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Politik

Aktuell: "Der Westen wird mit uns reden müssen"

27. Oktober 2022

Kremlchef Putin hat dem Westen ein "gefährliches und blutiges Spiel" vorgeworfen. Zuvor drohte Russland mit dem Angriff auf US-Satelliten. Fast ein Drittel der Region Kiew ist ohne Strom. Ein Überblick.

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Wladimir Putin bei seiner Rede in Moskau
Der russische Präsident Wladimir Putin sieht den Westen als Urheber der schweren Krise Bild: Sergei Karpukhin/AP/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Putin macht dem Westen schwere Vorwürfe
  • Russland droht mit Angriff auf kommerzielle Satelliten
  • In Kiew gibt es immer weniger Strom
  • Selenskyj klagt über "beispiellosen Terror" gegen Energiesektor
  • UN hoffen auf Verlängerung des Getreideabkommens

 

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Westen nochmals für die Zuspitzung der Lage in der Ukraine verantwortlich gemacht. Zugleich erklärte er in einer längeren Rede in Moskau, "früher oder
später" werde der Westen mit Russland über eine gemeinsame Zukunft sprechen müssen. Putin warf den westlichen Staaten ein "gefährliches, blutiges und schmutziges Spiel" vor. Man stehe vor dem gefährlichsten Jahrzehnt seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Er bekräftigte frühere Aussagen, wonach sein Land versucht habe, eine freundschaftliche Beziehung zum Westen und zur NATO aufzubauen. Man habe darauf aber negative Antworten bekommen. 

Der Westen versuche, Russland verwundbar zu machen und überziehe alle mit Sanktionen, die sich ihm nicht beugen wollten, sagte der Staatschef weiter. Dabei fordere Russland den Westen nicht heraus, sondern wolle sich das Recht zu einer eigenen Entwicklung erhalten.

Mit Blick auf Atomwaffen fügte Putin hinzu, die Gefahr der Nutzung solcher Waffen werde so lange bestehen, wie es Nuklearwaffen gebe. Russland habe eine Militärdoktrin, die auch den Einsatz einer Atombombe beinhalte. Dies sei aber nur für den Verteidigungsfall gedacht. 

Putin ging auch auf das Verhältnis zu China ein und bezeichnete die Volksrepublik als guten Freund. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen seien ausgebaut worden.

Kreml droht mit Abschuss westlicher Satelliten

Zuvor hatte Russland mit dem Abschuss kommerzieller US-Satelliten gedroht, sollten diese im Ukraine-Krieg nach wie vor zur Datenweitergabe an Kiew genutzt werden. Es sei eine gefährliche Tendenz, dass die USA zivile Satelliten für militärische Konflikte nutzten, klagte Konstantin Woronzow, ein Vertreter des russischen Außenministeriums bei den Vereinten Nationen, wie die Agentur TASS meldete. Der Westen setze damit die zivile Raumfahrt, aber auch viele soziale und wirtschaftliche Projekte auf der Erde einem Risiko aus.

Eine Reihe westlicher Staaten stellt der Regierung in Kiew Satellitendaten für die Verteidigung zur Verfügung. Da Russlands Satellitennetz seinerseits weniger dicht ist, hat die Ukraine hier teilweise einen Informationsvorsprung. Die USA erklärten in einer Reaktion darauf, auf jeden Angriff auf US-Infrastruktur werde es "eine Antwort" geben.

Starlink-Satellit (computergeneriertes Bild)
Starlink-Satellit im Orbit (computergeneriertes Bild): "Extrem gefährlicher Trend"Bild: La Nacion/ZUMA Press/picture alliance

Woronzow nannte bei seiner Drohung keine spezifischen Satellitenbetreiber. Tesla-Chef Elon Musk hatte Anfang Oktober mitgeteilt, dass sein Raketenunternehmen SpaceX seinen Starlink-Internetdienst in der Ukraine weiterhin finanzieren werde und dies mit der Notwendigkeit "guter Taten" begründet. Die ukrainische Armee soll die Dienste von Starlink nutzen.

