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TTIP:Wie viel Geheimniskrämerei darf sein?

Sabine Kinkartz5. Mai 2014

Seit einem Jahr verhandeln EU und USA hinter verschlossenen Türen über ein Abkommen zum Freihandel. Eine wachsende Bürgerbewegung wehrt sich. Wirtschaftsminister Gabriel verlangt mehr Transparenz.

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Symbolbild Flaggen USA & EU & Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa

"Stoppt TTIP" steht auf einem Plakat, das gegen die Mauern des Bundeswirtschaftsministeriums gelehnt ist. Davor haben sich ein paar in rote Jacken gekleidete Aktivisten der Demokratiebewegung Campact versammelt. "Wir wollen zeigen, dass die geplante Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA sehr umstritten ist und sehr viele Gegner hat", sagt Aktivistin Maritta Strasser. Fast 470.000 Menschen haben den von Campact initiierten Online-Appell bereits unterschrieben. "Jetzt am Wochenende sind allein noch einmal 4.000 dazu gekommen."

Campact-Aktivisten in Berlin
Bild: DW/S. Kinkartz

Tatsächlich interessiert immer mehr Menschen, was die EU und die USA seit einem Jahr hinter fest verschlossenen Türen verhandeln. In Brüssel und Washington heißt es, TTIP werde der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks einen kräftigen Schub geben, da Zölle und Handelshemmnisse verschwinden und Unternehmen Zeit und Kosten sparen würden. Bei vielen Bürgern wächst jedoch die Sorge, dass darüberhinaus EU-Standards bei Lebensmittelsicherheit oder Verbraucherschutz abgesenkt werden könnten.

Diffuse Ängste

"Wir haben Angst, dass uns der Markt mit hormonbehandeltem Fleisch, in Chlor desinfizierten Hühnchen, Genmais und dergleichen überschwemmt wird", sagt Maritta Strasser. "Gegen das Absenken von Zöllen und gegen fairen und freien Handel haben wir nichts." Darum gehe es bei TTIP aber auch nicht. "Wir haben kaum mehr Zölle, sondern es gibt vor allem sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse." Damit sei der Verbraucherschutz gemeint, Vorschriften zur Medikamentensicherheit und zur Finanzmarktregulierung und dergleichen. "Das sind demokratisch beschlossene Gesetze und die werden als Handelshemmnis einfach eingeklammert und man tut so, als könne man mit geheimen Verhandlungen einfach demokratische Mehrheitsentscheidungen aushebeln und überflüssig machen. Und so geht es nicht."

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kann die Bedenken durchaus verstehen. Bei den TTIP-Verhandlungen seien Fehler gemacht worden. "Wenn es an etwas mangelt in dieser öffentlichen Debatte, dann an Transparenz", sagt er auf einem "Dialogforum" in seinem Ministerium, zu dem eigens der US-Handelsbeauftragte Michael Froman aus Washington und der europäische Handelskommissar Karel De Gucht aus Brüssel angereist sind. Rund 300 Gäste drängen sich in der großen Aula des Wirtschaftsministeriums, darunter neben Politikern, Unternehmern und Lobbyisten auch zahlreiche Umwelt- und Verbraucherschützer.

Veranstaltung zu Freihandelsabkommen TTIP Sigmar Gabriel
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (Mi.)Bild: picture-alliance/dpa

"Demokratie verträgt keine Geheimverhandlungen"

Auch Campact-Aktivistin Maritta Strasser hat sich unter das Publikum gemischt. Sie konfrontiert Gabriel, de Gucht und Froman mit dem bisherigen Ergebnis der Online-Petition. Der Wirtschaftsminister reagiert beinahe ungehalten. 470.000 Unterschriften für "eine Menge Vermutungen", das sei schon ein Kunststück. Kaum jemand wisse doch, über was tatsächlich verhandelt werde. "Wo hier im Saal keiner weiß, was drinsteht, Sie auch nicht", sagt er an Strasser gewandt.

Das liege natürlich auch daran, sagt er mit einem Seitenblick auf seine Gäste und in schon etwas versöhnlicherem Ton, dass sich die EU-Kommission und die Vereinigten Staaten schwer tun würden, Verhandlungsmandate und den Ablauf von Verhandlungen öffentlich zu machen. Der Sozialdemokrat Gabriel würde das gerne ändern. "Ich glaube, dass das klug wäre. In einem aufgeklärten Jahrhundert wie dem 21. kann man solch schwierige Verhandlungen nicht als quasi Geheimverhandlungen führen."

Ein Vergleich, den EU-Kommissar de Gucht so nicht stehen lassen will. "Ich habe nichts zu verstecken", sagt er. Auch er sei für mehr Transparenz und die Kommission habe bei TTIP inzwischen mehr Unterlagen als jemals zuvor im Internet veröffentlicht. "Sie werden mehr als ihren Sommerurlaub brauchen, um alles zu lesen." Auf Wunsch der USA aber müsse die Vertraulichkeit von bestimmten Dokumenten akzeptiert werden, fügt de Gucht hinzu.

Schwierige und komplexe Themen

Im Umgang mit Transparenz auf der einen und Vertraulichkeit auf der anderen Seite gebe es unterschiedliche Traditionen, erklärt hingegen US-Verhandlungsführer Froman. "Unsere Abgeordneten müssen erst entscheiden, was sie befürworten können, dann können wir es auf den Tisch legen." Ihre Meinung würden sich die Parlamentarier in Ausschüssen bilden, in denen Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen säßen.

