Tunnel-Tourismus in Polen
29. Dezember 2015Darüber berichtete im Sommer die ganze Welt: Im niederschlesischen Waldenburg soll ein 1945 in der Erde verschwundener Zug voller Gold geortet worden sein. Seitdem stehen bei Touristen nicht mehr die Berge im Mittelpunkt, sondern die Bergwerke.
"Wir sind im Inneren eines Berges namens Osówka. Hier wurde im Zweiten Weltkrieg ein unterirdisches Labyrinth von Gängen angelegt." Zdzisław Łazanowski ist Vorsitzender eines Vereins, der ein öffentliches Museum unter dem Titel "Unterirdische Stadt der Nazis" betreibt. Im Bauch des Bergs Osówka mussten im Zweiten Weltkrieg tausende Häftlinge aus dem nahegelegenen KZ Groß-Rosen an einem Nazi-Großprojekt arbeiten, das bis heute Rätsel aufgibt. Waffenfabriken, Rückzugsgebiet für die Oberen von Wehrmacht und SS, ein neues Führerhauptquartier: Daran baute man hier im Eiltempo kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.
Niemand weiß, wie groß und verzweigt das Gelände ist - und was dort im Einzelnen geschah. Alle Baupläne und Dokumente gingen verloren.
Auf den Spuren des Goldzuges
Nach ein paar Schritten durch den Stollen, durch den ohne Weiteres ein Lastwagen passen würde, hält Zdzisław Łazanowski inne. Er weiß, was die Besucher am meisten beschäftigt. In der Gegend geht seit langem das Gerücht um, unter der Erde sei ein Goldzug verborgen. Ein deutsch-polnisches Schatzsucherduo hatte dieses Gerücht mit dem Hinweis auf eigene Georadar-Messungen zur Gewissheit erklärt. Ein gepanzerter Eisenbahnzug, womöglich mit Goldbarren aus den Breslauer Banktresoren, oder wenigstens mit wertvollem Archivmaterial und Kulturgütern wäre bei Kriegsende nahe der Stadt Waldenburg unterirdisch versteckt worden.
Beweise gibt es aber immer noch nicht, dafür umso mehr Spekulationen. Spekuliert wird auch darüber, dass es zwischen den Bergstollen von Osówka und den unterirdischen Gleisanlagen nahe Waldenburg, mehr als 20 Kilometer entfernt, einen Verbindungsweg gibt. Zdzisław Łazanowski bedient die Neugier seines Publikums mit einem vagen Scherz: "Wenn wir jetzt zum Ende dieses Korridors laufen, dann eine Kehrtwende von 45 Grad machen und 242 Meter laufen - da gibt es so eine Stelle im Stollen. Und wer dort die Hand auflegt, der wird hören, wie dieser Zug in 20 Kilometern Entfernung vibriert."
Auf insgesamt bis zu 200 Quadratkilometern soll sich das Stollensystem unter dem Eulengebirge und der Stadt Waldenburg erstrecken. Die Nazis nannten das Ganze "Projekt Riese". Nur wenige Teile von "Riese" sind heute für die Besucher zugänglich.
Wandel im Tourismus
Nördlich des Eulengebirges im Waldenburger Bergland lag bis zur Wende das Zentrum des niederschlesischen Steinkohlenreviers. Doch seit langem lebt man in der malerischen Stadt Waldenburg, polnisch: Wałbrzych, mit ihren rund 100.000 Einwohnern nicht mehr von der Kohle.
Auch hier, in Wałbrzych ist die Bedeutung des Tourismus stark gewachsen. Das viereinhalb Hektar große Gelände der früheren Steinkohlenzeche Julia mitten in der Stadt hat man in ein großes Bergwerksmuseum verwandelt, dazu ein Zentrum für Wissenschaft und Kunst samt Hotel eingerichtet: Stara Kopalnia, auf Deutsch "Alte Zeche". 2014 wurde es eröffnet. Die Gerüchte um einen Goldzug an der Bahntrasse bei Waldenburg haben auch in der Stara Kopalnia die Besucherzahlen hochschnellen lassen, erzählt Direktorin Anna Żabska: "Es kursiert das Gerücht, dass es hier mindestens drei Goldzüge gab. Experten sagen, dass gerade das Bergwerk Julia, auf dessen Gelände wir uns gerade befinden, mit seinen Schächten und seinen 200 Kilometer Stollen ein idealer Ort ist, um verborgene Schätze zu heben. Im Rahmen des Projekts "Riese" könnte unser Bergwerk über Tunnel und Schächte mit dem Schloss Fürstenstein verbunden sein."
Fürstenstein nahe Waldenburg ist ein viel besuchtes Schloss, das größte in Schlesien. Unter dem Schloss wurde im Zweiten Weltkrieg ebenfalls am Projekt "Riese" gebaut. Der Andrang der Besucher gilt nicht nur dem majestätischen Renaissancebau, sondern auch den Tunnelbauten darunter. Verkäufer im Ritterkostüm bieten Goldbarren aus Schokolade an – in Anspielung auf den Goldzug. Anna Żabska ist sich sicher: "Wir nutzen das Interesse der Welt an diesem Goldzug, um für die ganze schöne und geheimnisvolle Region von Waldenburg und für das Eulengebirge zu werben."
Mit Metallfelddetektoren haben kürzlich Geologen von der Universität Krakau bei Untersuchungen allerdings keine Anzeichen für den ominösen Goldzug gefunden. Die Existenz eines Tunnels sei dennoch nicht ganz unwahrscheinlich.