Ausrangierter Satellit mit Laserwaffe abgeschossen

Russland ist durchaus in der Lage, Satelliten im Weltraum zu treffen. Im November vergangenen Jahres hatte Russland einen eigenen ausrangierten Satelliten mit einer Laserwaffe abgeschossen und damit international Empörung hervorgerufen. Die USA kritisierten die Aktion als "rücksichtsloses" Säbelrasseln.

30 Prozent Stromausfall in der Region Kiew 

In der ukrainischen Hauptstadt-Region Kiew ist nach russischem Beschuss zu fast einem Drittel die Stromversorgung ausgefallen. In der Nacht hätten russische Einheiten die Energie-Infrastruktur angegriffen, teilte Gouverneur Olexij Kuleba im Onlinedienst Telegram mit. Eine Reihe kritischer Einrichtungen sei beschädigt und abgeschaltet worden. 30 Prozent der Stromversorgung fielen daher aus.

Die russischen Streitkräfte greifen seit einiger Zeit gezielt die Strom- und Wasserversorgung in der Ukraine an. Vor dem Winter stellt das die Zivilbevölkerung vor erhebliche Probleme. 

Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj klagt über "beispiellosen Terror"Bild: GLEB GARANICH/REUTERS

"Russische Terroristen haben so schwierige Bedingungen für unsere Energiearbeiter geschaffen, dass niemand in Europa jemals zuvor so etwas gesehen oder erlebt hat", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache. Einmal mehr warnte er vor bevorstehenden Stromabschaltungen in der gesamten Ukraine und rief die Bevölkerung zum Energiesparen auf.

Zugleich rügte er die seinen Angaben nach ungenügende Umsetzung des Getreideabkommens mit Russland und der Türkei. Russland behindere weiterhin die Ausfuhr ukrainischer Lebensmittel über den Seeweg. 175 Schiffe stünden im Stau und warteten auf ihre Abfertigung, monierte der 44-Jährige. "Es ist offensichtlich, dass Russland beabsichtigt, die globale Nahrungsmittelkrise erneut zu verschärfen, um die Gefahr einer großen Hungersnot zurückzubringen". Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, den Druck auf Moskau zu erhöhen.

Selenskyjs Worte richten sich offenkundig auch an Regierungen in Afrika, um die Kiew nun verstärkt wirbt. "Es ist sehr wichtig, dass sie auf diesem Kontinent, auf dem der Einfluss des Kremls traditionell stark ist, die ukrainische Position hören und die Wahrheit erfahren, was wirklich passiert", betonte er. Zuvor hatte Selenskyj mit dem Präsidenten von Guinea-Bissau, Umaro Sissoco Embaló, den ersten Staatschef aus Afrika seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine empfangen. Embaló erklärte, er habe ein Gesprächsangebot Putins mitgebracht, den er tags zuvor im Kreml getroffen hatte. Moskau hat die Existenz eines solchen Angebots bisher nicht bestätigt.

Ukraine bittet Deutschland um Hilfen gegen Kälte und Stromausfälle

Angesichts des näher rückenden Winters hat die Ukraine die Deutschen gebeten, ihr humanitäre Hilfe zu gewähren. So sollen etwa Kabel, Stromgeneratoren und Heizgeräte helfen, Kälte und Stromausfällen zu begegnen. Zwei vom Energieministerium in Kiew erstellte Listen mit benötigten Waren seien an die Bundesregierung übermittelt worden, sagte die Co-Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, Halyna Jantschenko, der Nachrichtenagentur Reuters. Auf den Wunschlisten stehen unter anderem Geräte für Umspannwerke, Nutzfahrzeuge, rund 350 Kilometer Kabel, knapp 2600 Stromgeneratoren sowie rund 3250 Heizgeräte.

Putins Raketen greifen Energieversorger an

"Deutschland kann humanitäre Hilfe leisten, indem es Güter zur Verfügung stellt", sagte die ukrainische Parlamentarierin. Viele dieser Waren würden von deutschen Unternehmen wie Siemens Energy hergestellt. Jantschenko forderte das Unternehmen auf, mit der Lieferung der Waren seiner gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Indem die deutsche Regierung einen Teil der Kosten übernehme, könne auch sie einen Beitrag leisten. Ein Sprecher von Siemens Energy nahm zu den Forderungen zunächst nicht Stellung.

