Türkei geht wieder verstärkt auf EU zu
29. August 2018Ein markantes Symbol für den Wiederannäherungskurs Ankara ist, dass erstmals nach dreijähriger Pause in Ankara die türkische "Reform-Aktions-Gruppe" wieder zusammentrat. Danach teilte Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz mit, man habe sich darauf geeinigt, "den politischen Reformprozess zu beschleunigen". In der nächsten Zeit wolle die Türkei vorrangig Themen angehen, bei denen man Ergebnisse erzielen könne. Dazu zählten die Verhandlungen über eine Zollunion und die Einführung der Visumfreiheit.
Cavusoglu legte einen besonderen Schwerpunkt auf die Zollunion, indem er forderte, die Gespräche über ihren Ausbau wieder aufzunehmen. Zugleich versprach er, dass die Türkei sich "auf Justiz, Grundrechte und Gerechtigkeit sowie Freiheiten und Sicherheit" konzentrieren werde. Geplant sei ferner, enger mit dem Europarat zusammenzuarbeiten. Justizminister Abdülhamit Gül ergänzte, die Regierung werde "Menschenrechte und Freiheiten ausbauen".
Die Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei sind zurzeit praktisch eingefroren, unter anderem weil die Türkei nach Meinung der EU-Mitglieder bei ihrem Vorgehen gegen angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung massiv gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt. Die Regierung in Ankara macht die Bewegung des islamistischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich, was dieser jedoch bestreitet.
Wien mauert
Cavusoglu erklärte weiter, er rechne bei den Beitrittsverhandlungen nicht mit der Aufnahme von Gesprächen zu weiteren Themenblöcken, solange Österreich die EU-Ratspräsidentschaft innehabe. Die Regierung in Wien lehnt einen Beitritt der Türkei zur EU ab und übt bis Jahresende die Ratspräsidentschaft aus.
Seit einigen Wochen lässt nicht mehr übersehen, dass die türkische Regierung vor dem Hintergrund der schweren Währungskrise und des Zerwürfnisses mit den USA über das Schicksal eines in der Türkei festgehaltenen US-Pastors wieder die Nähe zur EU und insbesondere zu Deutschland sucht. Ende September reist Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Deutschland. Erdogan sprach jüngst außerdem mit der britischen Premierministerin Theresa May und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Macron geht auf Distanz
Macron schloss allerdings am Montag weitere Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt aus. Er sagte vor Diplomaten in Paris, der türkische Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan verfolge ein "pan-islamisches Projekt", das regelmäßig als anti-europäisch dargestellt werde. Macron plädierte für eine "strategische Partnerschaft" mit der Türkei und Russland, um die Länder an Europa zu "koppeln". Damit nannte er den NATO-Partner und langjährigen EU-Beitrittskandidaten Türkei in einem Atemzug mit Moskau.
Ankara bekundete umgehend sein "tiefes Bedauern" über die Absage des französischen Präsidenten. Die Türkei habe nach dem Putschversuch von 2016 eine schwere Zeit durchgemacht, sei aber zur Normalität zurückgekehrt und mache Fortschritte, was die von der EU geforderten Reformen betreffe, erklärte Außenamtssprecher Hami Aksoy. Macrons Aussagen zeigten wieder einmal, dass er die "Realität der Türkei" nicht verstanden habe.
Aksoy unterstrich, sein Land sei in politischer, geografischer und historischer Hinsicht nicht von Europa wegzudenken. Angesichts der Tatsache, dass die Türkei zur Sicherheit Europas beitrage, entspreche Macrons Aussage, die Türkei sei "anti-europäisch" nicht der Wahrheit. Mit dem Präsidialsystem sei die demokratische und laizistische Türkei noch stärker geworden und nun entschlossen, "den Weg in Richtung EU-Vollmitgliedschaft zu beschreiten".
kle/rb (dpa, afp, ape, rtr)