Tuchel verspielt Sieg
11. März 2017Diese Niederlage tut weh. Gegen Hertha BSC verliert Borussia Dortmund knapp mit 1:2 und verpasst so den fünften Sieg in Folge. Gleich vier Spieler hatte Trainer Thomas Tuchel im Vergleich zum Champions-League-Sieg gegen Lissabon ausgetauscht - zu viel für die junge Dortmunder Mannschaft. Allen voran erwischte der für Sokratis ins Team gerückte Matthias Ginter einen schwarzen Tag und verschuldete beide Gegentreffer. Lediglich der prall gefüllte Gästeblock wurde den Erwartungen gerecht - pausenlos feuerten die Dortmunder Fans ihren BVB an. So war es eine Selbstverständlichkeit für die Spieler, sich bei den Anhängern nach dem Schlusspfiff auch zu bedanken.
Nur einer fehlte: Thomas Tuchel. Wie so oft war der 43-Jährige bereits kurz nach Spielende in den Katakomben des Berliner Olympiastadions verschwunden. Kein Gruß, kein Blick zu den mitgereisten Fans. "Die mangelnde Effektivität hat uns heute um drei Punkte gebracht. Das ist sehr ärgerlich", analysierte Tuchel nach dem Spiel. Er ist ein Kopfmensch, der seine Emotionen meist ganz gut im Griff hat. Anders als sein Vorgänger. "Wir haben uns mit Jürgen Klopp zu 100% identifiziert", erklärt BVB-Fan Robert. "Tuchel ist aber ein anderer Typ Mensch. Einige haben ihm den Beinamen 'Fußball-Professor' gegeben. Er redet einfach manchmal zu lange und zu indirekt."
"Kloppo" hinterlässt große Fußstapfen
Das Verhältnis zwischen den Anhängern und Tuchel ist kompliziert und eher kühl. Seine Emotionen behält der Trainer meist für sich, bei Heimspielen wagt er sich nicht vor die Südtribüne im Dortmunder Stadion. "Ich wüsste gar nicht, wie ich das machen soll, und wahrscheinlich würde es furchtbar werden", sagte Tuchel vor einigen Wochen in einem Interview mit dem WDR. Fan Robert dagegen glaubt, dass "Tuchel spürt, dass noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist, von alleine vor die Süd zu gehen. Ich denke, er wartet bis die Fans ihn dazu auffordern."
Emotionen sind bei einem Verein wie Borussia Dortmund wichtig. Sie werden von den Fans und vom gesamten Umfeld mehr oder weniger eingefordert und gelebt. Auch deshalb trauern viele Anhänger immer noch Jürgen Klopp nach. Der ehemalige Trainer hat den BVB komplett umgekrempelt, dem Verein neues Leben eingehaucht und ihn international bekannt gemacht. Die Fußstapfen, die "Kloppo" hinterlassen hat, wären für jeden Nachfolger zu groß gewesen. Auch für Thomas Tuchel. Dabei ist der aktuelle Übungsleiter einer der besten Trainer, die es momentan auf dem Markt gibt. Taktisch herausragend und auch in der Analyse stark.
Tuchel gibt selten Fehler zu
Doch auch Tuchel macht Fehler und hinterlässt manchmal Fragezeichen, wenn er mal wieder zu viel rotiert oder Leistungsträger ohne erkennbaren Grund auf die Bank setzt. Er habe sich "vercoacht" heißt es dann schnell. Der 43-Jährige steht unter ständiger Beobachtung - von den Fans, aber auch von den BVB-Bossen. Bleiben dann auch die Ergebnisse aus, wird es schwer für den ehemaligen Mainzer.
"Klopp hatte nach Fehlern den Arsch in der Hose, vor die Kameras zu treten und die Fehler auf seine Kappe zu nehmen. Bei Tuchel hat man immer das Gefühl alle anderen seien Schuld nur er eben nicht", kritisiert auch Robert. "Deswegen muss er zwangsläufig Erfolg haben, um so den Schulterschluss mit der Fanszene zu schließen." Es ist momentan eben nur ein professionelles Verhältnis. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Von den Fans wird er akzeptiert, aber nicht verehrt.
"Manchmal habe ich mich geschämt"
Mit schwankenden Leistungen hat der BVB das Verhältnis zu den Anhängern in dieser Saison oft auf die Probe gestellt. Einer brillanten Leistung folgte oft eine unterirdische Vorstellung. Nach Galaauftritten in der Champions League, enttäuschten Tuchel und sein Team in der Bundesliga gegen vermeintliche leichte Gegner.
Der Trainer kritisierte, sichtlich genervt von den "nicht erklärbaren" Schwankungen, sein Team oft scharf. Die Mannschaft sei "gnadenlos durchgefallen" oder "ein einziges Defizit" - Tuchel wurde nach schlechten Spielen oft sehr deutlich. Klopp dagegen stellte sich fast ausnahmslos vor seine Elf. Das schätzten besonders die BVB-Anhänger. "Manchmal habe ich mich für Tuchels Aussagen echt geschämt. Das klang oft wie ein bockiger Teenager, was er von sich gegeben hat", sagt Robert. Eine Hassliebe sei es nicht, aber es gehe in die Richtung.
Das Verhältnis zur Fanszene ist angekratzt, auch das Spiel gegen in Berlin dürfte daran wenig geändert haben. Die Niederlage ist bitter, trotzdem hat der BVB noch alle Chancen, auch in der kommenden Saison in der Champions League vertreten zu sein. Auch wenn Hertha wieder etwas näher herangerückt ist. Und auch Platz zwei scheint nicht unrealistisch, denn auch Leipzig hat an diesem Spieltag verloren. Der ungeliebte Aufsteiger hat derzeit sechs Punkte Vorsprung auf die Tuchel-Elf. "Platz zwei gehört am Ende definitiv dem BVB", sagt Robert und grinst. Die Vizemeisterschaft dürfte wohl in die Kategorie "Erfolg" fallen und demnach auch Tuchels Verhältnis zu den Fans etwas verbessern. Dafür jedoch muss der BVB endlich den Schlüssel für Konstanz finden.