Kraftwerk auf der Krim angegriffen

Auf ein Kraftwerk in Sewastopol auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim ist nach Angaben russischer Behörden ein Drohnenangriff verübt worden. Dabei habe es keine Opfer und nur "minimalen Schaden" gegeben, teilte Michail Raswoschajew mit, der von der Regierung in Moskau eingesetzte Gouverneur von Sewastopol. Die Stromversorgung der Hafenstadt und der gesamten Krim sei durch den nächtlichen Angriff auf das Balaklawa-Wärmekraftwerk nicht gefährdet. Die Drohne sei noch beim Anflug auf das Kraftwerk abgefangen worden, schrieb Raswoschajew auf Telegram.

Sewastopol ist wichtig als Basis der russischen Schwarzmeerflotte. Auf der seit 2014 von Russland beanspruchten Halbinsel hat es in den vergangenen Monaten mehrere Explosionen in Militäranlagen sowie Drohnenangriffe gegeben. Die Regierung in Kiew bekennt sich nicht offiziell dazu. Doch legen die Vorfälle nahe, dass die Ukraine über Möglichkeiten verfügt, auch weit hinter der Front anzugreifen.

Schlechtes Wetter bremst ukrainischen Vormarsch in Region Cherson

Widriges Wetter und schwieriges Gelände erschweren der Ukraine die Rückeroberung der Region Cherson. "Die Südukraine ist eine landwirtschaftliche Region mit vielen Bewässerungskanälen, die von den Russen als Gräben genutzt werden", sagte Verteidigungsminister Olexij Resnikow. Zudem bremsten schwere Regenfälle Kampffahrzeuge auf Rädern aus. "Die Gegenoffensive auf Cherson ist schwieriger als die auf Charkiw."

Die Ukraine rückt seit Wochen gegen die strategisch wichtige Regionalhauptstadt Cherson vor. Russland droht nach dem Verlust eroberter ukrainischer Gebiete im Nordosten um die Stadt Charkiw ein erneuter Rückschlag.

UN hoffen auf Verlängerung des Getreideabkommens

Nach Gesprächen in Moskau und Washington haben sich die Vereinten Nationen zuversichtlich im Hinblick auf die angestrebte Verlängerung des Abkommens für den Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer geäußert. "Wir sind sehr daran interessiert, dass dieses jetzt umgehend erneuert wird, denn der Export ist wichtig für den Markt", sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths in New York. "Ich bin immer noch relativ optimistisch, dass wir das schaffen werden." Ohne eine Erneuerung würde das Abkommen am 18. November auslaufen.

BdTD | Türkei
Ukrainisches Getreide an Bord eines Frachters vor Istanbul (Archivbild)Bild: Yasin Akgul/AFP

Zuvor hatte die russische Führung mehrfach damit gedroht, die wichtige Vereinbarung platzen zu lassen. Seit Ende Juli wurden in Rahmen der Vereinbarung etwa neun Millionen Tonnen Getreide aus dem Kriegsland verschifft. Griffiths betonte, er habe nach Treffen mit Regierungsvertretern in Moskau ein gutes Verständnis der Probleme mit dem Abkommen dort. Russland hat mehrfach beklagt, dass eine parallele Einigung zur verbesserten Ausfuhr von Getreide sowie vor allem Dünger aus Russland nicht funktioniere, weil der Export indirekt oftmals an EU-Sanktionen scheitere. Infolge des russischen Angriffskriegs war ukrainisches Getreide in den Häfen des Schwarzen Meeres monatelang blockiert. Seit Juli sind drei ukrainische Häfen wieder für die Ausfuhr von Lebensmitteln geöffnet.

Meloni will Ukraine bei militärischer Verteidigung unterstützen

Die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat sich hinter eine militärische Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland gestellt. Die einzige Möglichkeit, ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine zu erreichen, bestehe darin, Kiew dabei zu helfen, sich militärisch zu verteidigen, sagte Meloni im Senat vor einer Vertrauensabstimmung über ihre neu ernannte rechtsgerichtete Regierung.

Die Waffenlieferungen Italiens an die Ukraine seien zwar nicht entscheidend für den Ausgang des Krieges, sagte Meloni. Sie seien aber unerlässlich für die Aufrechterhaltung der internationalen Glaubwürdigkeit Italiens. Meloni hat Kiew wiederholt ihre Unterstützung zugesagt, während ihre Koalitionspartner Silvio Berlusconi und Matteo Salvini aufgrund ihrer historischen Beziehungen zum russischen Präsidenten Putin in dieser Frage sehr viel zurückhaltender waren.

