Tränengas und Blendgranaten gegen Flüchtlinge
10. April 2016Im griechischen Grenzort Idomeni spitzt sich die Lage erneut zu. Mehrere Hundert Flüchtlinge und andere Migranten versuchten, an verschiedenen Stellen die abgeriegelte Grenze zu Mazedonien zu überqueren. Mazedonische Sicherheitsbeamte wehrten die Menschen mit Tränengas und Blendgranaten ab, wie die Athener Tageszeitung "Kathimerini" berichtete.
Einige Flüchtlinge seien nach dem Tränengaseinsatz umgekippt, berichteten die griechische Polizei und der griechische Senders ERT. Die mazedonische Polizei bestätigte die Vorfälle an der Grenze, wies aber den Einsatz von Tränengas zurück. Dafür sei "die griechische Polizei" verantwortlich. Auf mazedonischer Seite sei es "ruhig", erklärte ein Vertreter.
Steinwürfe und Explosionen
Der Zaun steht nicht exakt auf der Grenzlinie, sondern einige Meter landeinwärts auf mazedonischem Gebiet. Videos von Reportern vor Ort zeigen, wie die Menschen über eine große Weide in Richtung Grenzzaun rennen. Sie werfen Steine, die mazedonischen Sicherheitskräfte antworten mit Tränengas, dumpfe Explosionen sind zu hören. Tweets von Beobachtern vor Ort zeigen Menschen, die nach dem Einsatz von Tränengas behandelt werden müssen.
Ausgangspunkt für den erneuten Sturm auf die Grenze war demnach ein Flugblatt auf Arabisch, das bereits am Samstag verbreitet worden war. Darin wurden die rund 11.000 Bewohner des wilden Lagers aufgerufen, sich am Sonntagmorgen um neun Uhr für einen "Marsch auf die mazedonische Grenze" zu versammeln. Wer die Flugblätter verteilt und an Strommasten aufgehängt habe, sei bisher nicht bekannt.
Bereits Mitte März hatte ein ähnliches Flugblatt für einen Sturm auf den Grenzzaun gesorgt. Rund 2000 Flüchtlinge waren damals der Aufforderung gefolgt, einen reißenden Fluss zu überqueren. Drei Menschen waren dabei ertrunken. Wer es nach Mazedonien schaffte, wurde von den dortigen Sicherheitskräften umgehend zurückgeschickt. Griechische Medien vermuten, dass Aktivisten hinter diesen gefährlichen Aktionen stecken. Die freiwilligen Helfer stehen in Griechenland zunehmend in der Kritik, weil sie zum Teil eigene politische Ziele wie die Grenzöffnung verfolgen.
Sinkende Zahlen
Unterdessen zeigt das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei laut aktuellen Zahlen messbare Wirkung. In den drei Wochen, seit das Verfahren in Kraft ist, seien 80 Prozent weniger Migranten über die Ägäis nach Griechenland gekommen, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Neuen Angaben der EU-Grenzschutzbehörde Frontex zufolge sind es derzeit im Durchschnitt nur noch 337 Personen täglich - gegenüber zuvor 1676.
Eine NATO-Sprecherin wollte laut der Zeitung noch keine endgültigen Schlussfolgerungen ziehen; zunächst solle ein längerer Zeitraum beobachtet werden. Sie sagte aber, dass sich "nach bisherigen Informationen unsere Präsenz in der Ägäis positiv darauf auswirkt, einen Beitrag gegen illegalen Menschenschmuggel und illegale Migration in der Ägäis zu leisten". Nach Angaben der Zeitung ging auch die Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge zurück. Bis zum 21. März ertranken in diesem Jahr demnach 90 Personen im Mittelmeer, seither noch 5.
In Griechenland gestrandet
Am Wochenende setzten erneut 162 Flüchtlinge und andere Migranten von der türkischen Küste nach Griechenland über. Die Asylsuchenden kamen vor allem auf den Ägäis-Inseln Chios und Lesbos an, wie der Athener Flüchtlings-Krisenstab mitteilte. In ganz Griechenland halten sich den Angaben zufolge mittlerweile mehr als 53.000 Flüchtlinge und andere Migranten auf. Sie stecken fest, nachdem mehrere Staaten ihre Grenzen entlang der sogenannten Westbalkanroute für Menschen ohne gültige Reisedokumente und Visa geschlossen hatten.
Neuankömmlinge werden seit Inkrafttreten des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei am 20. März in Auffanglagern auf den Inseln festgehalten. Vor allem der "Hotspot" auf Lesbos ist deshalb längst überfüllt. Die Insel beherbergt laut Krisenstab mittlerweile knapp 4100 Flüchtlinge. Das Auffanglager sei jedoch nur für 2000 Menschen gedacht, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor Ort mit.
Der Vatikan kritisiert die dortige Lage. Die Voraussetzungen für einen "angemessenen Empfang" seien dort "unzureichend", sagte Kardinal Antonio Maria Veglio in einem Interview der vatikanischen Tageszeitung "Osservatore Romano". Mit seinem Besuch der Insel am kommenden Samstag wolle Papst Franziskus die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diese Zustände lenken. Zugleich wandte sich der Präsident des Päpstlichen Rates für Migranten gegen das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Es handele sich um eine "kurzsichtige" Vereinbarung, die die Steuerung der Flüchtlingsströme unter Achtung der Menschenwürde nicht zulasse.
stu/fab (afp, dpa, kna)