"Wir suchen nach einer europäischen Lösung"
22. Mai 2012Sämtliche Regierungschefs der Eurozone bestehen darauf, dass sich Griechenland an die Vereinbarungen hält, die Voraussetzung waren, um die Kredite zu bekommen. Mit welcher Begründung wollen Sie ihnen im Falle einer Regierungsbildung gegenübertreten und Neuverhandlungen verlangen?
Eckpfeiler der europäischen Politik ist nicht die Austeritätspolitik sondern die Demokratie. Wir sollten das alle respektieren. Wenn ein Volk mittels Wahlen eine fehlerhafte Politik korrigiert, dann müssen die Vertragspartner sich mit den neuen Vertretern des Volkes, in diesem Fall des griechischen Volkes, an einen Tisch setzen und suchen, wo der Fehler liegt. Man soll ihn korrigieren und wieder in Ordnung bringen. Die Art und Weise, wie die konservativen oder besser gesagt die führenden Mächte in Europa auf den Hilfeschrei des griechischen Volkes reagieren, ist schuldbehaftet, weil sie nicht akzeptieren wollen, dass sie einen Fehler begangen haben.
Mit wem wollen sie aber in Europa verhandeln, wenn alle Ihren Wunsch nach Neuverhandlungen ablehnen?
Ich weiß, dass die politischen Kräfte, die heute Europa regieren, entweder neoliberal, konservativ oder sozialdemokratisch sind. Ich kenne aber keinen europäischen Vertrag, der es verbietet, dass auch andere politische Kräfte die Regierung übernehmen. Wenn wir also mit dem Votum des griechischen Volkes an die Regierung kommen, dann müssen alle europäischen Partner - unabhängig davon, ob sie uns politisch nahestehen oder nicht - diese Entscheidung akzeptieren. Sie müssen uns als die neue Regierung des griechischen Volkes annehmen und nicht als eine politische Kraft, mit der sie nicht übereinstimmen.
Inwiefern sind Sie bereit, in der Frage der Kreditbedingungen Kompromisse zu schließen?
Wir sind bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um die Rechte des griechischen Volkes zu vertreten. Wir fordern nichts Absurdes, wenn wir Kompromisse von unseren Partnern verlangen. Das angewandte Programm ist gescheitert. Wir wenden uns an die deutschen Bürger, an die deutschen Steuerzahler - und fragen Sie: Wie lange noch stecken Sie ihr Geld in ein Fass ohne Boden? Sie können nicht ständig in ein ineffektives Programm investieren. Denn wenn das weitergeführt wird, dann wird in wenigen Monaten Griechenland ein drittes Kreditpaket und einen zweiten Schuldenschnitt nötig haben. Wie gesagt, wir behaupten nichts Absurdes. Absurd ist es, wenn die europäischen Regierungen auf einem Fehler beharren. Der Fehler muss korrigiert werden.
Was läuft Ihrer Meinung nach falsch?
Wir dürfen uns nicht auf das Symptom konzentrieren, sondern müssen auf die Ursache der Krise schauen. Und diese Ursache hängt mit der Architektur zusammen, auf der der Euro basiert: Zum einen ist es die Schwäche der EZB, die ihre Rolle als Zentralbank in einer Währungsunion nicht ausfüllt. Zum anderen ist es die politische Schwäche der EU, sich nicht gegen die Finanzmärkte durchzusetzen.
Teil der Kreditvereinbarungen sind nicht nur Lohn- und Rentenkürzungen, sondern auch Strukturreformen, die den Staat betreffen. Es sind Maßnahmen gegen Korruption und Steuerflucht – wollen Sie das auch?
Ohne Frage, diese Strukturreformen hätten schon seit längerem umgesetzt werden müssen. Wir, bis vor kurzem eine kleine politische Kraft, haben auch früher Kritik an den Strukturen des griechischen Staates geübt und haben verlangt, dass sich vieles ändert. Damit aber die Strukturmaßnahmen erfolgreich realisiert werden können, braucht es ein wirtschaftlich stabiles Umfeld. Wenn wir uns schon im fünften Jahr in der Rezession befinden, in deren Folge das Bruttoinlandsprodukt um 20 Prozent sank, und wenn wir uns in einem wirtschaftlichen Niedergang befinden, den kein europäisches Land je in Friedenszeiten erlebt hat, dann wird man auch keine der erwünschten Reformen umsetzen können.
Wie steht es eigentlich um die vereinbarte Privatisierung von Staatsbesitz?
Wir glauben nicht daran, dass alles unter staatlicher Kontrolle bleiben muss, dass zum Beispiel die Kasinos in Staatsbesitz sein müssen. Wir glauben aber, dass die Energiewirtschaft und die Telekommunikation in staatlichem Besitz sein sollten. Andernfalls kämen auf die Bürger horrende Kosten zu. Wir sind also der Meinung, dass der Staatsbesitz dem Nutzen der Gemeinschaft dienen soll und nicht für einen Apfel und ein Ei verscherbelt werden darf.
Sie waren eine Partei der vier Prozent, jetzt haben Sie 17 Prozent erhalten, demnächst werden Sie wahrscheinlich 20, 24, 28 Prozent bekommen und vielleicht auch die Regierung stellen können. Stimmen Sie mit mir überein, dass die neuen Wähler keine linken Wähler sind, sondern mehrheitlich eher Protestwähler, und dass sie womöglich auch keine linken Lösungen suchen, weder für Griechenland noch für Europa?
Alles was in Griechenland geschieht, kann ein Auslöser für fortschrittliche Lösungen in Europa sein. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die aktuelle Krise keine griechische Krtise, sondern eine europäische ist. Also müssen wir auch nach einer europäischen Lösung suchen. Was die Zusammensetzung unserer Wähler betrifft: Sobald ein Stimmzettel in der Urne liegt, ist ihm weder anzusehen, wer ihn eingeworfen hat, an was dieser Wähler glaubt und warum er so gewählt hat. Aber ich kann nachvollziehen, dass die Dynamik, die Syriza jetzt trägt, von der Verzweiflung des griechischen Volkes und der Verelendung nach zwei Jahren Kürzungsmaßnahmen angetrieben wird. Andererseits gilt aber auch, und das sollte man nicht übersehen, dass wir den Menschen Hoffnung geben. Seit die Krise ausgebrochen ist, haben wir Vorschläge unterbreitet. Wir haben nicht die Katastrophe propagiert und auch nicht auf die Verelendung der Menschen gesetzt, um davon zu profitieren. Wir setzen auf Wachstum. Wir suchen nach einer europäischen Lösung auf der Basis von Wachstum und sozialer Gerechtigkeit.