Tränengas für Trump
2. Juni 2020Über der 16. Straße kurz vor dem Weißen Haus liegt am späten Montagnachmittag ein seltsamer Klangteppich. Heimwerkergeräusche mischen sich mit Sirenen, Hubschrauberlärm und den Sprechgesängen von Demonstranten. Das Sägen und Hämmern kommt von Hotels, Bürogebäuden und Geschäften, wo Arbeiter nach den Ausschreitungen vom Wochenende die Fenster mit Spanholzplatten verbarrikadieren. Am Himmel kreisen Polizeihubschrauber, auf den Straßen sind die Gesetzeshüter mit Blaulicht unterwegs. Aber je näher man Lafayette Park, der Grünfläche vor dem Weißen Haus, kommt, desto mehr dominieren die Stimmen der Protestierenden.
"Sagt seinen Namen! - George Floyd" skandiert die Menge in Erinnerung an Floyd, dessen Tötung durch einen Polizisten vergangene Woche die landesweiten Proteste ausgelöst hatte. In Washington stehen am Montagnachmittag hauptsächlich junge Menschen vor dem Weißen Haus, viele von ihnen unter 30 Jahre alt. Eine von ihnen ist Mya. Für sie ist es die erste große Protestaktion. "Diese Form der Unterdrückung, die Ermordung schwarzer Menschen, gibt es in unserer Gesellschaft seit mehr als 400 Jahren", sagt die 21-Jährige. "Genug ist genug."
Fast alle Demonstranten tragen bei dem Protest Masken über Mund und Nase - Washington DC hat erst am Freitag mit der vorsichtigen Wiederöffnung nach strengen Coronavirus-Schutzmaßnahmen begonnen. Schwarze und weiße Demonstrierende sind etwa gleichstark vertreten. Immer wieder heben sie ihre Hände und rufen "Hands up, don't shoot!", in Anspielung darauf, wie brutal die Polizei mit unbewaffneten Afroamerikanern umgeht. Eine junge schwarze Frau trägt ein Poster, auf dem "Bin ich die Nächste?" steht.
Washington auf tagelange Proteste eingestellt
Um gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Polizei und Protestierenden Herr zu werden, hatte Washington DC die Ausgangssperre für Montagabend ausgedehnt. Am Sonntag begann sie noch um 23 Uhr. Am Montag war es den Menschen schon ab 19 Uhr verboten, sich auf der Straße aufzuhalten.
In der kommenden Nacht auf Mittwoch werden die gleichen Regeln gelten. Bürgermeisterin Muriel Bowser sagte am Montag: "Wir sind auf mehrere Tage dauernde Demonstrationen eingestellt." Am Wochenende waren mindestens 45 Millionen US-Amerikaner von einer Ausgangssperre betroffen, protestiert wurde in mittelgroßen Städten und Metropolen im ganzen Land.
Tränengas-Einsatz für den Präsidenten
In Washington bleibt die Situation vor dem Weißen Haus am Montagabend lange friedlich - obwohl die Menschen wütend sind. "Ich bin auch schon von der Polizei schikaniert worden", sagt Ahmed, ein junger Afroamerikaner, der mit seinen Freunden zur Demo gekommen ist. "Sie denken, sie hätten Macht über dich und diese Macht missbrauchen sie dann." Der 32-Jährige kritisiert aber auch die Menschen, die in den vergangenen Nächten Scheiben von Geschäften einschlugen und Autos und Häuser in Brand setzen. "Es ist völlig falsch, die eigene Stadt zu zerstören, oder ein Gebäude anzuzünden, um Aufmerksamkeit zu erregen."
Jenifer Gamber von der St. Patrick's Episcopal Church ist fest davon überzeugt, dass die Menschen, die am frühen Montagabend vor dem Weißen Haus demonstrieren, nicht die gleichen sind, die nachts mit Steinen Schaufenster einwerfen. Gamber steht vor der kleinen Kirche St. Johns, praktisch direkt gegenüber vom Weißen Haus, und verteilt mit anderen Helfern Wasserflaschen, Cracker und Müsliriegel an erschöpfte Protestierende. "Wir sind hier, um Gastfreundlichkeit und spirituelle Präsenz mit den Demonstranten zu teilen", sagt sie.
Wenig gastfreundlich wird es gegen 18:45 Uhr, als die Polizei Tränengas und Knallkörper vor die Füße der friedlichen Demonstranten feuert, und sie im Laufschritt vom Lafayette Park zurückdrängt - und das eine Viertelstunde vor Beginn der Ausgangssperre. Einige Protestierende rennen in Panik davon. Der Grund für die Aktion zeigt sich wenig später: Präsident Donald Trump wollte gern zu Fuß vom Regierungssitz zur St. John's Kirche laufen und hält vor dem kleinen Gotteshaus stolz eine Bibel in die Kameras.
"Ich will Gerechtigkeit"
Die 18-jährige Deborah bekommt von dem hart erkämpften Fototermin nichts mit. Sie steht einen Straßenblock entfernt hinter der nächsten Polizeilinie. Als es später wird, setzt sie sich direkt vor den Beamten mit ihren Mountainbikes auf den Boden. Die Müdigkeit ist ihr anzusehen, aber nur, weil die Ausgangssperre in Kraft getreten ist, will sie nicht aufgeben. "Ich will Gerechtigkeit für George Floyd und für alle, die jeden Tag von der Polizei getötet werden", sagt sie.
Auf die Frage, ob sie und die anderen Protestierenden einen Wandel herbeiführen können, hat Deborah eine klare Antwort. "Das müssen wir!", so die junge Afroamerikanerin. "Wir haben keine andere Wahl."