Aktuell: EU billigt neue Sanktionen gegen Russland
5. Oktober 2022Das Wichtigste in Kürze:
- EU-Staaten bringen neues Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg
- Von der Leyen offen für generellen Gaspreisdeckel
- Ukrainische Armee verzeichnet offenbar weitere Geländegewinne
- Streit um besetztes Atomkraftwerk Saporischschja spitzt sich zu
- USA sagen der Ukraine weitere 625 Millionen Dollar Militärhilfe zu
Das achte Sanktionspaket der Europäischen Union seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine durchläuft noch ein abschließendes Genehmigungsverfahren und soll am Donnerstag in Kraft treten. Das teilte die tschechische Ratspräsidentschaft mit. Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten unter anderem die rechtlichen Voraussetzungen für einen von den G7-Staaten unterstützten Preisdeckel für Ölimporte aus Russland.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das Paket Mitte vergangener Woche als Reaktion auf die jüngste Eskalation Russlands im Krieg gegen die Ukraine vorgeschlagen. "Wir akzeptieren weder die Scheinreferenden noch irgendeine Art von Annexion in der Ukraine", sagte die deutsche Politikerin. Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte kurz darauf vier besetzte ukrainische Gebiete zu russischem Staatsgebiet. International wird dieser Schritt nicht anerkannt. Auch die Staats- und Regierungschefs der EU erklärten die Entscheidung für nichtig.
Teil der Grundsatzeinigung sind Exportverbote, die etwa bestimmte Schlüsseltechnologien für die Luftfahrt betreffen. Zudem soll es ein Importverbot für bestimmten Stahlsorten aus Russland geben. Auch soll es EU-Bürgern künftig verboten sein, Sitze in Führungsgremien russischer Staatsunternehmen einzunehmen. Dafür hatte sich vor allem die Bundesregierung eingesetzt, nachdem Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lange Aufsichtsratschef des russischen Ölkonzerns Rosneft gewesen war. Ferner werden Personen, die bei den Scheinreferenden in den mittlerweile durch Russland annektierten Gebieten auf ukrainischem Gebiet geholfen haben, mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt.
Von der Leyen kann sich generellen Gaspreisdeckel vorstellen
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich offen für einen grundsätzlichen Preisdeckel auf Erdgas gezeigt. "Eine solche Obergrenze für die Gaspreise muss so gestaltet sein, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet ist", sagte die CDU-Politikerin im Straßburger Europaparlament. Zudem müsse es eine vorübergehende Maßnahme sein, "bis wir einen neuen EU-Preisindex entwickelt haben, der ein besseres Funktionieren des Marktes gewährleistet".
Einen solchen Preisdeckel hatte zuletzt mehr als die Hälfte der EU-Staaten gefordert. Deutschland und andere Staaten sind jedoch skeptisch und argumentieren, dass dadurch womöglich nicht mehr ausreichend Gas in die Europäische Union geliefert werden würde. Von der Leyen betonte, die Versorgungssicherheit müsse gewährleistet werden, dies sei aber ein schmaler Grat.
Ihr Vorstoß ist Teil eines Fahrplans, den sie eigenen Angaben zufolge in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs für den EU-Gipfel am Freitag schicken will. Teil davon werde auch sein, als ersten Schritt einen Gaspreisdeckel nur für jenes Gas vorzuschlagen, das zur Stromerzeugung genutzt wird. Inzwischen beziehen die EU-Staaten immer weniger russisches Gas. Die russischen Gaslieferungen seien von 41 Prozent auf 7,5 Prozent der gesamten Einfuhren zurückgegangen, so von der Leyen. Die Gasspeicher seien fast zu 90 Prozent gefüllt - 15 Prozent mehr als zu diesem Zeitpunkt im Vorjahr. Außerdem habe man den Gasverbrauch um 10 Prozent gesenkt.
Ukrainische Armee rückt offenbar weiter vor
Die Ukraine meldet weitere Erfolge im Kampf gegen die russische Armee bei ihrer Gegenoffensive. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in seiner abendlichen Videobotschaft von "guten Nachrichten". "Die ukrainische Armee dringt ziemlich schnell und kraftvoll vor bei der gegenwärtigen Verteidigungsoperation im Süden unseres Landes." Es seien Ortschaften in den Gebieten Cherson, Charkiw, Luhansk und Donezk wieder unter ukrainische Kontrolle gebracht worden. Selenskyj nannte namentlich acht zurückeroberte Ortschaften im Süden der Region Cherson. Auch russische Quellen räumten ein, der Ukraine seien "gewisse Vorstöße" gelungen. Konkret wurden dabei die Siedlungen Dutschany und Dawydiw Brid genannt. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich unabhängig kaum überprüfen.
