Tschechen in der Slowakei: Nicht immer gern gesehene Gäste
13. Mai 2002Prag, 7.5.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch
In slowakischen Zeitungen sind in den vergangenen Tagen Wahlanzeigen aufgetaucht. Daran wäre nichts verwunderlich, denn die Slowakei erlebt seit einigen Wochen intensive Kampagnen für die Parlamentswahlen im September. Die Inserate der tschechischen ODS (Demokratische Bürgerpartei - MD) bedeuten allerdings nicht, dass die Klaus-Partei nach zehn Jahren wieder in die Slowakei zurückkehren möchte, wo ihr Ableger in den Wahlen 1992 nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hat, um ins Parlament einzuziehen.
Von Parteien entdeckt
Die Partei von Vaclav Klaus will mit den Werbeanzeigen tschechische Landsleute ansprechen, die in diesem Jahr zum ersten Mal die Möglichkeit erhalten, im Juni an den tschechischen Parlamentswahlen teilzunehmen. Die ODS stellt in der Aufforderung "Tschechische Bürger, kommt zu den Wahlen" ihren südmährischen Spitzenkandidaten Vaclav Mencel vor, weil die Stimmen der Tschechen aus dem Ausland zu den Stimmen in diesem Wahlbezirk hinzugerechnet werden.
Das Ergebnis dieser Bemühung muss aber auch die schlimmsten Pessimisten enttäuschen. Von ungefähr 11 000 Tschechen mit tschechischer Staatsbürgerschaft, etwa ein Viertel der tschechischen Minderheit in der Slowakei, hat sich nur ein kaum wahrnehmbarer Bruchteil bei der tschechischen Botschaft in Bratislava registrieren lassen, konkret: 231 Personen.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dies weltweit die höchste Anzahl darstellt. Wie aber tschechische Diplomaten angeben, rechnet man damit, dass ein Teil der Bürger sich die Wahlausweise direkt aus Tschechien senden lässt oder sie selbst abholt. Diese müssen sich nicht im Voraus bei den Botschaften registrieren lassen.
Nach 1918 größte Welle
Die Wahlen sind einer jener seltenen Anlässe, an denen die tschechischen Politiker plötzlich ein Herz für die tschechische Minderheit entdecken. Auch wenn die Geschichte der tschechischen Emigration in die Slowakei mindestens bis in die Zeit der Hussitenkriege zurückreicht und das sogenannte Bibel-Tschechisch vom Ende des 16. Jahrhunderts noch Mitte des 19. Jahrhunderts die Sprache der slowakischen evangelischen intellektuellen Eliten war, verbindet man die wirklich bedeutende Einwanderungswelle der Tschechen in die Slowakei erst mit dem Entstehen der selbständigen Tschechoslowakei 1918. In der Slowakei, geprägt durch eine jahrzehntelange strenge Magyarisierung, fehlten nicht nur Staatsbeamte, Offiziere, sondern auch Mediziner, Professoren, technische Intelligenz und letztendlich sogar Schauspieler.
Im Herbst 1938, als mit dem Entstehen der autonomen Slowakei die totalitären Klerikalfaschisten die Macht übernahmen, begann das traurigste Kapitel des tschechisch-slowakischen Zusammenlebens, als Zehntausende Tschechen ihre Arbeit in Staatsdiensten verloren und nach Böhmen und Mähren vertrieben wurden.
Nach dem Krieg wurden zwar die normalen Beziehungen erneuert, aber eine erneute massive Einwanderungswelle von Tschechen in die Slowakei ereignete sich nicht mehr, Spannungen spürten die Tschechen laut den Worten eines Zeitzeugen, die sich entschlossen, in der Slowakei zu leben, allerdings bis in die 60er Jahre.
Ein neuer Exodus geschah erst mit dem Auseinanderfallen der Föderation 1993. "Sehr viele unserer Leute zogen nach Tschechien. Wer konnte, zog um", erklärt Marta Hrusovska von der Tschechischen Gesellschaft in der Slowakei. Hrusovska fügt hinzu, dass dieser Trend anhält, wenn auch bei weitem nicht so massiv. Nach Tschechien ziehen ihren Worten nach genauso junge Menschen, die dorthin wegen des Studiums gehen, aber auch wegen besserer Arbeitsbedingungen. Eine weitere wichtige Kategorie sind die Rentner, die in Tschechien nicht nur bessere soziale und gesundheitliche Einrichtungen finden, sondern auch deshalb zurückkehren, so Hrusovska, um in der "alten Heimat" ihren Lebensabend zu verbringen. Die Zahl de Tschechen in der Slowakei nimmt deshalb ständig ab. Im Jahr 1991 waren es noch 53 000, bei der Volkszählung 2002 nicht einmal mehr 45 000.
Zersplitterte Minderheit
Obwohl sich die Atmosphäre in der Slowakei gegenüber den Tschechen in den vergangenen Jahren bedeutend verbessert hat und in Bratislava und Kosice eine starke postföderale Nostalgie zu spüren ist, sieht sich die tschechische Minderheit einigen Problemen ausgesetzt. Deren Ursache ist nicht die Unlust der slowakischen Behörden bei der Anerkennung der Minderheitenrechte, sondern die Zersplitterung der tschechischen Besiedlung in der Slowakei. Eine kompaktere Ansiedlung gab es bei Trencin, die hussitischen Ursprungs war. Aber auch das ist Vergangenheit. Heute gibt es praktisch in der Slowakei keinen Ort mit einer höheren Konzentration von Tschechen. Daraus ergeben sich Probleme beispielsweise für tschechische Minderheitenschulen, weil bei der Zerstreutheit der Minderheit über das gesamte Staatsgebiet die Gründung tschechischer Schulen nur schwer durchführbar ist. Nur schwer verstehen auch die slowakischen Tschechen die Bemühungen Prags, die Erleichterungen des kleinen Grenzverkehrs einzuschränken. Andererseits ist Tschechisch im Wesentlichen in der Slowakei vollkommen gleichwertig mit dem Slowakischen. Allerdings schafft gerade die Nähe beider Sprachen Druck auf die Assimilierung besonders der zweiten Generation von Tschechen.
Eine große Veränderung wird aber für die tschechische Besiedlung in der Slowakei der gemeinsame Beitritt von Tschechien und der Slowakei zur Europäischen Union bedeuten, wenn zu erwarten steht, dass beide Nationen in den kommenden Jahrzehnten weiterhin Gemeinsames besitzen und - wie auch einige Fachleute nicht ausschließen - möglicherweise im Verlauf der Entwicklung zu einem Ganzen verschmelzen werden. (fp)