Tupperware: eine Kulturgeschichte
20. September 2024Karen Watters aus Michigan war 18 Jahre alt, frisch verheiratet und gerade Mutter geworden, als sie Anfang 1970er Jahren mit dem Verkauf von Tupperware begann: "Damals konnte ich noch nicht einmal eine Kreditkarte bekommen, die Bank wollte sie mir nicht geben, obwohl ich diejenige war, die arbeitete. Das waren andere Zeiten für Frauen", sagt sie im DW-Gespräch. Vor 1974 konnten verheiratete Frauen in den USA keine Kreditkarte auf ihren eigenen Namen beantragen.
Karen veranstaltete für ihre Freundinnen und Bekannten so genannte "Tupperware-Partys"und erhielt für alles, was sie verkaufte, eine Provision. Mit dem Geld half sie dann ihrem Mann, sein Studium zu finanzieren. "Er studierte Elektrotechnik, und ich kaufte all die Werkzeuge, die er brauchte. Mit dem Geld, das ich mit dem Verkauf von Tupperware verdient habe, hat er seine Ausstattung besorgt. Das war das Geld, das wir echt brauchten", so Watters.
Für Karen Watters war der Verkauf der verschließbaren Plastikbehälter, wie für so viele andere Frauen, eine Möglichkeit, ihre Familie zu unterstützen. Die Tupperware-Party, ein neues Verkaufskonzept, das in den 1950er Jahren eingeführt wurde, gab Tausenden von Frauen die Möglichkeit, Selbständigkeit zu erlangen, von Hausfrauen zu Unternehmerinnen aufzusteigen.
Nun meldet das Unternehmen Konkurs an. Aus der Alltagskultur vieler Menschen ist es nicht mehr wegzudenken.
Tupperware: das Phänomen
Die verschließbaren Frischhaltedosen wurden von Earl Tupper entwickelt, einem Geschäftsmann und Chemiker aus New Hampshire. Tupper (1907-1983) entdeckte die Möglichkeit, aus einem industriellen Nebenprodukt einen Kunststoff herzustellen. 1938 gründete er eine Kunststoff-Firma, die zunächst Gasmasken herstellte. Als sich die Weltlage nach dem Zweiten Weltkrieg stabilisierte, verbreiterte das Unternehmen seine Produktpalette. Die Idee für Kunststoffformen entstand 1946.
Doch als die erste Tupperware auf den Markt kam, fand sie zunächst nicht den erhofften Zuspruch. Zu billig wirkten die Plastikbehälter. Außerdem fanden Hausfrauen die Notwendigkeit, die Behälter "aufzustoßen", um die Luft herauszulassen, nicht besonders praktisch. Tupper experimentierte weiter, verfeinerte seinen Kunststoff und die Konstruktion der Behälter. Die entscheidende Innovation war das sogenannte "Frischeventil" auf dem Deckel, mit dem sich überschüssige Luft aus der Box herausdrücken ließ.
Es bedurfte aber einer Armee von Amateur-Verkäuferinnen - vor allem Frauen aus den Vorstädten - um der Marke zum Durchbruch zu verhelfen. Tausende von Frauen in den USA und schließlich auf der ganzen Welt gründeten ihre eigenen Unternehmen und verkauften die Produkte bei Hausversammlungen, den so genannten Tupperware-Partys. Das Phänomen breitete sich in den USA aus und erreichte in den 1950er und 60er Jahren seinen Höhepunkt.
Maßgeblich verantwortlich für den Erfolg des Tupperware-Imperiums war Brownie Wise, eine alleinerziehende Mutter mit geringer Schulbildung. Tupper stellte sie als Vizepräsidentin und Verkaufschefin ein. Als Marketinggenie mit einem Händchen für den Verkauf trug sie dazu bei, die Marke prominent zu positionieren.
Wise hatte zuvor für ein Reinigungsmittelunternehmen namens Stanley Home gearbeitet, das so genannte "Homeparties" veranstaltete - Zusammenkünfte von Hausfrauen und ihren Freundinnen, um Produkte zu verkaufen. Wise erkannte schnell, dass es auch für Tupperware einen Markt für solche Veranstaltungen gab.
Ihre anregenden Produktvorführungen, zu denen lustige Partyspiele und das Werfen von Behältern quer durch den Raum gehörten, um zu zeigen, dass sie nicht zerbrechen, vermittelten den Käufern ganz nebenbei Wissen über das Produkt. Am Hauptsitz des Unternehmens in Florida schulte Wise andere Frauen in ihren Verkaufsmethoden, erstellte Handbücher und führte großzügige Verkaufsanreize ein, um mehr Verkäuferinnen an Bord zu holen. Es funktionierte - und schon bald war das Produkt auf dem Vormarsch!
Um die Verkäufer zu ermutigen, dachte sich das Unternehmen kreative Werbeaktionen aus, bei denen die Verkäufer um "alles von neuen elektrischen Bügeleisen bis hin zu einer Europareise mit Brownie Wise" konkurrierten, wie es in einem Artikel des öffentlichen US-Senders PBS hieß.
Mitte der 1950er Jahre war Wise die Ikone des Unternehmens und die erste Frau, die auf der Titelseite der "Business Week" abgebildet war. Sie erschien auch auf den Seiten von populären Livestyle-Magazinen wie "Cosmopolitan" und "Women's Home Journal".
Von der Hausfrau zur Unternehmerin
Die sozioökonomischen Bedingungen der 1950er Jahre waren perfekt für den Erfolg dieser Marketingstrategie. Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs notgedrungen in den Arbeitsmarkt eingetreten waren, wurden verdrängt und sollten nun während des Babybooms zu Hause bei den Kindern bleiben.
Der Verkauf von Tupperware war für Frauen, deren Ehemänner nicht wollten, dass sie außer Haus arbeiteten, eine Möglichkeit, Einkommen zu erzielen. An das Haus gebundene Vorstadtfrauen konnten der häuslichen Routine entkommen und Kontakte knüpfen.
Das Prinzip war einfach: Die Gastgeberin einer Party lud einen Tupperware-Verkäufer zu sich nach Hause ein und erhielt im Gegenzug kostenlose Tupperware-Produkte, während der Verkäufer eine Provision erhielt, die sich nach der Anzahl der verkauften Produkte richtete.
So beeinflussten die Tupperware-Partys die Alltagskultur und den Zeitgeist einer ganzen Epoche. Hausfrauen erlangten Autonomie, indem sie zu Beraterinnen, Managerinnen und Verkäuferinnen eines Produkts wurden. Die Partys hatten was von einem Geheimtreffen der Frauen, die im Verborgenen ihre Freiheit zelebrierten. Zugleich passte das Geschäftsmodell zur gängigen Vorstellung, dass der eigentliche Platz der Frau zu Hause sei - in der Küche, am heimischen Herd oder am Kühlschrank.
Das Ende der "Rülpsschüsseln"
Das Narrativ vom weiblichen Empowerment ist heute eng mit der Marke Tupper verknüpft. Für Verkaufscheffin Brownie Wise allerdings - die gefeierte Businness-Frau - ging die Geschichte nicht gut aus: Nach einer Meinungsverschiedenheit mit Tupper musste sie das Unternehmen, das sie groß gemacht hatte, 1958 verlassen, ohne Dank und ohne Abfindung.
Im selben Jahr verkaufte Earl Tupper das Unternehmen, das sich nun Tupperware Home Parties nannte, für 16 Millionen Dollar (umgerechnet 14,3 Millionen Euro) an die Rexall Drug Company und setzte sich zur Ruhe.
Doch war damit die Erfolgsgeschichte von Tupper noch nicht auserzählt: Geschäftsmodell und Produkte verbreiteten sich über Europa, Asien und Lateinamerika. Seither wurde die Marke hauptsächlich über Tupperware-Partys und nicht mehr über Ladengeschäfte verkauft. Doch auch Design gehörte zur Markenstrategie: Seit 1982 hat Tupperware mehr als 280 Designpreise für seine Produktgestaltung und Funktionalität erhalten.
Der Konkurs des Unternehmens wird mit dem nachlassenden Interesse an seinen Produkten und dem schrumpfenden Gewinn begründet. Offenbar hat es Tupperware nicht geschafft, jüngere Käufer für sich zu gewinnen.
Überlebt hat allerdings die Verkaufsmethode: Von Kosmetika bis hin zu Sexspielzeug werden inzwischen zahllose Produkte nach dem Vorbild von Tupperware vertrieben - bei geselligen Verkaufspartys. Auch wenn jetzt eine Ära zu Ende geht, dürfte Tupperware Millionen von Menschen im Gedächtnis bleiben.
Aus dem Englischen adaptiert von Anastassia Boutsko.