autos beschädigt", teilte Bogomas auf seinem Telegram-Kanal mit.
fab/se/wa/sti/ww/uh (rtr, dpa, afp, ap)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.