"Tymoschenko sorgt immer für Polarisierung"
9. August 2007DW-RADIO/Ukrainisch: In den vergangenen Jahren hat die Zustimmung für den Block Julija Tymoschenko um ein Vielfaches zugenommen. Worauf führen Sie den Erfolg zurück?
Ingmar Bredies: Der Zuwachs ist damit zu erklären, dass unter der Regierung Janukowytsch und bei einem Präsidenten Juschtschenko die Oppositionsrolle erst einmal eindeutig mit Julija Tymoschenko assoziiert wird. Deswegen ist aus meiner Sicht der politische Zuwachs zu erklären, dass dort eine starke Polasierung eingetreten ist, von der Julija Tymoschenko als Oppositionskraft vor der Revolution und nach der Revolution praktisch profitieren konnte.
Wird ein Erfolg bei der vorgezogenen Parlamentswahl gelingen?
Jetzt ist ja die Rede davon, bei den kommenden Wahlen einen Megablock zu bilden, dass Tymoschenko und Unsere Ukraine zwar schon getrennt, aber schon geschlossen antreten werden. Die neusten Exit-Polls zeigen, dass Tymoschenko kaum an den Wahlerfolg letzten Jahres anknüpfen kann.
Hat dieser Block Ihrer Meinung nach eine ideologische Basis? Würden Sie ihn als linke oder rechte Kraft bezeichnen?
Inhaltlich hat Julija Tymoscheko in letzter Zeit des Öfteren darauf hingewiesen, dass sie sich selbst als zentristische politische Kraft sieht, aber man würde es vielleicht linkszentristisch nennen, denn der Solidaritätsgedanke kommt sehr oft bei ihr vor, und er spielt auch in ihrem Wahlprogramm aktuell eine ganz wichtige Rolle. In erster Linie ist es aber nach wie vor die politische Persönlichkeit. Tymoschenko ist eine Figur, die immer für Polarisierung sorgt. Wenn man in die Vertretung von Tymoschenkos Partei hier in Kiew geht, dann sieht man, dass die Leute dieser Person Tymoschenko förmlich ergeben sind und wirklich sehr emotional bei der Sache sind. Diese persönliche Komponente, diese emotionale Bindungskraft zur Parteispitze ist ein ganz wichtiges Element dabei.
Kann man das so verstehen, dass Tymoschenkos Persönlichkeit wichtiger als die Programmatik des Blocks ist?
Tymoschenko wird von vielen Seiten Populismus vorgeworfen. Es gibt schon politikorientierte Programmpunkte bei Tymoschenko. Allerdings ist sie sehr darauf bedacht, bei den Medien in einer bestimmten Art rüberzukommen. Das ist leider auch damit verbunden, dass die programmorientierten Punkte in den Medien leider nicht vermittelt werden. Es werden praktisch Sachen thematisiert, die eigentlich schon seit je her die klassischen politischen Debatten in den ukrainischen Wahlkämpfen bestimmen. Ganz aktuell geht es hier um die Abgeordnetenimmunität, wo sich Tymoschenko dafür stark macht, die Immunität abzuschaffen. Dann hat sie angekündigt, dass ihre Abgeordneten künftig kein Gehalt mehr nehmen werden. Ich persönlich erachte es als unnötig, solche Sachen zu thematisieren, und ich halte es für unklug, solche Themen öffentlich auszuspielen. Wenn die Ukraine eine parlamentarische Republik werden soll, dann sind das Tendenzen, die dem entgegenwirken. Dass Abgeordnete auf Geld oder auf Dienstwohnungen verzichten, sind Züge, die meines Erachtens ein schlechtes Zeichen für eine weitgreifende Parlamentarisierung in der Ukraine sind, denn es müssen gewisse Anreize geschaffen werden, damit Leute in die Politik gehen. Wenn man jetzt aber sagt, in der Politik ist materiell nichts zu holen, dann werden auch künftig nur solche Leute in die Politik gehen, die schon genug haben. Und das ist meiner Ansicht nach ein falscher Ansatz.
Welche Probleme würden Sie denn gerne thematisiert sehen?
Probleme gibt es eine ganze Menge. Das fängt mit dem Gerichtswesen an, dann die Föderalismusreform. Sicherlich kann man eine Sozial- und Rentenreform dazunehmen. Gerade auch was das Steuerwesen anbetrifft. Das sind die zentralen Punkte, die man politisch anpacken müsste.
Während der politischen Krise haben viele Abgeordnete die Fraktion des Blocks Tymoschenko verlassen. Hat der Block daraus gelernt?
Das hoffe ich. Diesen Hinweis finde ich ganz wichtig, dass es gerade aus dem Tymoschenko-Block die meisten Abgeordneten waren, die dort nachgegeben und sich praktisch haben anwerben lassen. Hier muss sich Tymoschenko natürlich auch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie bei der Aufstellung ihrer Liste nicht sehr sorgfältig vorgegangen ist, obwohl sie quasi als Entschuldigung sagt, dass faktisch so viel Geld angeboten worden ist, dass selbst gestandene Parteikollegen dort nachgiebig wurden und sich haben kaufen lassen. Es kann aber auch sicher sein, dass inhaltlich verschiedene Ansichten zwischen der Parteispitze und einzelnen Abgeordneten vorherrschten und sie aufgrund dessen die Fraktion gewechselt haben.
Wie bewerten Sie die Zukunftsaussichten dieser politischen Kraft? Hängt alles von der Führerin ab?
Es wird sicherlich nötig sein, ein polyzentristisches Profil innerhalb der Parteistrukturen zu schaffen. Das heißt, dass man erst überlegen müsste, ob man nicht wirklich den Block umbenennt, also nicht als Wahlblock Tymoschenko, sondern sich etwas anderes ausdenkt. Und dass man neben Tymoschenko politikfeldorientiert versucht, andere Spezialisten, andere Führungsfiguren innerhalb der Partei aufzubauen, die dann auch in den Medien mehr wahrgenommen würden.
Das Gespräch führte Eugen Theise
DW-RADIO/Ukrainisch, 22.7.2007, Fokus Ost-Südost