Tschad stimmt über Verfassungsreform ab
16. Dezember 2023Etwa acht Millionen eingetragene Wähler werden am Sonntag im Tschad an die Urnen gehen, um in einem Referendum darüber abzustimmen, ob das Land sich eine neue Verfassung geben soll. Ein Ja-Votum wird von einem breiten Bündnis von Parteien unterstützt, darunter die vom Militär geführte Übergangsregierung von General Mahamat Deby, die ehemals regierende Patriotische Wohlfahrtsbewegung (MPS) sowie die wichtigste Oppositionspartei, die Nationale Union für Demokratie und Erneuerung (UNDR) von Premierminister Saleh Kebzabo.
Während des zwanzigtägigen Wahlkampfs hielten die Befürworter nicht nur eine Auftaktveranstaltung mit zahlreichen Teilnehmern in der Hauptstadt N'Djamena ab. In dem großflächigen Land in der Sahelzone wurden zahlreiche weitere große Versammlungen abgehalten.
"Die Befürworter verfügen über sämtliche Mittel"
Mehrere Oppositionsparteien haben dazu aufgerufen, das Referendum zu boykottieren. Auch verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen sind gegen die neue Verfassung. Doch den Reformgegnern fehlt es nicht nur an Geld, sie sind auch den Einschüchterungsversuchen von Sicherheitskräften ausgesetzt, die Kundgebungen auflösen und Flugblätter beschlagnahmen.
Bei der Vorbereitung der Abstimmung wird zudem ein Mangel an Transparenz bei der Registrierung und Prüfung der Wahlberechtigten beklagt. Viele Beobachter sind daher der Meinung, dass die Befürworter das Referendum gewinnen werden. "Der Ausgang dieses Referendums steht bereits fest", sagt Cameron Hudson von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) unumwunden.
Remadji Hoinathy, ein leitender Mitarbeiter am pan-afrikanischen Thinktank Institut für Sicherheitsstudien (ISS), erklärt die Gründe für diese Prognose: "Das Ja-Lager hat Zugriff auf alle öffentlichen Ressourcen und verfügt über die politische Macht, die Menschen zu mobilisieren." Außerdem kontrolliere dieses Lager die Medien. "Die Befürworter verfügen über sämtliche Mittel, auch illegale, die Abstimmung zu gewinnen", sagt Hoinathy. Als frei und fair sei das Referendum daher nicht zu bezeichnen.
Zentralismus gegen Föderalismus
Die Gegner des Referendums kritisieren, dass die neue Verfassung geschrieben wurde, ohne vorher die Frage zu beantworten, ob das Land künftig föderal oder zentralistisch regiert werden soll. Der nun zur Abstimmung vorgelegte Entwurf schreibt erneut eine zentralistische Organisation fest. So war das Land seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 regiert worden.
Die Opposition würden das bettelarme Land gerne in einen föderalistischen Staat verwandeln, weil es den zentralistischen Regierungen nie gelungen sei, die Entwicklung voranzutreiben. Der Tschad ist laut dem Human Development Index der UN nach dem Südsudan das am wenigsten entwickelte Land der Erde. Die Befürworter eines zentralistischen Staates argumentieren dagegen, ein föderalistischer Staat würde das Land weiter fragmentieren, denn die verschiedenen Regionen sind von starken religiösen, ethnischen und stammesbedingten Spaltungen geprägt.
Referendum soll Weg für zivile Regierung bereiten
Nach dem Tod des Langzeitpräsidenten Idriss Deby übernahm eine von seinem Sohn Mahamat Deby angeführte Junta die Macht. Nun ist die Rückkehr zu einer zivilen Regierung geplant.
Eine der drei Säulen dieses Übergangs war ein inklusiver nationaler Dialog, in dem solche Themen wie eine Verfassungsreform und andere politische Fragen, die das Land spalten, behandelt werden sollten. Dieser nationale Dialog fand von April bis Oktober 2022 statt und schloss mit der Empfehlung, die Frage nach der Staatsform - föderalistisch oder zentralistisch - in einem Referendum zu klären. Dies wird mit der Abstimmung am Sonntag ignoriert.
