Trumps Mahnschreiben an die NATO-Partner
3. Juli 2018Was ein einziger Tweet bewirken kann, stellte US-Präsident Donald Trump im Juni unter Beweis, als er mit 280 Zeichen die Ergebnisse des kanadischen G7-Gipfels zunichte machte. Vor dem NATO-Gipfel, der am 11. Juli in Brüssel beginnt, hat Trump ein für ihn untypisches Kommunikationsmittel gewählt: In persönlichen Briefen forderte er Regierungschefs anderer NATO-Staaten dazu auf, mehr Geld für ihre Armeen auszugeben. Zugestellt wurden die Briefe offenbar bereits im Juni, nun veröffentlichte die "New York Times" Auszüge daraus, nachdem ihr die Schreiben zugespielt worden waren. Demnach gingen solche Briefe in mindestens ein Dutzend Länder, darunter Deutschland, Kanada, Norwegen, Belgien, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien.
An Bundeskanzlerin Angela Merkel schrieb Trump: "Wie wir während Ihres Besuchs im April besprochen haben, wächst in den Vereinigten Staaten die Frustration darüber, dass einige Verbündete nicht wie versprochen erhöht haben". Die "wachsende Frustration" über angeblich zu niedrige Verteidigungsetats sei nicht nur der Exekutive vorbehalten, ist im Brief zu lesen: "Der Kongress der Vereinigten Staaten ist ebenfalls beunruhigt."
Kritik an Deutschland besonders heftig
Das US-Magazin "Foreign Policy" will von Diplomaten erfahren haben, dass die nach Deutschland verschickte Version des Briefs einige der schärfsten Formulierungen enthält. "Die Vereinigten Staaten geben nach wie vor mehr Mittel für die Verteidigung Europas aus, während es der Wirtschaft des Kontinents, einschließlich Deutschlands, gut geht und die Sicherheitsherausforderungen vielfältig sind", heißt es in Trumps Brief. "Das ist für uns nicht mehr tragbar." Es werde immer schwieriger, vor den amerikanischen Bürgern zu rechtfertigen, warum manche Staaten sich nicht an der Last der gemeinsamen NATO-Sicherheitsarchitektur beteiligten, "während amerikanische Soldaten weiterhin im Ausland ihr Leben opfern oder schwer verwundet nach Hause kommen."
Schon vor einem Monat schrieb Trump in seinem eigentlich bevorzugten Medium, dem digitalen Kurznachrichtendienst Twitter, Deutschland investiere ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die NATO, während die USA vier Prozent ihres wesentlich größeren BIP einzahlten. "Glaubt irgendjemand, dass das Sinn ergibt?", fragt Trump und beklagt, trotz der US-Ausgaben für europäische Sicherheit wirtschaftlich übers Ohr gehauen zu werden. Der Tweet endet mit den Worten: "Der Wandel kommt!"
Das Budget des Bundesverteidigungsministeriums betrug 2017 rund 37 Milliarden Euro, lautBerechnungen der NATO waren das 1,24 Prozent des BIP. Für 2019 hatte Angela Merkel bei einem Besuch in Washington einen Anteil von 1,3 Prozent versprochen. In den Haushaltsberatungen, die in dieser Woche in Berlin stattfinden, wird ein Budget von 42,9 Milliarden Euro für das Jahr 2019 diskutiert. Das sind 650 Millionen mehr, als Finanzminister Olaf Scholz (SPD) im Frühjahr zugesichert hatte. Damit würde die Quote auf 1,31 Prozent steigen - in den darauffolgenden Jahren jedoch wieder auf 1,23 Prozent sinken. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will bis 2025 einen Wert von 1,5 Prozent des BIP erreichen.
Das umkämpfte Zwei-Prozent-Ziel
Deutschland hält seine Etatsteigerungen für ausreichend: Die NATO-Staaten hatten 2014 in Wales vereinbart, binnen zehn Jahren ihre Wehretats in Richtung zwei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistungen zu bewegen - damals hatte der Wert noch bei 1,18 Prozent gelegen. Die Richtung stimmt also; Trump besteht jedoch darauf, dass alle NATO-Staaten am Ende tatsächlich bei zwei Prozent landen. In dem von Trump unterzeichneten Brief heißt es wörtlich: "Dauerhaft zu niedrige deutsche Rüstungsausgaben untergraben die Sicherheit der Allianz und bestätigen andere Partner, die ebenfalls nicht planen, ihre Zusagen zu Militärausgaben einzuhalten, weil andere sich ein Vorbild an Deutschland nehmen."
Am wenigsten investierten im vergangenen Jahr laut NATO Luxemburg (0,46 Prozent des BIP), Belgien (0,90 Prozent) und Spanien (0,92 Prozent). Als einzige europäische Mitgliedsstaaten erfüllen Estland (2,06 Prozent), Großbritannien (2,12 Prozent) und Griechenland (2,36 Prozent) das Ziel. Trotzdem warnte US-Verteidigungsminister Mattis die britische Regierung, man würde verstärkt mit Frankreich kooperieren, sollten die Briten ihre Investitionen nicht genügend aufstocken. Die USA investieren mit 3,57 Prozent des BIP sowohl relativ als auch absolut den größten Betrag in ihr Militär: 686 Milliarden US-Dollar. Das entspricht mehr als 70 Prozent der Verteidigungsausgaben der gesamten NATO.
Erst NATO-Gipfel, dann Putin
Eine Zwischenbilanz auf dem Weg zum Zwei-Prozent-Ziel steht auf der Tagesordnung, wenn die 29 NATO-Staaten erstmals im brandneuen Brüsseler Hauptquartier des Bündnisses zusammenkommen. Insbesondere soll es beim Gipfeltreffen jedoch darum gehen, wie die Schlagkraft des Bündnisses erhöht werden kann - das betrifft nicht nur eine Aufstockung der Eingreiftruppen, sondern auch, wie sie schneller in ihre Einsatzgebiete gelangen können. Außerdem soll beim Gipfeltreffen die Kommandostruktur der europäischen Streitkräfte reformiert und die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ausgebaut werden.
Mit seinen Briefen hat Donald Trump schon jetzt den Druck auf die anderen NATO-Partner erhöht. Trump hält nach eigenem Bekunden die NATO zwar nicht mehr für "überflüssig", wie er sie noch in Wahlkampfreden nannte. Wie tief seine Verbundenheit zum transatlantischen Bündnis mittlerweile ist, weiß jedoch niemand so recht. Und so wollen die übrigen Regierungschefs Trump keine Gelegenheit bieten, die NATO ähnlich zu schwächen wie das G7-Format: Erst forderte Trump beim Treffen im Juni entgegen der Haltung der sechs übrigen Staaten, Russland wieder ins Format aufzunehmen. Dann verließ er das Treffen vorzeitig, um zu seinem Treffen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un zu fliegen - aus der Air Force One twitterte er dann, er habe die US-Gesandten angewiesen, die Abschlusserklärung nicht zu unterzeichnen.
Auch bei diesem Gipfel dürfte US-Präsident Donald Trump wegen seiner nächsten Verabredung unter besonderer Beobachtung stehen: Wenige Tage später, am 16. Juli, trifft er sich in Helsinki ausgerechnet mit Russlands Präsident Wladimir Putin.