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PolitikNahost

Türkei: Partnersuche in Nahost

3. Dezember 2021

Gleich zu mehreren Staaten im Nahen Osten will Ankara seine Beziehungen verbessern - so etwa zu den VAE, Ägypten und Israel. Gründe dafür gibt es mehrere. Und bei den Angesprochenen stößt das Ansinnen auf Gegenliebe.

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Türkei I Abu Dhabis Kronprinz Scheich Mohammed bin Zayed al-Nahyan in Ankara
Der Kronprinz von Abu Dhabi, Scheich Mohammed bin Zayed al-Nahyan (li.), im Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (re.), Ankara, 24.11. 2021Bild: Ali Balikci/AA/picture alliance

Der Gesprächsbedarf ist hoch. Wenige Tage, nachdem Mohammed bin Zayed Al Nahyan, der Kronprinz von Abu Dhabi, sich in der vergangenen Woche zu einem Besuch in Ankara aufgehalten hatte, setzten er und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ihre Gespräche fort. Die beiden Staatsmänner hätten über Schritte gesprochen, die Beziehungen ihrer Länder zu verbessern, berichtet die türkische Zeitung "Daily Sabah".

Bereits in der Vorwoche unterzeichneten die beiden Staatschefs mehrere Absichtserklärungen für Investitionen in die Bereiche Energie, Finanzen und Gesundheit. Zugleich wurde Presseberichten zufolge bekannt, die VAE hätten einen zehn Milliarden Dollar (8,83 Milliarden Euro) schweren Fonds eingerichtet, um Investitionen in der wirtschaftlich derzeit angeschlagenen Türkei zu unterstützen.

Außenpolitischhabe sich die Türkei in den letzten Jahren im Nahen Osten stark isoliert, sagt Kristian Brakel, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Insbesondere nach 2011, dem Jahr des "Arabischen Frühlings", habe sie als eine der zentralen Mächte neben Saudi-Arabien gegolten. Dieser Ruf gründete wesentlich auf ihrer engagierten Unterstützung für religiöse Bewegungen mit sozialrevolutionärer Zielsetzung wie den Muslimbrüdern in Ägypten. "Dann aber kam es zu einer autoritären Renaissance, in deren Verlauf viele der von der Türkei unterstützten revolutionären, oft islamistischen Akteure wieder zurückgedrängt wurden." Das habe Ankara dazu gezwungen, sich auch mit den konservativen Regimen etwa auf der Golfhalbinsel zu verständigen.

Hoffnung auf neue Qualität der Beziehungen

Der türkisch-emiratische Dialog falle in eine Zeit genereller Annäherungen im Nahen Osten, schreibt die regierungsnahe "Daily Sabah" in ihrem Kommentar. Zwar sei es unrealistisch zu erwarten, dass die beiden Staaten sämtlich Meinungsverschiedenheiten umgehend ausräumen würden. Doch könnten gemeinsame wirtschaftliche Interessen Verhandlungen über regionale Krisen ermutigen, so die Zeitung. "Es geht in diesem neuen Kapitel um den gleichzeitigen Wettbewerb und die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den VAE in Regionen wie dem östlichen Mittelmeer, Griechenland, Libyen und dem Horn von Afrika." Diese Entwicklung werde unweigerlich zu einer neuen Art von Beziehungen führen.

Komplexe Hintergründe

Die VAE und die Türkei einten zudem die militärischen Ernüchterungen der vergangenen Jahre. "Beide zeigten sich außenpolitisch äußerst selbstbewusst", sagt der Politwissenschaftler Hakki Tas vom Hamburger Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA). "In mehreren Konflikten, von Syrien über den Jemen bis Libyen, standen sie auf entgegengesetzten Seiten. Gelöst werden diese Konflikte absehbar nicht sein. Die durch sie hervorgerufene politische und wirtschaftliche Belastung ist hingegen immer größer geworden." 

Zudem, so Tas, reagierten die VAE mit ihrer Annäherung an die Türkei auf den Rückzug der USA aus der Region. Ebenso wie Saudi-Arabien wollten die Emirate das entstandene Machtvakuum durch neue Verbündete füllen. Zu den potenziellen Partnern gehöre auch die Türkei.