Nach Ansicht britischer Geheimdienste bereitet die fortschreitende Gegenoffensive der Ukraine Russland aber zumindest Probleme bei der Versorgung seiner eigenen Truppen. So seien ukrainische Einheiten in der nordöstlichen Region Charkiw bis zu 20 Kilometer hinter den Fluss Oskil in die russische Verteidigungszone vorgedrungen, erklärte das Verteidigungsministerium in London. Damit näherten sich die Truppen einem Versorgungsknotenpunkt in der Stadt Swatowe.
Die Ukraine könne mit ihren Waffensystemen nun mutmaßlich eine wichtige Straße in der Region beschießen und damit die Möglichkeiten der Russen einschränken, ihre Truppen im Osten mit Nachschub zu versorgen.
Die Geheimdienste gehen davon aus, dass der ukrainische Vormarsch auf die Grenzen des Gebiets Luhansk für die russische Führung besorgniserregend sein dürfte, nachdem diese die Region in der vergangenen Woche annektiert hat. Der völkerrechtswidrige Schritt wird von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt.
Russland will von der Ukraine zurückeroberte Gebiete nicht aufgeben
Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Mittwochvormittag mit einer Unterschrift den völkerrechtswidrigen Anschluss der Gebiete Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk abgeschlossen. Damit sind neue Gesetze, die die Integration der Regionen in russisches Staatsgebiet vorsehen, nun in Kraft getreten. Putin sagte nach der Unterzeichnung im russischen Fernsehen, er erwarte, dass sich die Lage in den vier neuen Regionen bald "stabilisieren" werde. Er fügte hinzu, dass Russland trotz der aktuellen Situation großen Respekt gegenüber der ukrainischen Bevölkerung hege.
Mit Blick auf die jüngsten Gefechte hieß es aus dem Kreml, Russland werde sich die von der Ukraine zurückeroberten Gebiete in den bereits für annektiert erklärten Regionen zurückholen. "Sie werden für immer zu Russland gehören", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Er bezog sich damit auf Teile von Gebieten, die Russland völkerrechtswidrig annektiert hat, die aber unter der Kontrolle ukrainischer Truppen sind.
Bestimmte Gebiete müssten noch eingenommen werden, sagte Peskow mit Blick auf die Gegenoffensive des Nachbarlandes. "Wir werden uns mit der Bevölkerung beraten, die mit Russland leben möchte." Zur Größe der annektierten Gebiete erklärte der Sprecher, es gehe momentan um die zum Zeitpunkt der Aufnahme der Regionen in die Russische Föderation gültigen Grenzen.
UN-Menschenrechtskommissariat nimmt Stellung zu Moskaus Annexions-Politik
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte erwartet eine Verschlechterung der Menschenrechtslage für die Ukrainer in den nach Moskauer Lesart jetzt zum russischen Staatsgebiet zählenden besetzten Gebieten im Süden und Osten des Landes. Durch die "angebliche Annexion" trage Russland dazu bei, den Konflikt zu verschärfen und die "damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen zu verschlimmern", sagte Christian Salazar Volkmann vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf bei der Vorstellung eines Berichts über die Lage in der Ukraine.
Bereits jetzt lägen dem Hochkommissariat Beweise für eine "Reihe von Verletzungen des Rechts auf Leben, Freiheit und Sicherheit" in der Ukraine vor. Die Annexion trenne "willkürlich" Familien und habe "konkrete Auswirkungen" auf die Menschenrechte "auf beiden Seiten der neu gezeichneten Grenzen". Durch den Anschluss besetzter Gebiete an Russland würden zudem die Meinungs- und Religionsfreiheit gefährdet und der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Arbeitsmarkt und sozialen Diensten eingeschränkt.
34. Bericht über die Lage in der Ukraine seit Kriegsbeginn
Als Folge des russischen Angriffskriegs hätten die Menschen in der ganzen Ukraine "unsägliches Leid und Zerstörung" erlitten, sagte Salazar Volkmann bei der Vorstellung eines neuen Berichts des UN-Hochkommissariats über die Lage in dem Land. Die Menschenrechtslage sei infolge des groß angelegten russischen Angriffs katastrophal. Es gebe "verstörende Berichte" über Menschenrechtsverletzungen gegen inhaftierte Zivilisten und Kriegsgefangene. Gezielte Verschleppungen und willkürliche Festnahmen seien in von russischen und pro-russischen Kräften kontrollierten Gebieten inzwischen "weit verbreitet", ergänzte er.
Der nun vorgestellte Bericht des UN-Hochkommissariats ist der 34. über die Lage in der Ukraine. Er beschäftigt sich mit dem Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli und somit vor allem mit den ersten Monaten des am 24. Februar begonnenen russischen Angriffskriegs.
UN-Vollversammlung tritt am Montag zusammen
Die UN-Vollversammlung befasst sich am kommenden Montag in einer Dringlichkeitssitzung mit der Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland. Die Sitzung in New York wurde von der Ukraine und Albanien beantragt.
