Sendepause für kurdischen TV-Sender
6. Oktober 2016Die offizielle Erklärung der Pressestelle von Eutelsat fällt knapp und nüchtern aus: "Die Aussetzung der Ausstrahlung von Med Nuce TV erfolgte aufgrund einer Mitteilung der Türkischen Medienaufsicht RTÜK und im Rahmen des Europäischen Übereinkommens über grenzüberschreitendes Fernsehen."
Radolphe Belmer, Chef des Satellitenbetreibers Eutelsat, soll den Schritt vor dem Wirtschaftsausschuss des französischen Senats gerechtfertigt haben, so meldete es die Agentur afp. Eutelsat sei französischen und europäischen Gesetzen verpflichtet. Danach sei ein Sender abzuschalten, wenn dieser gegen Vorschriften für redaktionelle Inhalte verstoße.
Der Sender Med Nuce TV wird von der türkischen Regierung verdächtigt, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu unterstützen. Darauf habe die türkische Rundfunkaufsicht RTÜK die Geschäftsleitung von Eutelsat hingewiesen. RTÜK sei ein assoziiertes Mitglied der europäischen audiovisuellen Aufsichtsbehörden, erklärte Belmer.
Unterstützung für repressive Politik in der Türkei?
Bereits kurz nachdem Med Nuce TV am 3. Oktober abgeschaltet wurde, seien auch Vertreter protestierender Kurden in Frankreich von der Eutelsat-Geschäftsleitung über diesen Vorgang unterrichtet worden. Nähere Gründe für die Abschaltung seien von Eutelsat nicht genannt worden, das berichten Redaktionsmitglieder von Med Nuce TV.
Baki Gül, einer der Redakteure und Moderatoren von Med Nuce, sagte der DW, dass man von Eutelsat lediglich eine knappe E-Mail zur Abschaltung erhalten habe. Einer seiner Kollegen bezeichnete das Ende von Med Nuce TV als Schande für Europa und ein gefährliches Signal, das als Unterstützung für die repressive Politik in der Türkei angesehen werden könnte. Wie lange der Sender abgeschaltet bleiben soll, hat Eutelsat nicht bekannt gegeben. Mitarbeiter von Med Nuce TV nehmen an, dass dies mindestens die Zeitspanne des Ausnahmezustandes in der Türkei umfassen wird, also noch mindestens drei Monate.
Vom Demokratischen Rat der Kurden in Frankreich wurden weitere Protestkundgebungen vor dem Hauptsitz von Eutelsat in Paris angekündigt. Mitarbeiter von Med Nuce TV wollen juristische Schritte prüfen und erwägen eine Klage. Die Europäische Journalisten-Föderation äußert in einer Protestnote den Verdacht, Eutelsat sei von der RTÜK unter Druck gesetzt worden. Musste Eutelsat wirklich mit der Abschaltung reagieren?
Medienrechtliche Einschätzung
Rechtsanwalt Sebastian Schweda vom Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Saarbrücken weist darauf hin, dass das von Eutelsat erwähnte europäische Fernsehübereinkommen keine Vereinbarung der EU, sondern des Europarates ist. Darin ist die Türkei seit 1949 Mitglied. Dem TV-Übereinkommen ist die Türkei 1994 beigetreten. Gegenseitige Rechtsansprüche über die Medien-Vereinbarung hätten aber nur Staaten. Die Türkei hätte sich folglich direkt an die französische Regierung wenden müssen, nicht aber an einen Satellitenbetreiber.
"Wenn RTÜK sich auf der Grundlage des TV-Übereinkommens direkt an Eutelsat gewendet haben sollte, erscheint mir dieses Vorgehen fragwürdig," sagt Schweda. Wenn der französische Staat nicht involviert gewesen sein sollte, habe Eutelsat die Abschaltung möglicherweise auf freiwilliger Basis vorgenommen. Das stehe dem Unternehmen natürlich frei.
Zu den inhaltlichen Grenzen im Abkommen über grenzüberschreitendes Fernsehen hält Schweda fest, dass es kein explizites Verbot "staatgefährdender Inhalte" gebe. Allerdings existierten Verbote für unangemessene Gewaltdarstellungen und Aufstachelung zum Rassenhass. Im Nachrichtenbereich müssten die Geschehnisse sachgerecht dargestellt werden. Die Formulierung "sachgerecht" böte natürlich Auslegungsspielräume, erläutert Schweda, die für die Entscheidung genutzt worden sein könnten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe sich daher auch schon mit dem TV-Abkommen auseinandergesetzt, aber keine einheitliche Auslegung festgeschrieben, auf die sich die Türkei berufen könnte.
Med Nuce - ein kritischer Sender
"Nuce" ist das kurdische Wort für Nachrichten. Der 2013 gegründete Fernsehsender Med Nuce TV berichtete nach Angaben des Demokratischen Geschäftszentrums der Kurdinnen und Kurden in Deutschland (Navdem e.V.) von Belgien aus kritisch über Handlungen der AKP-Regierung.
Med Nuce TV habe Kurden und anderen Minderheiten wie Armeniern und Aleviten eine Stimme gegeben, heißt es in einer Mitteilung von Navdem. Unter anderem zeigte Med Nuce TV Aktivitäten der türkischen Armee in Nordkurdistan. Kritiker werfen Med Nuce TV vor, Äußerungen der PKK zu viel Raum zu bieten.
Eutelsat entzog schon einmal einem kurdischen Sender den Sendeplatz. 2012 betraf es Roj TV. Begründung damals: Ein Kopenhagener Gericht hatte Verbindungen des Senders zur PKK nachgewiesen. Roj TV erhielt in Dänemark keine Sendelizenz mehr.