Trump, die NATO und Russland
14. Februar 2017Pläne, die NATO zu reformieren, gibt es seit Jahrzehnten. Doch die offensichtlich zwiespältige Haltung von US-Präsident Donald Trump zur Rolle der Organisation in der Sicherheitspolitik zerstörte viele langgehegte Vorstellungen in Europa. Abgesehen davon, dass Trump die NATO obsolet nannte, drängte er die Mitglieder, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und signalisierte mehr Isolationismus in der US-Außenpolitik.
"Ist die NATO obsolet? Absolut!", Jack Matlock, einer der letzten US-Botschafter in der Sowjetunion und Autor mehrerer Bücher zum Ende des Kalten Krieges und dessen Folgen, sagt im DW-Interview: "Die NATO wurde gegründet, um einen Übergriff der Sowjetunion auf Westeuropa zu verhindern. Russland kann sich nicht mit dem Rest Europas anlegen oder ihn dominieren. Anders als Trump glaubt Matlock aber, dass eine Steigerung der Verteidigungsausgaben ein Schritt in die falsche Richtung wäre.
"Es ist eine gefährliche Illusion zu denken, dass unsere Konflikte durch einen militärischen Schaukampf gelöst würden", sagt Matlock, der die USA von 1987 bis 1991 in Moskau vertreten hat. Unter US-Präsident Ronald Reagan kam ihm eine Schlüsselrolle dabei zu, die Spannungen zwischen der damaligen UdSSR und dem Westen zu reduzieren.
"Die Art des militärischen Gerangels, dem sich die NATO und Russland heute hingeben, erinnert mich an die geopolitischen Spiele, die die großen Mächte 1914 spielten", erinnert Matlock an die Zeit vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs: "Sind die führenden Kräfte unfähig, irgendetwas aus der Geschichte zu lernen?"
Der Aufstieg Deutschlands - Lasten teilen
Nach der Gründung der NATO 1949 sagt der erste Generalsekretär Hastings Ismay, Zweck des Bündnisses sei es, "die Russen draußen zu halten, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten". Jetzt, da die Sowjetunion lange Geschichte ist und die Amerikaner ihre Rolle überdenken, ist Deutschland aufgestiegen zur unbestrittenen Wirtschafts-Führungsmacht der EU und zum wichtigen Global Player auf dem Feld der Diplomatie.
Doch die Deutschen sind immer noch ganz zufrieden damit, anderen die Führung in Sicherheitsfragen zu überlassen, sagt Joachim Bitterlich im Interview mit der DW. Ende der 1990er Jahre war er deutscher Botschafter bei der NATO. Während seiner Zeit im Auswärtigen Amt erwarb er sich den Ruf einer wichtigen Autorität für deutsche Außenpolitik und wurde ein enger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl.
Jetzt, da die USA ihre Haltung verändern, werden die europäischen Mächte einen größeren Anteil der Verteidigungslast schultern müssen, sagt Bitterlich. "Trump hat gesagt, dass die NATO obsolet ist. Wir können darüber diskutieren, was das Wort bedeutet, aber ich würde sagen, es heißt reformbedürftig", ergänzt er.
Vorbereitung auf Trump-Besuch im Mai
Unter Präsident Trump dürfte Washington seine europäischen Allierten unter Druck setzen, ihre militärischen Anstrengungen zu steigern, möglicherweise schließe das Interventionen in der Nähe der EU ein, vermutet Bitterlich.
Mittelfristig sollte dieser Trend zu einem "europäischen Pfeiler" innerhalb der NATO führen und einer engeren Zusammenarbeit zwischen der EU und der Allianz. Bitterlich sagt, Deutschland mit seiner belasteten Vergangenheit wäre es sehr angenehm, wenn Frankreich in militärischen Angelegenheiten die Führungsrolle übernähme.
Die erste Aufgabe für die Europäer sei die Vorbereitung auf Trumps offiziellen Besuch im Mai, wenn er zum G7-Treffen in Italien und zum NATO-Gipfel in Brüssel erwartet wird. Dazu gehöre es, einen Plan zu entwerfen, um die Verteidigungsfähigkeit europäischer Staaten zu verbessern und zu stärken. Außerdem gehörten dazu Vorbereitungen für gemeinsame Streitkräfte und Kommandostrukturen, mehr Spezialisierungen und gemeinsame Rüstungsprogramme.