US-Verhandlungsführer Michael Froman (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
US-Verhandlungsführer Michael FromanBild: picture-alliance/dpa

Er kenne aber auch keine Verhandlungen, bei dem jeder vorab seine Verhandlungspositionen offenlege, so Froman, der als Vertrauter von US-Präsident Barack Obama gilt. Jede Seite habe schließlich die Aufgabe, für ihre Bevölkerung das Beste zu erreichen und da sei es nicht gut, "alles offen auf der Stirn geschrieben" zu sehen.

Froman spricht lieber über die Vorteile, die ein Freihandelsabkommen bringen würde. Seiner Ansicht nach wären es vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die profitieren würden, wenn Handelshemmnisse abgebaut würden. Schon jetzt entfällt fast die Hälfte der globalen Produktion sowie ein Drittel des globalen Handels auf die USA und die EU. Waren im Wert von drei Milliarden US-Dollar werden pro Tag gehandelt, das sind fast eine Billion Dollar pro Jahr. "Andere Länder stehen aber nicht still und die Frage ist doch, wer wird die Regeln setzen und wer wird sie nur akzeptieren müssen?"

Streitfall Gentechnik

Die Sorgen von Verbrauchern und Umweltschützern vor geringeren Standards halten sowohl Froman als auch de Gucht für überzogen. "Wir werden ein Abkommen erreichen, das die jeweiligen Werte und Prinzipien aufrecht erhält", sagt de Gucht. "Die EU-Regelungen zum Hormonfleisch und anderem werden sich nicht ändern." Umwelt- und Verbraucherschutz würden nicht abgebaut, der Datenschutz dürfe nicht unterminiert werden. "Es wird keine niedrigeren Standards geben", ergänzt Froman. Das gelte für alle Bereiche. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht Babys füttern mit Chemikalien, die wir nicht vorher getestet haben."

Wer genau hinhört, der vernimmt allerdings auch Zwischentöne. "Wir möchten niemandem diktieren, was er essen soll", antwortet Froman auf die Frage eines Vertreters des Bundes für Umwelt und Naturschutz, der wissen möchte, wie europäische Verbraucher in Zukunft sicherstellen können, dass sie Lebensmittel kaufen, die ohne den Einsatz von Gentechnik hergestellt sind. Jeder könne seine Lebensmittel selbst auswählen, ergänzt Froman, es stehe ihm doch frei, Bio-Produkte zu kaufen.

Karel de Gucht beschwichtigt. Beim Thema Gentechnik gebe es bestehende Gesetze und die würden sich nicht ändern, verspricht er. Ähnlich äußert sich Sigmar Gabriel. "Wo wir unterschiedliche Vorstellungen haben, werden wir das gegenseitig akzeptieren müssen." Viele Dinge, für die in Europa hart gekämpft worden sei, stünden nicht zur Disposition. Stattdessen müssten mit einem neuen Handelsabkommen Spielregeln für die ganze Weltwirtschaft vorgegeben werden. "Ein transatlantisches Abkommen soll und muss neue Maßstäbe für die wirtschaftliche Globalisierung setzen." Für die TTIP-Gegner müsse dabei klar sein: Was im transatlantischen Bündnis nicht erreicht werde, könne auch nie globaler Standard werden.

Investitionsschutz unnötig

Allerdings will auch Gabriel das Abkommen nicht zu jedem Preis. Beim Thema Investitionsschutz bleibt er hart. Zwischen zwei hoch entwickelten Rechtsstaaten brauche man keine besonderen Investitionsschutzregeln. Zusätzliche Institutionen wie Schiedsgerichte für Streitigkeiten zwischen Staaten und Unternehmen seien unnötig. "Die Reversibilität von Entscheidungen ist das Grundprinzip der Demokratie und darf durch nichts in Frage gestellt werden." Die USA sehen das anders, sie verlangen zusätzliche Vereinbarungen zum Schutz von Investoren. Durch höhere Standards zwischen der EU und den USA könnte die Latte für das gesamte Welthandelssystem höher gelegt werden, so US-Verhandlungsführer Froman.

Bis Ende 2015 sollen die Verhandlungen über TTIP unter Dach und Fach sein. Bis dahin will der Bundeswirtschaftsminister noch einige "Dialogforen" veranstalten, um die Diskussion so offen wie möglich zu begleiten. Mit der ersten Veranstaltung dieser Art ist die Campact-Aktivistin Maritta Strasser durchaus zufrieden. In der Diskussion mit dem Publikum seien fast ausschließlich kritische Fragen gestellt worden, das zeige, wie groß der Argwohn gegen TTIP und der Wunsch nach einem tatsächlichen Mitspracherecht sei.

Wer hat das letzte Wort?

Noch glaubt Strasser nicht, dass das Freihandelsabkommen am Ende ein positives Ergebnis für die europäische Bevölkerung bringen wird. Am Verhandlungstisch würden weiterhin nur Politiker und Unternehmen sitzen und was da unter dem Einfluss der Lobbyisten ausgekungelt werde, darüber mache sie sich keine Illusionen.

Am Ende müsse sich die Bundesregierung fragen lassen, ob sie im Zweifel bereit sei, ein Abkommen abzulehnen, das dem zuwider laufe, was Gabriel jetzt verspreche. "Ich möchte gerne von Minister Gabriel definitiv hören, dass er im EU-Rat mit Nein stimmen wird gegen ein Abkommen, das strittige Klauseln enthält."

Fraglich ist noch, ob zum Schluss tatsächlich alle 28 nationalen EU-Parlamente über das Abkommen abstimmen werden. Wirtschaftsminister Gabriel lässt daran keinen Zweifel, auch wenn EU-Kommissar de Gucht diese Frage erst noch vor dem Europäischen Gerichtshof klären lassen will. "Wir brauchen eine breite demokratische Legitimation", warnt der Deutsche."Eine Abkehr von dieser Position würde die Verhandlungen gefährden und könnte sie am Ende scheitern lassen."