TTIP in der Krise?
24. Februar 2016Bernd Lange ist einer der wenigen Menschen, die außer den direkten Beteiligten die geheimen Texte der Verhandlungen zwischen der EU und den USA einsehen dürfen. Der Mann hat also einen gewissen Überblick: Lange ist Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament und zuständiger Berichterstatter für das umstrittene transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP). Mittlerweile läuft in Brüssel die 12. Verhandlungsrunde zwischen Amerikanern und Europäern. Dem SPD-Politiker aus Niedersachsen geht es zu langsam voran. Nur für die Hälfte der 25 Verhandlungskapitel gibt es bisher klare Ansagen der amerikanischen Verhandlungspartner, beklagt Bernd Lange gegenüber der DW.
"TTIP steckt in einer Krise. Ich würde das nicht unbedingt midlife-crisis nennen, weil ja nur ein Partner etwas krank ist. Das sind die Vereinigten Staaten. Die müssen deutlich in ihren Bemühungen zulegen und sich deutlich auf die Europäer zubewegen", sagte Bernd Lange. Der Handels-Beauftragte der USA, Michael Froman, sieht das anders. "Wir haben in den letzten sechs Monaten gute Fortschritte gemacht", gab Froman vor der aktuellen Verhandlungsrunde zu Protokoll. Die kniffligsten Fragen allerdings hat man bisher ausgeklammert. Wo und wie Investoren ihre Rechte einklagen sollen, welche Standards zum Bespiel im Maschinenbau gelten sollen und wie öffentliche Aufträge quer über den Atlantik vergeben werden sollen, sind ungelöste Fragen.
Die Zeit wird knapp
Zurzeit befinde man sich im "middle game" heißt es aus Verhandlungskreisen. Es würden erst mal alle Gespräche über die unkomplizierten Dinge erledigt. Die harten Nüsse spart man sich zum Schluss auf. Dieses middle game hält der TTIP-Experte Bernd Lange für riskant. Den Verhandlern läuft schlicht die Zeit weg. Bis zum Juli müsse ein sogenannter konsolidierter Text als Verhandlungsgrundlage vorliegen. Falls das nicht passiere, sei ein Abschluss in der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama nicht mehr zu schaffen. Auch da widerspricht der oberste Handelsbevollmächtigte der USA. Michael Froman sagte, man könne das schaffen. Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström schränkt allerdings ein, dazu brauche man viel Glück. "Einfach wird das nicht."
Der Berichterstatter des EU-Parlaments, Bernd Lange, sieht die innenpolitischen Probleme in den USA nach den Kongress- und Präsidentschaftswahlen im November eher wachsen. Die Republikaner seien neuerdings nationalistisch unterwegs und gegen neue Freihandelsabkommen. Die Demokraten stehen Freihandel traditionell kritisch gegenüber und sorgen sich um Investorenschutz und Arbeitnehmerrechte. Lange mahnt deshalb zur Eile.
Ballast abwerfen: Abkommen light?
Die amerikanische Seite, die an dem strategisch wichtigen Handelsabkommen durchaus noch interessiert ist, hat ein "TTIP light" ins Gespräch gebracht. Das könnte die schwierigsten Fragen erst einmal ausklammern, aber noch im Sommer verabschiedet werden. Auf europäischer Seite sieht man das skeptisch. Der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Reinhold Festge, ist nach Brüssel gekommen, um sich selbst ein Bild von den Verhandlungen zu machen. Der mittelständische Unternehmer lehnt "TTIP light" ab, denn seine Branche, der Maschinenbau, würde dann, weil sie so kompliziert und weit gefächert ist, mit Sicherheit ausgeklammert. "Das ließe sich leicht vom Tisch fegen, weil es eben so viel Arbeit macht", mutmaßt Reinhold Festge.
Beispiel Maschinenbau
Gerade für die Maschinenbauer wäre ein transatlantisches Abkommen aber ein Segen, glaubt der Verbandspräsident. Durch zu viel doppelte Regulierung, Genehmigungsverfahren und Dokumentationspflichten liegen die Kosten für eine seiner Maschinen, die in die USA exportiert wird, 19 Prozent über den Kosten für andere Märkte. Da hofft er auf Erleichterung durch TTIP. "Wenn es jetzt nicht klappt, dann werden wir einen dicken Rückschlag erleben. Dann werden wir vielleicht eine Orientierung der Amerikaner sehen, die nach Asien geht, was wir ja auch nicht wollen." Für den Maschinenbau sind die USA der wichtigste Markt weltweit. Den müsse man pflegen und ausbauen, so Festge.
Da US-Präsident Barack Obama im April zur wichtigsten Industriemesse nach Hannover kommt, hofft Unternehmer Reinhold Festge auf neue Impulse und Druck auf die zögerliche TTIP-Veranstaltung. "Ich glaube, wir haben die midlife-crisis inzwischen überstanden. Das Gute, was wir jetzt haben, und dadurch kommt ja jetzt auch wieder Bewegung rein, ist Präsident Obama. Augenscheinlich will Obama eine Entscheidung noch zu seinen Amtszeiten herbeiführen."
Keine Standards absenken
Von einem abgespeckten TTIP light hält auch der EU-Parlamentarier Bernd Lange wenig. Die Amerikaner hätten das vor allem vorgebracht, um ihnen unangenehme Verhandlungskapitel zu streichen. Das könnten die Europäer nicht hinnehmen. Gerade für den europäischen Mittelstand müssten Verbesserungen her. Die großen Konzerne wie Volkswagen bräuchten TTIP eigentlich gar nicht so dringend, da sie groß genug seien sich durchzusetzen, glaubt Bernd Lange. "Mir geht es wirklich um die 150 000 Klein-und Mittelbetriebe, die bisher schon auf dem amerikanischen Markt sind und die in Wertschöpfungsketten sind, die noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten haben. Also, wenn die nicht davon profitieren, dann braucht man wirklich kein Abkommen zu schließen."
Während in Brüssel die neue Verhandlungsrunde begann, protestieren vor den Türen die eingefleischten TTIP-Gegner. Umweltgruppen und Menschenrechtsorganisationen halten das Freihandelsabkommen für "undemokratisch und verbraucherfeindlich", sagte der Handelsexperte von Greenpeace Deutschland, Jürgen Knirsch. Der TTIP-Experte des Europäischen Parlaments, Bernd Lange, will diese Sorgen berücksichtigen.
"Ein Absenken der Standards bei den Verbraucherrechten, einen Angriff auf Arbeiternehmerrechte wird es mit uns nicht geben. Im Gegenteil: Wir wollen Standards entwickeln, die höher sind als das, was vielfach im Welthandel die Realität ist", verspricht Sozialdemokrat Lange. Ganz am Ende des Verfahrens muss das Europäische Parlament das TTIP-Abkommen noch genehmigen.
Erste Diskussion über Zankapfel Schiedsgerichte
Ein Thema, das besonders in Österreich und Deutschland zu heftigen Diskussionen geführt hat, sind die privaten Schiedsgerichte, bei denen Investoren ihre Ansprüche einklagen konnten. Die sollen nun durch öffentliche Gerichte ersetzt werden, fordert die europäische Verhandlungsdelegation. Das heiße Eisen soll in dieser Woche in Brüssel erstmals angepackt werden. Eine Stellungnahme der us-amerikanischen Seite gibt es noch nicht. Vielleicht sollen auch die Gerichte in einer "light"-Version von TTIP nicht auftauchen. Das "middle game" läuft.