Die Idee des Föderalismus ist populär
In einer Anfang des Jahres vom Tschadischen Journalisten- und Reporter-Netzwerk (Chadian Journalists and Reporters Network) veröffentlichten Umfrage sprachen sich 71 Prozent der Befragten für ein föderalistisches System aus. In den dem nationalen Dialog vorgeschalteten regionalen Dialogen wollten sich zehn der 23 Provinzen für den Föderalismus entscheiden, so Politikexperte Hoinathy.
Tschad ist flächenmäßig das fünftgrößte Land Afrikas. Etwa 200 ethnische Gruppen sind hier zuhause. In der Halbwüstenregion im Norden leben vor allem nomadische und halbnomadische Muslime, während der halbtropische Süden des Landes, in dem im großen Umfang Landwirtschaft betrieben wird, überwiegend von Christen und Animisten bevölkert wird.
"Die Mehrzahl der Regionen Tschads fordern eine stärkere Föderalisierung, die den verschiedenen Gruppierungen, die in diesen Gebieten dominant sind, größere lokale Zuständigkeiten und Autonomie zugesteht. So wie es zum Beispiel in Nigeria der Fall ist", erläutert US-Experte Hudson. Bei ihrem Nachbarn im Südwesten könnten die Regionen sehen, dass das föderalistische System recht gut funktioniere. Dieses System wollten sie nun übernehmen.
Einige Befürworter eines zentralistischen Staates werfen den Föderalisten vor, sie wünschten die Auflösung des Tschad als Land. Doch die Tschad-Expertin Helga Dickow, Politikwissenschaftlerin an der Universität Freiburg, widerspricht: "Sie wollen nur eine faire Teilhabe in der Politik und einen gerechten Anteil an den Ressourcen. Sie wollen nicht, dass all das von einer kleinen ethnischen Gruppe dominiert wird." Bisher seien es die Zaghawa, eine ethnische Minderheit im Nordosten des Landes, die Politik und Streitkräfte dominieren, seitdem Idriss Deby, ein Mitglied des Zaghawa-Clans, bei einem Staatsstreich 1999 die Macht ergriff. Deby regierte bis er 2021 aufgrund von Verletzungen starb, die er bei Kämpfen gegen Rebellen erlitten hatte.
Konsolidierung der Macht
Übergangspräsident Mahamat Deby will Beobachtern zufolge das Referendum über Föderalismus und Zentralismus vermeiden, um seine Macht zu konsolidieren: "Wenn Sie Diktator sind, ist ein föderalistisches System Ihren Interessen nicht sonderlich zuträglich", erläutert Cameron Hudson. Die Übergangsregierung sträube sich deshalb gegen eine Dezentralisierung und dränge auf einen Einheitsstaat.
Tschad-Expertin Dickow, die sich in diesem Jahr zwei Monate zu Recherchezwecken im Land aufhielt, teilt diese Meinung: Die Übergangsregierung versuche eindeutig, die Macht in der Hand zu halten, indem sie das zentralistische System beibehält, sagt sie. Ein zentralistisches System komme zudem den Sicherheitskräften zu Gute.
Als Idriss Deby starb, gab die Militärregierung das Versprechen, den Übergang zu einer Demokratie einzuleiten durch einen nationalen Dialog, eine Verfassungsreform und die Durchführung von Wahlen bis Oktober 2022. Die Ergebnisse des nationalen Dialogs haben viele enttäuscht, das Referendum ist umstritten und die Wahlen wurden um zwei Jahre, auf Oktober 2024, verschoben.
"Leider entsteht der Eindruck, dass dieser Übergang kein Übergang zu etwas Neuem ist", bedauert Hoinathy. "Was wir sehen, ist eine Verfestigung des Systems Deby, vielleicht sogar in einer schlimmeren Form."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.