"In diesem Sinne glaube ich, dass die wiederkehrenden Gespräche über eine europäische Armee weder wahnhaft sind noch Unsinn", sagt Bitterlich: "Wir werden immer mit den USA zusammenarbeiten, aber wir müssen mehr Verantwortung übernehmen und das bedeutet, dass wir am Ende stärker und effizienter werden müssen."
"Eine wahnwitzige Idee"
Die politischen Turbulenzen zwischen den Vereinigten Staaten, der EU und Russland fallen in eine denkwürdige Zeit: US-Truppen sind in der Nähe der russischen Grenzen stationiert und beide Länder bauen ihre nuklearen Arsenale auf. Moskaus Annexion der Krim im Jahr 2014 hat bei der NATO Alarm ausgelöst. Russland wurde beschuldigt, Truppen in den Konflikt in der Ostukraine entsandt zu haben. Vergangenen Monat stationierten die USA Hunderte militärische Fahrzeuge und Tausende Soldaten in den baltischen Staaten, Polen, Ungarn und Rumänien als Abschreckung gegen "russische Aggression".
Doch sowohl Bitterlich als auch Ex-US-Botschafter Matlock weisen die Sorge zurück, dass Russland die NATO attackieren könnte. "Russland wird keinen kleinen NATO-Nachbarn angreifen und die USA sollten unter keinen Umständen in den Krieg gegen Russland ziehen", sagt Matlock: "Das ist eine wahnwitzige Idee."
Was die Kämpfe in der Ukraine betreffe, so schadeten Moskaus Handlungen Russlands "wahren Interessen", sagt Matlock. Er gehe aber davon aus, wenn es keine "westlichen oder US-Einmischungen in der Ukraine während der Maidan-Bewegung gegeben hätte, wäre es möglicherweise auch nicht zur russischen Annexion der Krim oder zur Unterstützung für den Aufstand im Donbass gekommen."
Matlock betont auch, dass der Aufbau von Militärbasen an der Ostflanke der NATO den Geist der NATO-Russland-Vereinbarung verletzt, die festlege, dass die USA keine Truppen in Osteuropa halten.
Kaukasus und Ukraine als "rote Linie" Putins
"Für Putin ist das Baltikum schon verloren", sagt Bitterlich: "Er interessiert sich nicht wirklich dafür und das gilt ebenso für Polen." Stattdessen betrachte der russische Präsident den Kaukasus und die Ukraine als seine "rote Linie". Hier liege ein völliges Missverständnis auf Seiten der USA und ihrer europäischen Verbündeten vor, sagt der ehemalige deutsche NATO-Botschafter Bitterlich.
"Ich glaube, dass sowohl die Amerikaner als auch die Europäer seit Beginn des Jahrhunderts einfach zu viele Fehler gegenüber Russland gemacht haben: dass sie Russlands falsch beurteilt und unnötig in die Ecke getrieben haben. Sie haben die Warnungen nicht gehört, die Warnungen vor einer Expansion der NATO, Warnungen in Sachen Georgien und Ukraine.
"Die Amerikaner haben zudem viele psychologische Fehler gemacht, auch Obama, der Russland als 'regionale Macht' beschrieb", ergänzt er: "Und auch die Europäer haben Russland und die Ukraine in eine unmögliche Situation gebracht."
Bitterlich meint, für die NATO sei der Moment gekommen, eine vernünftigere Beziehung mit Russland aufzubauen. "Das wird nicht über Nacht geschehen" betont er: "Diese Dinge brauchen Zeit und beide Seiten müssen das Gesicht wahren, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Amerikaner werden unter Trump versuchen, diesen Weg zu finden und es wäre eine gute Idee für die Europäer, das Gleiche zu tun und die amerikanischen Bemühungen noch zu übertreffen."
US-Außenamts-Veteran Matlock ergänzt, die Sicherheit Europas "hängt nicht von den Vereinigten Staaten ab". Wenn die Europäer einschließlich der Russen "sich entscheiden, tragische Züge ihrer Vergangenheit zu wiederholen, indem sie gegeneinander kämpfen, dann können die USA sie nicht retten", sagt Matlock: "Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird."
"Ich möchte hinzufügen, dass Europa niemals vollständig, frei und im Frieden sein wird, wenn es Russland ausschließt oder sich selbst zum Feind Russlands macht."