Eine Wahl, zwei Sieger, kein Gewinner
20. Januar 2019Das Drama ist perfekt. Während das kongolesische Verfassungsgericht den Kandidaten Félix Tshisekedis zum Sieger deklariert, ruft sich sein Konkurrent Martin Fayulu selbst zum Präsidenten aus - und seine Anhänger auf die Straße. Am Ende jener Nacht steht nicht nur die Afrikanische Union (AU) brüskiert da, sondern auch der frisch bestätigte Wahlsieger Tshisekedi.
Bereits Samstagmittag feiern mehrere Hundert Anhänger Félix Tshisekedis vor dem Verfassungsgericht in Kinshasa. Sie wollen sich ihre Freude über den Wahlsieg vor rund eineinhalb Wochen nicht von der Afrikanischen Union (AU) verderben lassen. "Kagame, lass den Kongo uns Kongolesen", singen sie. Ihre Botschaft richtet sich an Paul Kagame, AU-Präsident und Staatschef Ruandas. Schweißgebadet hüpfen sie im Takt, tanzen, rufen Parolen, halten Plakate in die Luft. Stundenlang.
In der ersten Reihe steht ein aufgebrachter junger Mann, Fiston Kabongo: "Nein, nein, nein, es gibt niemanden, der dem Verfassungsgericht vorschreiben kann, die Arbeit zu unterbrechen", brüllt er. "Das Gericht hat das Recht zu entscheiden. Wir wollen keine Einmischung in unser Land".
"Ernsthafte Zweifel"
Einmischung oder Warnung vor möglicher Manipulation? Nicht nur die AU äußerte "ernsthafte Zweifel" am Wahlergebnis. Auch die katholische Kirche hat unter Berufung auf ihre rund 40.000 Wahlbeobachter erklärt, Thisekedi habe die Wahl verloren. Frankreichs Außenminister Jean Yves le Drian gehört ebenfalls zu den Kritikern. Sie sehen Martin Fayulu mit rund 60 Prozent der Stimmen weit vor Tshisekedi und Emmanuel Shadary, den urprünglichen Favoriten des scheidenden Autokraten Joseph Kabila, der die DR Kongo seit 2001 regierte.
Tshisekedi und Emmanuel Shadary würden in Wahrheit bei etwas weniger als 20 Prozent liegen, so die Schätzungen. Mit einem Unterschied: Einen herbeigemogelten Wahlsieg eines einstigen Oppositionspolitikers Tshisekedis würde das kongolesische Volk eher schlucken. Deshalb habe Kabila einen Koalitionsdeal mit dem politisch unerfahrenen Tshisekedi geschlossen. Seine Macht könnte Kabila sich durch Mehrheiten in den Parlamenten sichern.
Spätestens als die Richter am Samstagmittag ein Schreiben vor dem Haupteingang des Verfassungsgerichtes anhefteten, das ein Urteil für 15 Uhr ankündigte, war klar: Die Regierenden im Kongo wollen Souveränität demonstrieren. Die AU-Delegation, die am Montag in Kinshasa erwartet wird, wird nichts mehr vorfinden, über das sich verhandeln lässt. Am Dienstag könnten sie in der Zuschauerreihe die Vereidigung des neuen Präsidenten verfolgen, wenn der Termin bestätigt werden sollte.
Achteinhalb Stunden später, Samstagnacht um 23.30 Uhr: Die Hymnen von Tshisekedis Anhängern hallen noch immer über den Platz vor dem Gerichtsgebäude, in dem die Verfassungsrichter in blauen Roben gekleidet den Saal beschreiten, streng beäugt vom Noch-Staatschef Kabila, der als Porträt auf die Richterbank herab blickt.
Ebola verhindert Wahl
Der Vorsitzende Richter Noël Kilomba wiederholt die Debatte der vorher gegangenen Anhörung, darunter die Forderungen der Anwälte Fayulus: "Das Gericht wird die Neuauszählung aller Kandidaten anordnen, für alle Kandidaten, Wahlbüro für Wahlbüro", gab sich Toussant Ekombe am Dienstag noch zuversichtlich. Dann aber lassen weder er noch Fayulu selbst sich im Gerichtssaal blicken.
Auch die Frage Fayulus blieb unbeantwortet: "Wie kann jemand als Präsident vereidigt werden, wenn in den Regionen Beni, Butembo und Yumbi die Wahl aus Sicherheitsgründen und wegen eines Ebola-Ausbruchs verschoben wurde?" Und: "Es ist gegen das Wahlgesetz, Wähler ihres Wahlrechts zu berauben!"
Fayulus Anwälte schleppten Kisten randvoll mit schmalen Zetteln in den Gerichtssaal, auf denen die Ergebnisse nach der Auszählung vor den Augen der Wahlbeobachter notiert worden waren. Dies sei der angebliche Beleg für einen massiven Wahlbetrug.
Alles umsonst. "Das Verfassungsgericht erklärt, der Meinung des Prokuristen folgend, die Beschwerde wegen einer doppelten Einreichung des ersten Dossiers und rechtlichen Mängeln bezüglich des Beschwerdeführers für unzulässig", urteilt Richter Noël Kilomba. Damit bezieht er sich unter anderem auf Fayulus Anwalt, der nicht ordnungsgemäß die nötigen Papiere hätte vorweisen können, um im Namen des Oppositionsbündnis zu handeln.
"Munition" für die Siegesfeier
Während die beiden Anwälte, die Fayulu entsandt hat, kommentarlos aus dem Gerichtssaal rauschen, recken die Anwälte und Mitstreiter von Tshisekedi Victory-Zeichen in die Höhe, umarmen sich, nehmen überschwengliche Anrufe entgegen. Noch vor dem Einlass in den Saal zeigte einer von ihnen auf die Bündel an Geldscheinen, "Munition", die er für die Feier danach in den Innentaschen seines Jackets gestopft hatte.
"Das ist ein Gefühl der Befriedigung", kommentiert Jean Baudouin Mayo, Generalsekretär der von Tshisekedi's Partnerpartei UNC. "Eine enorme Befriedigung nicht nur für uns Anwälte, sondern für alle in diesem Land. Es wird Frieden und Stabilität geben". Die Hand zu Fayulu sei ausgestreckt.
Ein Satz, der in dieser Nacht immer wieder fällt. Etwa einen Kilometer entfernt, in einer Partei-Villa mit Pool, nicht weit vom mächtigen Kongo-Fluss entfernt, wird eine Ansprache Fayulus vorbereitet. Nachts um 1.30 Uhr, keine halbe Stunde nachdem sein Gegner Tshisekedi von den Verfassungsrichtern als Präsident bestätigt wurde, tritt Fayulu vor die Presse.
"Ich richte meine Rede an das kongolesische Volk, damit sie die Verantwortung selbst in die Hand nehmen, und friedliche Proteste im ganzen Land organisieren", sagt er, umringt von seinen engsten Vertrauten vor einem schmalen Holzpult. Weder das kongolesische Volk noch die internationale Gemeinschaft dürften Félix Tshisekedi als obersten Repräsentanten des Staates akzeptieren: "Ich betrachte mich als der einzig legitime Präsident der Demokratischen Republik Kongo".