Misstrauen und Machtfragen vor Wahl
29. Oktober 2015Als Journalist ist es dieser Tage nicht leicht, einen Vertreter der Regierungspartei AKP zu treffen. Zu groß ist das Misstrauen. Ahmet Sorgun ist in dieser Hinsicht eine positive Ausnahme. Dem 57-Jährigen aus Konya ist bei den Wahlen am Sonntag ein Sitz im Parlament ziemlich sicher. Bei der letzten Wahl räumte die AKP hier 66 Prozent ab.
Ginge es nach Sorgun, könnte man dieses Wahlergebnis gerne auf die gesamte Türkei ausweiten: "Die Bevölkerung will vor allem Stabilität. Diese wird am besten durch eine Ein-Parteienregierung der AKP sichergestellt", sagt Sorgun im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er ist überzeugt davon, dass das auch klappen wird.
Kristian Brakel leitet die Heinrich-Böll Stiftung in Istanbul. Für ihn ist diese Einschätzung unrealistisch: "Wenn man den Umfragen glauben darf, dann werden sich die Wahlergebnisse nicht groß von denen im Juni unterscheiden. Die HDP wird die zehn-Prozent Hürde wieder überspringen und damit erneut verhindern, dass die AKP die absolute Mehrheit erringen kann", so Brakel gegenüber der DW.
Erfolg der Kurden versalzt Erdogan die Suppe
Die HDP hatte bei den Wahlen im Juni einen historischen Sieg errungen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik hatte eine prokurdische Partei den Einzug ins Parlament geschafft.
Für den Türkei-Experten Gareth Jenkins eine beeindruckende Leistung: "Die HDP hat es geschafft, ihre tendenziell linke politische Agenda mit ihrer Unterstützung eines kurdischen Nationalismus zu vereinen". Dabei, so Jenkins, sei es ihr gelungen, sowohl eine große Anzahl konservativer Kurden, vor allem im Osten des Landes, als auch eine Reihe von säkularen und liberalen Türken für sich zu gewinnen. Dies ist umso bemerkenswerter, da sich diese Gruppen normalerweise diametral gegenüber stehen.
Der Erfolg der HDP hat das Selbstvertrauen der Regierungspartei AKP ins Mark getroffen. Zum ersten Mal seit der Machtergreifung im Jahr 2002 war die religiös-konservative Partei gezwungen, sich einen Koalitionspartner zu suchen. Das ging gründlich schief. Wer trägt die Schuld am Scheitern der Koalitionsverhandlungen, das die jetzigen Neuwahlen nötig machte? Für Yusuf Halacoglu von der nationalistischen MHP ist die Antwort klar: "Das liegt eindeutig an Präsident Erdogan." Ministerpräsident Ahmet Davutoglu von der AKP habe einer Koalition schon zugestimmt - aber Erdogan immer wieder interveniert. Zusätzlich habe der Präsident dadurch auch gegen die ihm durch die Verfassung auferlegte Neutralität verstoßen.
Marionette Davutoglu
Kristian Brakel ergänzt, Erdogan habe durch sein Verhalten auch viele seiner eigenen Anhänger verprellt: "Viele Parteimitglieder, unter anderem der Ministerpräsident, wollen wohl auch nach diesen Wahlen wieder eine Koalition. Ob die endgültige Entscheidung darüber bei Ihnen liegt, ist allerdings sehr zweifelhaft."
Für viele Beobachter ist Ahmet Davutoglu schlicht zu schwach, um sich durchsetzen zu können. Wie wenig ihm die Türken zutrauen, wird in einer aktuellen Meinungsumfrage von Ipsos, einem der führenden Meinungsforschungsinstitute des Landes, deutlich. Gerade einmal vier Prozent halten den Ministerpräsidenten für den geeigneten Mann an der Spitze. Für Tayyip Erdogan sprachen sich 30 Prozent aus.
Pfiffe für die Toten von Ankara
Neben dem nach den Wahlen im Juni wieder aufgeflammten Kurdenkonflikt haben vor allem die Terroranschläge von Ankara das Land erschüttert. Gareth Jenkins: "Diese Anschläge haben dazu geführt, dass die Leute sich noch stärker in ihre festgelegten Meinungen flüchten." Das Misstrauen gehe so weit, dass sich die Lager die Schuld für die Anschläge gegenseitig in die Schuhe schöben: "Diejenigen, die die AKP verachten, glauben, dass die AKP selbst eine Mitschuld an den Anschlägen trägt. Diejenigen aber, die die AKP unterstützen, sehen die Anschläge als einen weiteren Beweis dafür, dass es Verschwörungen gebe, die darauf abzielten, die AKP zu unterwandern und zu diskreditieren."
Wie weit der Hass in der Gesellschaft schon gediehen ist, wurde bei einem Spiel der türkischen Fußballnationalmannschaft kurz nach den Anschlägen deutlich. Anlässlich einer Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer gab es ein gellendes Pfeifkonzert. Die Friedensdemonstration war vor allem von prokurdischen und säkularen Türken besucht worden.
Alles gut in Konya
Draußen im Land mag die Stimmung noch so katastrophal sein, für Ahmet Sorgun ist die Welt in Ordnung. In Konya gebe es diese Probleme einfach nicht: "Hier leben alle friedlich zusammen, Christen, Armenier, Türken, Kurden."
Wie schnell aus dem aufgeräumten Herrn Sorgun ein dünnhäutiger AKP-Politiker werden kann, wird jedoch deutlich, als Fragen nach dem Kurdenkonflikt und den Einschränkungen der Pressefreiheit kommen.
"Das hat mit dem Wahlkampf nichts zu tun. Daher werde ich darauf auch nicht antworten", stellt er klar. Zur Rollenverteilung von Ahmet Davutoglu und Tayyip Erdogan sagt er: "Beide sind sehr starke Charaktere, beide haben absolut ihren eigenen Kopf." Vor allem aber seien sich beide in einer Sache einig: "Sie wollen nur das Beste für die Türkei."