Vereinigte Arabische Emirate Abu Dhabi
Wirtschaftsmacht auf der Suche nach neuen Partnern: die VAE, hier ein Blick auf Abu DhabiBild: Getty Images/D. Kitwood

Gespräche mit Israel

Doch nicht nur zu den VAE will die Türkei neue Beziehungen knüpfen. Auch die zu Israel wolle man verbessern, erklärte der türkische Präsident am Montag dieser Woche. "So wie zwischen uns und den Vereinigten Arabischen Emiraten ein Schritt unternommen wurde, werden wir mit den anderen Staaten ähnliche Schritte unternehmen", sagte Erdogan. Gemünzt war die Aussage insbesondere auf Israel und Ägypten. Im November hatte Erdogan Gespräche auch mit Vertretern Israels geführt. Anschließend hatte die Türkei ein israelisches Ehepaar, Mordy und Natali Oknin, freigelassen. Die beiden hatten einen Amtssitz Erdogans in Istanbul fotografiert und waren daraufhin unter dem Vorwurf, Spionage zu betreiben, für acht Tage festgehalten worden.

Nachdem Israel und die Türkei lange Zeit enge Beziehungen zueinander hatten, verschlechterten sich diese im Jahr 2010, als die israelische Marine ein türkisches Hilfsschiff, die Mavi Marmara, stoppte, das den damals blockierten Gaza-Streifen ansteuerte. Dabei wurden zehn Aktivisten des Schiffs getötet. Beide Länder riefen daraufhin ihre jeweiligen diplomatischen Gesandten zurück.

Gasfeld im Mittelmeer
Energien unter dem Meeresspiegel: Eine israelische Förderplattform über einem Gasfeld vor der Küste Israels.Bild: picture-alliance/dpa/Albatross Aerial Photgraphy

Ungeachtet der politischen Eiszeit sei der wirtschaftliche Austausch zwischen beiden Ländern in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, sagt Kristian Brakel. Der Türkei gehe es zum einen darum, die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zu verringern. Zudem sehe man Israel in Ankara als einen Kernstaat im Konflikt um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. In diesem Streit sieht sich die Türkei den gemeinsamen Interessen Griechenlands, Zyperns, Ägyptens und eben Israels gegenüber.

Zudem sei sich die Türkei der Notwendigkeit bewusst, zuerst die Beziehungen zu Israel zu reparieren, um darüber die Beziehungen zu den USA zu verbessern, sagt Hakki Tas. "Während in westlichen Medien bereits Szenarien für die Zeit nach Erdogan kursieren, scheint Erdogan in den diplomatischen Beziehungen zu den USA und der EU wie auch zu den Regionalmächten in Nahost auf Entspannung setzen zu wollen."

Besuch in Kairo

Außerdem bemüht sich die Türkei auch um verbesserte Beziehungen zu Ägypten. Bereits im Mai dieses Jahres hatte sich eine hochrangige türkische Delegation zu Gesprächen in Kairo aufgehalten. Seitdem befinden sich beide Seiten im kontinuierlichen Dialog miteinander.

Beide Staaten hatten über Jahre sehr abgekühlte Beziehungen. Begonnen hatte die Verstimmung im Jahr 2013, als der den Reihen der Muslimbrüder entstammende Präsident Mohammed Mursi vom ägyptischen Militär gestürzt worden war. Mursi war von Erdogan unterstützt worden. Erdogans eigene Partei, die AKP, steht den Muslimbrüdern politisch in Teilen nahe.

Libyen Tripolis Proteste gegen ägyptischen Präsidenten Al-Sisi | Flagge Türkei
Indirekte Auseinandersetzung: Libyer mit Sympathien für die Türkei protestieren in Tripolis gegen die Libyen-Politik Ägyptens, Juni 2020 Bild: picture-alliance/AA/H. Turkia

Aus Sicht Ankaras geht es vor allem aber um die Auseinandersetzung um die Gasvorkommen im Mittelmeer. "Dieser Konflikt ist ja eng mit dem Engagement Ankaras in Libyen verknüpft, wo die Türkei und Ägypten auf entgegengesetzten Seiten stehen", sagt Kristian Brakel. Tatsächlich hat die Türkei ihre Präsenz in Libyen immer wieder zu nutzen versucht, um sich im Gasstreit in eine bessere Position zu bringen, etwa durch den Vorschlag, bilaterale Hoheitszonen im Mittelmeer zu vereinbaren. Diese Vorschläge scheiterten aber. "Nun aber scheint die Türkei auf Ägypten zugehen zu wollen", so Brakel. "Bislang vermochten sich beide Seiten mit Blick auf Libyen nicht zu einigen. Das aber könnte sich nun womöglich ändern."

Zudem sei Ägypten politisch derzeit stark von Saudi-Arabien abhängig, sagt Hakki Tas. "Auch dürfte Ägypten angesichts seiner schwachen Wirtschaft eine Öffnung in Richtung Türkei sehr gelegen sein." Nun wollen beide Länder ihre gegenseitigen Botschaften wieder eröffnen. Das, sagt Hakki Tas, ist ein symbolisches Signal für die Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Doch eine vollständige Normalisierung sollte man noch nicht erwarten.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika