Türkei: Staatlicher Sender zensiert Musik
5. März 2018Die kurdische Sängerin Rojda wurde 2010 zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Der Grund: Nach einem Auftritt bei einem Kulturfestival in der kurdischen Hochburg Diyarbakır wurden ihre Lieder als "Terrorpropaganda" eingestuft. Acht Jahre später, Ende Februar 2018, erfährt die Sängerin, dass drei ihrer kurdischen Lieder - "Dilan", "Sal çu" ("Ein Jahr verging") und "Lawê Min" ("Mein Sohn") - schon wieder wegen angeblicher Terrorpropaganda verboten werden. "Dabei geht es in all diesen Liedern um die Sehnsucht nach Frieden", sagt Rojda.
Die Verbotsliste des staatlichen Senders TRT mit 208 Songs (davon 66 auf Kurdisch und die Mehrheit auf Türkisch) wurde schon 2016 erstellt. Die Öffentlichkeit hat davon aber erst jetzt erfahren, nach der Anfrage eines Abgeordneten der Oppositionspartei CHP aus Izmir.
Als Rojda diese Liste gesehen hat, war sie keineswegs überrascht. "Das ist nicht das erste Mal und auch nicht das letzte", sagt die Sängerin im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Weil sie auf Kurdisch singt, hat die 40-Jährige schon einiges durchgemacht. Verbote und Verurteilungen sind für sie nichts Neues: "Es ist sehr belastend, wieder in die Vergangenheit zurückgeworfen zu werden, und das alles noch einmal erleben zu müssen."
Kurdische Kultur am Leben erhalten
Rojdas Lieder, die der Sender TRT verboten hat, stammen von ihrem Album aus dem Jahr 2007. Jahrelang waren sie in den TV- und Radio-Programmen von TRT zu hören. Warum sie plötzlich zensiert wurden, kann sich die Sängerin nicht erklären. "Haben sie das Album erst jetzt entdeckt?", wundert sich Rojda. "Man versucht, Künstler als 'die Anderen' darzustellen. In dieser Atmosphäre versuchen wir zu überleben."
Nachdem die Medien die Liste der verbotenen Lieder veröffentlichten, wies die Leitung des Senders TRT auf ihrer Internetseite jegliche Kritik zurück. "Es ist die gesetzliche Pflicht aller Medieninstitutionen, die Verbreitung von Inhalten zu verhindern, die zum Konsum von Zigaretten und Alkohol verleiten, die Entwicklung von Kindern negativ beeinflussen und Terrorpropaganda betreiben", heißt es dort.
Den Vorwurf der Terrorpropaganda lehnt Rojda ab: "Ich versuche lediglich, die kurdische Kultur am Leben zu erhalten. Was soll ich denn machen? Soll ich ab jetzt auf Englisch singen?"
"Unser Land vergeudet seine Zeit"
Die Liste des TRT reicht von bekannten Pop-Songs bis zur alternativen Musik. Eine der betroffenen Rock-Bands heißt "Eski Bando" ("Alte Band"). Zwei ihrer Lieder - "Istanbul Beirut Paris" und "Die Schrift an der Rückseite des Lasters" - wurden verboten. Sänger und Gitarrist Güney Marlen findet die TRT-Entscheidung "lächerlich".
"Während die Welt die künstliche Intelligenz erforscht, vergeudet unser Land seine Zeit mit solchen rückwärtsgewandten Dingen", sagt der Musiker. Er denkt, dass die beiden Songs seiner Band wegen ihrer Texte - in denen es um Alkohol geht - verboten wurden. "In einer Zeit, in der Medienberichte voller Gewalt, Waffen und Hass sind, sind nicht das die Songs, die zensiert werden sollten", sagt Marlen.
Lange Geschichte der Musik-Verbote
Die Zensur von Musik ist in der Türkei kein neues Phänomen. Noch bevor Erdogans Partei AKP an die Macht kam, wurden Lieder regelmäßig zensiert: Die Vorwürfe reichten von Pornographie, Anreizen zum Alkoholkonsum, der Verherrlichung von Selbstmord bis zu politischer Propaganda.
So sei das Lied "Wirt, schenk ein" des türkischen Musikers Adnan Şenses ein Anreiz zum Alkoholkonsum, der Song "Freund" der Popsängerin Melike Demirağ propagiere den Kommunismus und "Möge diese Welt untergehen" des Arabesque-Sängers Orhan Gencebay reflektiere seine "Geistesgestörtheit", hieß es nach dem Putsch von 1980, als diese Lieder verboten wurden.
"Demokratisierungsprozess rückt in weite Ferne"
Doch es kann noch schlimmer werden. Ein neuer Gesetzesentwurf, der im Februar von der Regierungspartei ins Parlament eingebracht wurde, sieht vor, dass auch alle regelmäßig online ausgestrahlten Ton- und Bildaufnahmen in Zukunft der Kontrolle der Rundfunkbehörde (RTÜK) unterliegen sollen. Der AKP wurde deswegen vorgeworfen, mit dem Vorhaben die Kontrolle über das Internet ausweiten und gegebenenfalls die Sendungen im Internet zensieren zu wollen.
"Die Befugnisse von RTÜK reichen sehr weit", erklärt Yaman Akdeniz, Professor an der Juristischen Fakultät der Bilgi-Universität in Istanbul. "Wenn sie davon Gebrauch macht, kann sie dieselben Verbote auch im Internet anwenden." Damit würde alles, was im Internet erscheint, von RTÜK kontrolliert. "Durch diese Kontrolle der Inhalte rückt der Demokratisierungsprozess in der Türkei in weite Ferne", warnt Akdeniz.