Tschechien auf dem Weg nach Osten
31. Januar 2018Die Staatspräsidenten Russlands und Chinas gehörten zu den ersten, die herzlich gratulierten. Am vergangenen Sonnabend wurde Tschechiens Staatschef Milos Zeman für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Wladimir Putin lobte Zemans "hohe Autorität", Xi Jinping hob die "strategische Partnerschaft zwischen China und Tschechien" hervor.
Tschechische Beobachter wunderten sich nicht über die Worte der Gratulanten. Milos Zeman hat sein gutes Verhältnis zu den beiden Staatschefs in den letzten Jahren zunehmend zelebriert. Viele tschechische Politikwissenschaftler und Kommentatoren sehen ihr Land deshalb mit der Wiederwahl Zemans für die nächsten Jahre auf einem prorussischen, antieuropäischen Kurs. "Zeman hat gewonnen, wir gehen nach Osten", lautet das Fazit des bekannten linken Publizisten Martin Fendrych.
Krim - eine "vollendete Tatsache"
Ähnlich äußern sich im Gespräch mit der Deutschen Welle auch zwei der bekanntesten tschechischen Politologen: Jiri Pehe, ehemals außenpolitischer Berater des Staatspräsidenten Vaclav Havel und heute Leiter der New York University in Prag, und Jakub Janda vom Prager Think Tank "Europäische Werte", der seit langem die tschechisch-russischen Beziehungen studiert. Beide sind überzeugt, dass Zeman seine Anti-EU-Rethorik beibehalten und weiterhin versuchen werde, Tschechien enger an Russland und China zu binden.
Tatsächlich ist Zeman in den letzten Jahren zumindest rhetorisch so weit auf Russland zugegangen wie kein anderer Staats- oder Regierungschef der Europäischen Union. Im Herbst letzten Jahres nannte er in einer Rede vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) die antirussischen EU-Sanktionen "schädlich und unwirksam" und die Annexion der Krim eine "vollendete Tatsache". Er schlug vor, die Ukraine für den Verlust mit russischen Öl- und Gaslieferungen zu entschädigen.
Die Rede sorgte für einen diplomatischen Skandal - wie vieles, was Milos Zeman äußert. Doch worin genau könnte - jenseits von Zemans Rethorik - eine weitere Abkehr Tschechiens von der EU und eine Annäherung an Russland und China bestehen? Immerhin hat der tschechische Staatspräsident nur wenige echte politische Befugnisse. Auf die Außenpolitik kann er außer durch die Ernennung von Botschaftern keinen Einfluss nehmen - theoretisch. Praktisch jedoch betreibt Zeman seine "private Außenpolitik", wie es einige Politologen nennen.
Eine strategische Orientierung
Auf seine Reisen nach Russland und China nimmt Zeman häufig einflussreiche tschechische Geschäftsleute mit und trägt dazu bei, ökonomische Deals einzufädeln. Zwei seiner wichtigsten Mitarbeiter sind an dieser Politik maßgeblich als Strippenzieher beteiligt: Vratislav Mynar, der Leiter seiner Kanzlei, und Martin Nejedly, einer seiner wichtigsten politischen Berater. Letzterer hat viele Jahre als Geschäftsmann in Russland gearbeitet und war bis 2015 Miteigentümer und Manager von Lukoil Aviation Czech, einer Tochterfirma des russischen Mineralölkonzerns Lukoil, die durch umstrittene Geschäftspraktiken auffiel und 2015 Bankrott anmeldete. Unter anderem wegen ihrer ungeklärten Verbindungen nach Russland und in postsowjetische Republiken haben bisher weder Mynar noch Nejedly Unbedenklichkeitszertifikate vom "Nationalen Sicherheitsamt" (NBU) erhalten und somit offiziell auch keinen Zugang zu geheimen Informationen.
Der Politologe Jakub Janda sagt, in den kommenden Jahren gehe es für Zeman und seine engen Mitarbeiter darum, strategische Geschäftsabkommen mit russischen und chinesischen Staatsfirmen auf den Weg zu bringen, darunter einen Milliardendeal mit russischen Firmen zur geplanten Erweiterung des Atomkraftwerkes Dukovany. "Zeman befürwortet solche Deals und bleibt umgeben von Beratern und Mitarbeitern mit dubiosen Verbindungen nach Moskau und Peking. Damit wird sich die Isolation Tschechiens von seinen westlichen Partnern tendenziell fortsetzen."
Ein Widersacher Zemans?
Ein Korrektiv dieser Politik könnte der einstweilen nur geschäftsführende Regierungschef Andrej Babis sein - unklar ist jedoch, in welchem Maß. Der Milliardär und Chef der rechtspopulistischen Partei "ANO" Babis ist De-facto-Eigentümer der Agrar- und Chemie-Holding Agrofert, die in großem Maße EU-Subventionen erhält und europaweit tätig ist, darunter auch in Deutschland. Babis ist daher auf eine enge Integration Tschechiens in die EU und auf gute Beziehungen nach Brüssel angewiesen. Er hat bereits mehrfach vor einer zu starken Orientierung Tschechiens nach Osten gewarnt, spricht sich aber anderseits wie Zeman gegen die antirussischen EU-Sanktionen aus. Insgesamt, so glauben Beobachter, werde er eine exklusiv an seinen Interessen ausgerichtete Außenpolitik vertreten.
Einen Ausblick auf seine pragmatische Schlingerpolitik lieferte Babis in den vergangenen Tagen: In Budapest trug er beim Gipfel der Visegrad-Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn letzte Woche die antieuropäische Rethorik Viktor Orbans weitgehend mit. Diese Woche plädierte er bei einem Besuch in Brüssel für eine aktivere Präsenz Tschechiens in der EU. "In den letzten Monaten haben Zeman und Babis als eine Art Tandem funktioniert", resümiert der Politologe Jiri Pehe. "Allerdings könnte Babis in manchen Fragen bald auch auf Kollisionskurs mit dem Staatspräsidenten geraten."
Ein Referendum über die EU?
Das betrifft beispielsweise die Frage eines Referendums über Tschechiens EU-Mitgliedschaft. Milos Zeman spricht sich für ein solches Referendum aus, obwohl er nach eigener Aussage für Tschechiens Verbleib in der EU stimmen würde. Babis ist strikt gegen ein Czexit-Referendum.
Manchen Beobachtern erscheint schon eine ernsthafte politische Debatte darüber als Alptraum. "Das Maximum, das wir von Milos Zeman noch erhoffen können", schreibt Petr Hinzejk, Kommentator der liberalen Zeitung Hospodarske noviny, "ist, dass er von der Befürchtung gebremst wird, im Geschichtsbuch eine negative Figur abzugeben, und dass er wohl nicht derjenige sein will, der die Tür zum Austritt aus der EU öffnet."