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Politik

Mit einem Hashtag gegen die Zensur Erdogans

Diego Cupolo ft
1. November 2016

Nach den Razzien der Türkei gegen die Zeitung "Cumhuriyet" versucht eine Gruppe von Journalisten, der immer stärkeren Drangsalierung etwas entgegenzusetzen - per Livestream in sozialen Medien. Von Diego Cupolo, Ankara.

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Twitter-Auftritt von #HaberSIZsiniz
Bild: Arnd Riekmann

Am Montag traf es die führende säkulare Zeitung der Türkei, die "Cumhuriyet". Am Wochenende zuvor waren bereits 15 andere oppositionelle Zeitungen von Razzien betroffen. Die Medienlandschaft in der Türkei gerät immer stärker unter Druck.

Mehr als 160 Redaktionen sind seit dem missglückten Putschversuch im Juli wegen Terrorverdachts geschlossen worden. Doch viele Journalisten wehren sich jetzt - mit einer groß angelegten Kampagne in sozialen Medien, die Informationen verbreiten und damit die zunehmende Zensur durch den Staatsapparat umgehen soll. Alles unter dem Hashtag #HaberSIZsiniz - einem Wortspiel aus "Das ist dir nicht bewusst" und "Du bist die Nachrichten". Start war am Sonntag mit einem Livestream via Periscope und Facebook. Die Journalisten sprachen über das, worüber in den offiziellen Medien nicht gesprochen wird.

"Wir beobachten eine ganz neue Dimension der Unterdrückung", sagt Ayşegül Doğan, früher Moderatorin beim inzwischen geschlossenen IMC TV und jetzt Gastgeberin des Livestreams. "Ziel der Bewegung ist es, denen eine Stimme zu geben, die keine mehr haben. Wir stellen sicher, dass die Ereignisse in der Türkei nicht unter den Teppich gekehrt werden."

"Nie stand es schlimmer als jetzt"

Doğan startete #HaberSIZsiniz mit einer Diskussionsrunde - zu Gast waren prominente Journalisten, Thema: die Verhaftung der beiden Bürgermeister der kurdisch geprägten Stadt Diyarbakir. Die Festnahmen hatten zu starken Protesten im Südwesten der Türkei geführt. Moderatorin Doğan sagt, nie hätte es um die Meinungsfreiheit in der Türkei schlimmer gestanden als jetzt. "Nach dem Putsch hatten wir zwar mit Festnahmen gerechnet - aber nicht damit, dass der komplette Sender geschlossen wird", berichtet sie. Schon seit den Gezi-Protesten 2013 sei der Druck auf die Medien immer größer geworden und habe sich jetzt zugespitzt.

Ayşegül Doğan
Moderatorin Doğan (Mitte) beim #HaberSIZsiniz-Start: "Neue Dimension der Unterdrückung"Bild: DW/D.Cupolo

Arbeitslos geworden ist auch Hayri Demir, Reporter bei DIHA in Ankara. Er verlor seinen Job nach einer Razzia am vergangenen Samstag. Schon in den vergangenen 16 Monaten sei die Website von DIHA 49 Mal geblockt worden, berichtet Demir, und zwar "ohne rechtliche Grundlage". Allerdings habe die Newsredaktion es immer irgendwie geschafft, die Blockade zu umgehen. Jetzt, da er arbeitslos ist, setzt Demir große Hoffnungen auf #HaberSIZsiniz. "Ich hoffe, dass es von einem Hashtag zu einem lang angelegten Projekt wird." Ob das Ganze bei der türkischen Bevölkerung zu Reaktionen führen wird? Hayri Demir ist sich nicht sicher: "Die Gesellschaft ist so gespalten. Diejenigen, die gegen Erdogan sind, sind seit dem Putschversuch doch ziemlich still geworden", sagt der Reporter.

Zunehmende Zensur 

Saruhan Oluç ist Vize-Pressesprecher der pro-kurdischen Partei HDP. Er sagte nach dem Live-Event am Sonntag, dass es kurdischen Organisationen in der Türkei ohnehin nie leicht gefallen sei, Präsenz zu zeigen. Seit dem Ausnahmezustand, der auf den Putschversuch folgte, sei es noch viel schwerer geworden, alternativen Stimmen Gehör zu verschaffen. Bei der Schließung der 15 pro-kurdischen Redaktionen Ende Oktober habe man sehen können, wie durch außerordentliche Erlasse der Regierung die geltenden Gesetze umgangen werden konnten. "Wann hat man das schon mal erlebt, dass der Staat einfach so Büromaterial aus einer Redaktion beschlagnahmt? Das ist Privatbesitz eines unabhängigen Unternehmens und der Staat operiert hier komplett am Gesetz vorbei", so Oluç. Ebenfalls kritisch sieht er die Schließung zahlreicher kurdischsprachiger Medienhäuser. "Menschen von Informationen in ihrer Muttersprache abzuschneiden, ist ein Verstoß gegen ganz grundsätzliche Rechte".

Protest gegen die Schließung von Redaktionen in der Türkei
Protest gegen Redaktionsschließungen (am 30. Oktober in Ankara): Lage zugespitztBild: DW/D.Cupolo

Wie es mit #HaberSIZsiniz weitergeht, ist unklar - trotz der damit verbundenen Hoffnung. Moderatorin Ayşegül Doğan will mit den Newscasts über soziale Medien weitermachen und noch mehr Kollegen dafür anwerben. Viele andere Dissidenten-Websites wurden von Staatsseite her geschlossen. Doğan will auf alle Fälle bis zum Ende weitermachen, bis es nicht mehr geht. "Als sie damals in unseren Fernsehsender kamen und ihn mit einer Razzia schlossen, haben wir so lange weitergesendet, bis sie auch die letzte Kamera ausgemacht hatten." Auch die Sendungen von #HaberSIZsiniz sollen bis zur letztmöglichen Sekunde weitergehen.