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PolitikTürkei

Türkei gewinnt an Einfluss in Syrien

15. Dezember 2024

Machthaber Assad stürzen und die Kurden zurückdrängen: Der türkische Präsident Erdogan verfolgte im syrischen Bürgerkrieg von Beginn an seine eigenen Ziele. Nun hat er viele erreicht. Welche Rolle spielt die Türkei?

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Türkische Fahne und die Fahne der syrischen Opposition an der Grenze
Die Grenze zwischen Syrien und der Türkei am 5. Februar 2016 bei Bab al-Salam. Schon damals wehte hier die Flagge der syrischen Opposition.Bild: picture-alliance/AP/IHH

"Wir haben keine territorialen Ansprüche in Syrien. Wir möchten nur dafür sorgen, dass die richtigen Besitzer des Landes ihr Land zurückbekommen. Wir sind nur dort einmarschiert, um die Herrschaft des Tyrannen Assad zu beenden."

Mit diesen Worten rechtfertigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2016 seine damalige Militärintervention in Syrien. Doch hinter den hehren Worten des Staatschefs steckten schon damals knallharte Machtinteressen.

Ankara unterstützte vom ersten Tag an die bewaffnete Opposition und drang entschlossen auf den Sturz des Diktators Baschar al-Assad. Fünf Jahre später begann die Türkei mit einer eigenen dauerhaften Militärpräsenz in der syrischen Rebellenhochburg Idlib.

Heute gilt die Türkei strategisch als größter Gewinner in Syrien, während Russland und der Iran als die größten Verlierer gelten: Moskau war der wichtigste Verbündete des Assad-Regimes, und Teheran unterstützte dieses mit paramilitärischen Kräften.

"Die Türkei hat in Syrien definitiv gewonnen", so Zaur Gasimov, Experte für türkisch-russische Beziehungen an der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul. Ankara werde mit der künftigen Regierung Syriens eng zusammenarbeiten.

"Die Türkei wird intensiv in die Wiederaufbauarbeiten mit einbezogen und der Hauptinvestor im kriegsverwüsteten Syrien bleiben", so Gasimov. Und es werde auch wirtschaftlich vom Wiederaufbau Syriens profitieren.

"Wenn türkische Baufirmen in Syrien Aufträge bekommen, profitiert das Land", glaubt auch Politikwissenschaftler Berk Esen von der Sabanci-Universität in Istanbul. "Obwohl die türkische Syrienpolitik lange Zeit für wenig erfolgreich gehalten wurde, wiederholte Erdogan immer wieder, dass Assad eines Tages stürzen würde. Nun wird er damit punkten."

Ein Toyota-Geländewagen, ein Kämpfer im Kriegsgebiet
Mit einer überraschenden Blitzoffensive haben der HTS und von der Türkei unterstützten Milizen in nur wenigen Tagen Assad gestürztBild: BAKR ALKASEM/AFP

Indirekte Unterstützung?

"Die Türkei hat bei der jüngsten Offensive eine wichtige Rolle gespielt. Im neuen Syrien wird Ankara dies nutzen, um seine Einflusssphäre zu erweitern", ist Esen überzeugt.

Die Türkei unterstützt die Syrische Nationale Armee (SNA) und kontrolliert damit weite Teile Nordsyriens. Sie habe dank ihrer dortigen Präsenz auch eine gewisse Nähe zur Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) entwickelt, so Esen.

Ankara hingegen streitet eine Beteiligung an der Offensive immer wieder ab. Obwohl die Türkei nicht offiziell hinter der HTS steht – und sie sogar als Terrororganisation einstuft –, förderte Ankara mehrere nordsyrische Milizen, die an der Offensive beteiligt waren.

Es sei legitim davon auszugehen, dass die Türkei HTS indirekt militärisch unterstützt, sagt Nahostexperte André Bank vom GIGA-Institut in Hamburg. "HTS besorgte sich kürzlich neue Waffen. Sie nutzt momentan Drohnen und Raketensysteme. Man kann vermuten, dass diese aus der Türkei kamen", so Bank.

Sein Kollege Simon Mabon von der Universität Lancaster ist da vorsichtiger: "Es ist ein undurchsichtiges Thema. Wir wissen nicht genau, inwieweit die Türkei diese Offensive tatsächlich unterstützt hat", so Mabon.

Erdogan und Assad unterhalten sich
Einst Freunde, später Gegner: Der türkische Präsident Erdogan und Syriens Ex-Machthaber Assad. Eine Aufnahme aus dem Jahr 2008Bild: epa/dpa/picture-alliance

Eigentlich pflegt das NATO-Land Türkei gute Beziehungen zu Russland und dem Iran womit es seine westlichen Verbündeten regelmäßig irritiert. Einen Bruch zwischen Moskau und Ankara wegen der jüngsten Ereignisse befürchtet Politikexperte Gasimov nicht. Die bilateralen Beziehungen werden sich künftig nur vertiefen, prognostiziert er: "Der Sturz Assads macht die Türkei noch wichtiger für Russland."

Feier in Ankara nach Sturz Assads. Syrische Oppositionsfahnen und türkische Fahnen
Jubel: Millionen von Menschen aus Syrien suchten in der Türkei Schutz vor Assad. Wie hier in Ankara feierten viele den Sturz des langjährigen MachthabersBild: Tunahan Turhan/SOPA Images via ZUMA Press Wire/picture alliance

Die Zukunft der Kurden?

Das offizielle Ziel der Türkei im Norden Syriens ist die Verhinderung der Etablierung einer territorialen Einheit der kurdischen Kräfte. Ankara befürchtet, dass in der Region ein kurdischer Staat entstehen könnte.

Momentan gehen die von der Türkei unterstützten Kräfte gegen die Kurdenmilizen vor und haben in den letzten Tagen Gebiete im Nordosten Syriens eingenommen – auch die Stadt Manbidsch.

Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die Teile Nordsyriens kontrollieren, gelten als der syrische Ableger der PKK. Die Türkei befindet sich seit 1984 in einem Konflikt mit der PKK – der "Kurdischen Arbeiterpartei", die in der EU als Terrororganisation eingestuft wird.

"Wir könnten in Zukunft tatsächlich auch in Syrien eine autonome kurdische Region sehen wie im Irak. Der Unterschied: Im bergigen Nordirak ist es einfacher für die Kurden, ihre Gebiete zu verteidigen. Im flachen Syrien könnte das schwieriger werden", sagt Berk Esen. Noch sei zudem unklar, wie sich die HTS den Kurden und anderen Minderheiten wie den Christen gegenüber verhalten werde.

Syrische Flüchtlinge an einem türkisch-syrischen Grenzübergang. Frauen mit Kopftuch und Männer gehen über einen Sandweg, viele tragen Taschen und Rücksäcke
Zurück nach Hause: Nach dem Sturz Assads strömten zahlreiche Syrer an die türkisch-syrische Grenze, um in ihr Heimatland zurückzukehrenBild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Heimkehr der Flüchtlinge?

Die Türkei besitzt eine rund 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien, beherbergt etwa drei Millionen geflohene Syrer und ist damit das Land mit den meisten syrischen Flüchtlingen auf der Welt. Obwohl die Erdoğan-Regierung nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges zahlreiche Syrer aufnahm, befindet sich die Regierung heute unter enormem Druck: Ressentiments gegenüber Syrern wachsen in der wirtschaftlich gebeutelten Türkei seit Jahren.

"Wir legen einen großen Wert auf die territoriale Integrität Syriens", sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan am 8. Dezember und ergänzte: "Die Millionen von Syrern, die ihre Heimat verlassen mussten, können nun zurückkehren."

In der Türkei wächst momentan die Erwartung, dass dies möglichst bald passieren soll. Präsident Erdoğan kündigte am 9. Dezember die Öffnung des Grenzübergangs Yayladağı nahe Antakya zu Syrien an: Damit sollten die Flüchtlinge "sicher und freiwillig" zurückkehren können. 

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.