Putin bekräftigt Behauptungen über "schmutzige Bombe"

Angesichts der ukrainischen Übergriffe auf die russischen Streitkräfte wiederholte Russlands Staatschef die Behauptung, die Ukraine plane den Einsatz einer "schmutzigen Bombe" - einem mit radioaktivem Material versetzten Sprengsatz. Er ordnete Manöver der Atomwaffen-Streitkräfte an. Belege für die angeblichen Pläne der Ukraine hat Russland bislang nicht vorgelegt.

Offenbar hatten russische Stellen zuvor versucht, mit falschen Fotos den Eindruck zu erwecken, dass es Beweise für den Bau einer "schmutzigen" Bombe in der Ukraine gebe. Eines der Bilder, das auf dem englischsprachigen Twitter-Account von Russlands Außenministerium auftauchte, stamme ursprünglich von der slowenischen Agentur für radioaktive Abfälle und sei im Jahr 2010 aufgenommen worden, berichtet die Internetzeitung "Ukrajinska Prawda".

"Entwicklung der 'schmutzigen Bombe'", ist das Foto überschrieben. Darin sind Elemente in Plastikbeuteln zu sehen, die mit dem Warnsymbol für Radioaktivität gekennzeichnet sind. Auf einem der Beutel ist zudem das slowenische Wort "Radioaktivno" zu lesen.

Atomexperten der slowenischen Regierung hatten das Bild als erstes wiedererkannt: Auf dem Foto seien Rauchdetektoren zu sehen, hieß es. Es sei für Präsentationen verwendet worden, teilte die slowenische Regierung mit. "Radioaktiver Abfall in Slowenien wird sicher verwahrt und ist unter Beobachtung. Er wird nicht für den Bau von 'schmutzigen Bomben' verwendet", zitierte die Regierung zudem den Chef der Behörde für radioaktive Abfallentsorgung, Sandi Virsek.

Die Regierung in Kiew und mehrere westliche Staaten wiesen die russischen Anschuldigung zurück, dass in der Ukraine eine schmutzige Bombe in Bau sei. Sie bezeichneten sie als Vorwand für eine weitere Eskalation des Krieges und erklärten ihrerseits, Russland könnte unter falscher Identität den Einsatz einer solchen Bombe planen und dann die Ukraine als Urheber bezeichnen. Westliche Experten schließen nicht aus, dass Russland angesichts militärischer Rückschläge sogenannte taktische Atomwaffen mit begrenzter Wirkung in der Ukraine einsetzen könnte. US-Präsident Joe Biden hat die Regierung in Moskau gewarnt, dies wäre "ein unglaublich schwerer Fehler".

Zehn weitere ukrainische Kriegsgefangene kehren zurück

Die Ukraine hat die Heimkehr weiterer zehn ihrer Soldaten aus russischer Kriegsgefangenschaft erreicht. Ein Offizier und neun Soldaten im Mannschaftsrang seien freigelassen worden, teilte der Chef des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, auf dem Messenger-Dienst Telegram mit. Zudem sei der Leichnam eines US-Bürgers übergeben worden, der aufseiten der Ukraine gekämpft habe und im Juli getötet worden sei.

Ukaine Kiew | Gefangenenaustausch | freigelassene Ukrainierinnen
Erst am 17. Oktober wurden diese ukrainischen Kriegsgefangenen ausgetauschtBild: Ukrainian Presidential Office/AA/picture alliance

Jermak machte keinen Angaben dazu, welche Gegenleistung die Ukraine erbracht hat. "Wir werden weitermachen, bis alle von uns wieder zu Hause sind", schrieb er. Vergangene Woche waren 108 ukrainische Soldatinnen aus russischer Gefangenschaft freigelassen worden, 110 russische Soldaten kehrten in ihre Heimat zurück. Der Austausch von Gefangenen ist einer der wenigen Gesprächsfäden, die es zwischen Kiew und Moskau noch gibt.

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

se/jj/AR/sti/kle/cw (dpa, afp, rtr, ap)