Russland hatte am vergangenen Freitag im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Annexion der ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja mit seinem Veto verhindert. Russland stimmte dabei als einziges der 15 Ratsmitglieder gegen den Entwurf, der die vorausgegangenen "Referenden" in der Ukraine für einen Anschluss an Moskau als "illegal" einstufte. Zehn Sicherheitsratsmitglieder stimmten für den Text, vier Staaten - China, Indien, Brasilien und Gabun - enthielten sich. In der UN-Vollversammlung hat Russland kein Veto-Recht. Derzeit wird ein neuer Resolutionsentwurf erarbeitet.
Offenbar neue Massengräber entdeckt
In der vor kurzem von der ukrainischen Armee zurückeroberten Stadt Lyman sind ukrainischen Medien zufolge Gräber von mehr als 50 Zivilisten gefunden worden. "Die Russen haben Gräber ausgehoben und Personen, die sie der Kollaboration mit dem ukrainischen Militär verdächtigten, gezwungen, die Leichen der Toten für die Umbettung einzusammeln", berichtete der ukrainische Internet-Fernsehsender Hromadske mit. Dazu präsentierte er Fotos der Grabstätte.
Nach Angaben des Mediums sind einige Opfer durch den Beschuss der Stadt ums Leben gekommen. Lyman war im Mai nach intensiven Kämpfen von russischen Truppen eingenommen und Anfang Oktober nach ebenfalls schweren Gefechten zurückerobert worden.
Streit um AKW Saporischschja spitzt sich zu
Russland stellt das von russischen Soldaten besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja offiziell unter die Aufsicht russischer Behörden. Durch ein von Präsident Putin unterzeichnetes Dekret geht die Anlage, die weiterhin von ukrainischem Personal betrieben wird, in russischen Staatsbesitz über. Der ukrainische Chef des Kraftwerks, Ihor Muraschow, war am Freitag von russischen Truppen festgenommen worden. Mittlerweile ist er nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die mit mehreren Experten vor Ort ist, wieder bei seiner Familie.
Die ukrainische Betreibergesellschaft Energoatom widersprach dem russischen Beschluss und erklärte, alle wichtigen Entscheidungen zur Zukunft der Anlage würden weiterhin in der ukrainischen Firmenzentrale und unter ukrainischem Recht getroffen. Energoatom-Präsident Petro Kotin forderte die Belegschaft in Saporischschja außerdem dazu auf, keine Verträge mir russischen Institutionen abzuschließen.
Wegen der aktuellen Entwicklungen rund um das Kraftwerk, ist IAEA-Chef Rafael Grossi nach Kiew gereist. Unbestätigten Angaben zufolge will er im Anschluss an sein Treffen mit Vertretern der Ukraine auch nach Moskau reisen. Die IAEA fordert die schnellstmögliche Einrichtung einer Sicherheitszone rund um das Atomkraftwerk. Der wiederholte Beschuss der Anlage hat international Angst vor einer Atomkatastrophe ausgelöst.
USA sagen Ukraine weitere Militärhilfe zu
US-Präsident Joe Biden hat dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj nach Angaben des Weißen Hauses in einem Telefonat weitere Unterstützung in Höhe von 625 Millionen Dollar zugesagt. Zu dem Paket gehörten Raketenwerfersysteme vom Typ Himars, Artilleriesysteme, Munition und Panzerfahrzeuge, teilte das US-Präsidialamt mit. Biden habe Selenskyj eine dauerhafte militärische Unterstützung zugesichert. Die Ukraine müsse sich gegen die russische Aggression verteidigen können. Zudem habe Biden deutlich gemacht, dass die USA die russische Annexion von ukrainischem Gebiet nie anerkennen würden.
Ukrainischer Notenbankchef reicht Rücktritt ein
Der ukrainische Zentralbankchef Kyrylo Schewtschenko hat unerwartet seinen Rücktritt eingereicht. "Aus gesundheitlichen Gründen, die ich nicht länger ignorieren kann, habe ich eine schwierige Entscheidung für mich getroffen", heißt es in einer Erklärung. Die Zentralbank werde weiter die Grundlage der Wirtschaftserholung in der Nachkriegszeit bilden. "Diejenigen, die nach mir kommen werden, werden ein starkes, gut kapitalisiertes und widerstandsfähiges Bankensystem vorfinden", schreibt Schewtschenko.
Medienberichten zufolge hatte sich zuletzt der Konflikt zwischen Finanzministerium und der Zentralbank verschärft. Schewtschenko hatte sich wegen des chronischen Haushaltsdefizits für Einsparungen ausgesprochen. Die weitere Finanzierung sollte demnach wegen der Gefahr einer Hyperinflation nicht mehr über die Notenpresse erfolgen.
kle/fab/qu/mak/djo/nob (dpa, rtr, afp)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.