Pinochet ist tot
11. Dezember 2006Bis auf seine Angehörigen und ein Häufchen Getreuer beweinten wenige den Abgang des Ex-Diktators Augusto Pinochet in den neunziger Jahren. Er starb weder in Vergessenheit noch in Armut, sondern in Misskredit. Die Menge, die ihn bei seiner Rückkehr aus London lautstark gefeiert hatte, als es ihm gelang, den Klauen des spanischen Untersuchungsrichters Baltasar Garzón zu entkommen, wurde immer leiser. Und auch der Mythos der finanziellen Ehrenhaftigkeit der chilenischen Militärdiktatur zerfiel mit der Aufdeckung geheimer Konten des Generals bei der Washingtoner Riggs-Bank.
Das Leben geht weiter wie zuvor
Politisch gesehen war Pinochet schon seit ein paar Jahren tot. Paradoxerweise waren es Politiker aus seiner eigenen ideologischen Schule, die ihm den finalen Todesstoß versetzten. Joaquín Lavín, der Präsidentschaftskandidat der rechtsgerichteten UDI (Unión Demócrata Independiente) fungierte als Totengräber, indem er sich bei seinem Versuch, in den Präsidentenpalast zu gelangen, von General Pinochet lossagte. Es gibt immer noch ein paar Unbelehrbare, die dem General noch immer treu ergeben sind, aber man kann sie zählen - sie sind quasi politische Fossilien.
Für das chilenische Rechtsempfinden könnte das definitive Verschwinden Pinochets aus dem alltäglichen Bewusstsein des Landes eine Erleichterung bedeuten. Für die Opfer der Diktatur, angefangen mit den Angehörigen der Vermissten, endet ein leidvolles Kapitel des hartnäckigen Kampfes um Gerechtigkeit, das für den "capitán general" nicht in einer Gefängniszelle, sondern in einem Krankenhausbett endete. Für die Politik des Landes bedeutet es dagegen keinerlei Zäsur.
Die Stunde der Geschichte
Der Tod Pinochets markiert allerdings einen Wechsel: den Übergang einer Figur aus der Vergangenheit hin zur Aufarbeitung eines wichtigen Geschichtsprozesses. Die Jahre seit dem 11. September 1973, dem Tag, an dem Pinochet sich an die Macht putschte, schufen eine gewisse Distanz, die einen relativ nüchternen Blick ermöglichen. Auch wenn Objektivität in der Generation, die in dieser traumatischen Epoche gelebt hat, vermutlich unmöglich ist.
Der Militärputsch Pinochets, der international fast einhellig verurteilt wurde, war das Ende von Salvador Allendes Experiment einer "Revolution mit Empanadas und Rotwein". Er zeigte, dass Chile ebenso wenig gegen die Übel Lateinamerikas immun war wie irgendeiner seiner Nachbarn.
Die Chilenen täten gut daran, sich diese Tatsache bewusst zu machen, wenn das Ausland weiterhin das erfolgreiche Chile als lateinamerikanisches Musterland lobt. Viele vergessen dabei nämlich, dass diese Erfolge die Früchte der gleichen Diktatur sind, die sie sonst mit Vehemenz bekämpft haben. Pinochet ist gestorben, aber sein Nachlass ist in den wirtschaftlichen, sozialen, bildungs- und gesundheitspolitischen Strukturen präsent. Diese werden nur in wenigen politischen Bereichen des Landes diskutiert. Vielleicht deuten seine unbelehrbaren Nachfolger dies als letztendlichen Triumph des Generals. Die Mehrheit dagegen sieht darin nur einen Triumph des Pragmatismus, der jedoch nicht die Verurteilung der Diktatur durch künftige Generationen verhindern wird.