Türkei: Hilft die schwache Lira dem Tourismus?
8. Dezember 2022Selbst für Touristen war es nicht zu übersehen: im November stieg der Preis für einen Cappuccino im Istanbuler Stadtteil Kadiköy von einem Tag auf den anderen um 25 Prozent. Grund dafür ist die hohe Inflation im Land, für Touristen aber bleiben die Preise dennoch günstig, denn die türkische Lira erlebte im letzten Jahr einen Sturzflug. Im September 2021 war ein US-Dollar rund acht türkische Lira wert, jetzt etwa 18.
Die Wertminderung der türkischen Währung hat sich jedoch positiv auf die Tourismusbranche ausgewirkt, für die Türkei ein wichtiger Wirtschaftssektor. Vor der Pandemie machte der Tourismus elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und bot laut dem internationalen Unternehmensverband World Travel and Tourism Council fast 2,3 Millionen Arbeitsplätze.
Die Pandemie versetzte der Branche einen schweren Schlag, in diesem Jahr aber erholte sie sich – Reisen wurde wieder möglich und die schwache Lira befeuerte den Tourismus umso mehr.
Viel möglich für kleines Geld
Auch der Berliner Jazzmusiker Lukas Growe nutzte die Gelegenheit, um mit seiner Freundin in die Türkei zu reisen. "Wir machen hier Dinge, die wir uns sonst nicht im Urlaub hätten leisten können – wir fahren viel mit dem Taxi, gehen ins Restaurant und fliegen sogar innerhalb des Landes, um von einer Stadt zur nächsten zu kommen." Die beiden hatten im Oktober einen zweiwöchigen Urlaub in den Iran geplant, hatten diesen aber in letzter Minute wegen der Proteste im Land abgesagt. Stattdessen reisten sie in die Türkei und erkundeten dort die kurdischen Gebiete, wanderten an der Küste im Süden und schauten sich Istanbul an. "Wir haben sogar für einen ganzen Tag ein Taxi gemietet, was wir in Deutschland nie tun würden", erzählt Growe.
Besseres Preis-Leistungs-Verhältnis als in anderen Ländern
"Der Tourismus ist in diesem Jahr generell sehr stark, und darüber sind wir natürlich froh", sagt Reiseleiter und Filmemacher Mustafa Efelti, der in dieser Saison eine Führung nach der anderen anbietet, um die Verluste während der Pandemie wieder wettzumachen. "Wir hatten sogar viele Gruppen aus Lateinamerika – das ist für uns ungewöhnlich, auch jetzt zu dieser Jahreszeit."
Grund sei tatsächlich unter anderem die günstige Lira, vor allem für Reisende aus Ländern mit einer schwächeren Wirtschaft, bestätigt Efelti. "Touristen aus Bulgarien oder Rumänien zum Beispiel können mit 530 Euro (550 US-Dollar) eine wirklich gute Woche in der Türkei verbringen. In Paris hingegen würde das Geld nur für ein paar Tage reichen."
Bürger kämpfen mit der Inflation
Zwar kommen wieder mehr Touristen, aber die früher starke einheimische Tourismusbranche wurde durch die Wirtschaftspolitik dennoch schwer getroffen. Für viele Bürger ist die schwache Lira verheerend. Laut des türkischen Statistikinstituts ist die Inflation im Oktober um 85 Prozent gestiegen. Experten der unabhängigen Inflations-Forschungsgruppe ENAG in der Türkei sagen jedoch, dass sie in Wirklichkeit viel höher sei, nämlich etwa 185 Prozent. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yöneylem haben es mehr als zwei Drittel der Menschen in der Türkei schwer, ihre Lebensmittel und Miete zu bezahlen.
Ein positives Zeichen für 2023?
Für Touristen bleibt die Situation positiv, zwar wird Urlaub in der Türkei wegen der Energiekrise und Inflation wie in anderen Ländern teurer, aber bleibt im Vergleich immer noch günstig. Die Türkei ist seit langem ein All-Inclusive-Reiseziel und wird es laut Reiseveranstalter TUI auch bleiben. "Der Fall der türkischen Lira hat das Land noch attraktiver für unsere Gäste gemacht, die ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis suchen", sagt TUI-Sprecher Evangelos Georgiou.
Die Einnahmen der türkischen Tourismusbranche seien im dritten Quartal um 27,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 17,95 Milliarden Dollar gestiegen, teilte das türkische Statistikinstitut kürzlich mit. Dennoch liegt der Wert immer noch weit unter den 34,5 Milliarden Dollar, die die Branche 2019 erwirtschaftete.
Die Inflation sei eine Herausforderung für die Branche, sagt Serdar Akaydi von der türkischen Reiseagentur aQuasun Tourism. "Die Hotelpreise werden, zumindest in meiner Region Antalya, im nächsten Sommer zwischen 15 Prozent und 25 Prozent höher sein." Da auch die Flugpreise stiegen, würden Reisen nach Antalya teurer werden als im Sommer 2022. "Ich frage mich, ob die Touristen auch dann noch diese Preise akzeptieren werden." Bisher aber sähen die Buchungszahlen gut aus, so Akaydin.
Hürden für russische Touristen
Antalya ist seit langem ein beliebtes Ziel für russische Touristen, doch der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass in diesem Jahr weit weniger russische Besucher kamen. Die Türkei ist mit den USA und der NATO verbündet, unterhält aber auch gute Beziehungen zu Russland – ein schmaler Grat. Die Türkei ist in den Bereichen Energie, Handel und Tourismus auf Russland angewiesen. Im Jahr 2019 erreichte das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern 26,3 Milliarden Dollar (25,07 Milliarden Euro).
Seit Ende September akzeptieren die drei türkischen Zentralbanken das russische Zahlungssystem Mir nicht mehr, dem russischen Pendant zu Visa und Mastercard. Grund dafür ist das harte Vorgehen der USA gegen Länder, die Moskau bei der Umgehung von Sanktionen helfen.
Theoretisch könnte die Sperrung von Mir den Urlaub russischer Touristen in der Türkei erschweren, da sie nur wenige Zahlungsmöglichkeiten hätten. Serdar Akaydin glaubt aber nicht, dass diese Maßnahme ein für Touristen ernsthaftes Problem darstellt. "Die Russen können immer noch Bargeld mitbringen und sogar einiges in Bitcoin bezahlen", sagt er. "All-inclusive-Urlaube werden sowieso vor der Reise bezahlt." Und der schwache Wert der Lira tue sein Übriges dazu.
Aus dem Englischen übersetzt.