Al Karama Greifswald gibt nicht auf
6. August 2020Greifswald, eine Stadt mit knapp 60.000 Einwohnern, ist nicht nur Heimat von Toni Kroos, sondern auch die des Fußballklubs FC Al Karama Greifswald. Der Verein erlangte kürzlich traurige Bekanntheit, weil die Kreisliga-Mannschaft wegen wiederholter rassistischer Anfeindungen vom Spielbetrieb abgemeldet wurde. "Al Karama, das bedeutet übersetzt Würde", sagt Vorstandsmitglied Ibrahim Al-Najjar im DW-Gespräch.
Bei aller sportlichen Rivalität unter Gegnern, zu der auf den Amateurplätzen in ganz Deutschland auch raue Töne gehören: Würdevoll war es nicht, wie Teile der gegnerischen Anhängerschaften mit dem Team umgegangen ist, das vorwiegend aus vor dem syrischen Bürgerkrieg Geflüchteten besteht.
Immer wieder Anfeindungen
Der Kreisligist galt weit über Greifswald hinaus als Musterbeispiel für Integration. 2015 ging das Team als dritte Mannschaft des FC Greifswald an den Start, 2018 folgten dann die Abspaltung und Umbenennung in FC Al Karama Greifswald. Seitdem nahm Al Karama als eigenständiger Klub am offiziellen Spielbetrieb in der Kreisklasse teil. "Integration ist das, worum es uns geht. Sie ist wichtig für alle Beteiligten und ist uns ja auch gelungen", sagt Al-Najjar über das Projekt, für das neben Syrern auch Spieler aus Nordafrika und sogar ein Fußballer aus Taiwan aufliefen.
Kulturelle Vielfalt und aktive Teilhabe an Integration sind allerdings nicht bei allen Beteiligten in den Niederungen der Greifswalder Kreisklasse von Interesse. Auf gegnerischen Plätzen waren die Spieler und Betreuer von Al Karama immer wieder rassistischen Bemerkungen und Gesängen ausgesetzt. Affenlaute als Beleidigung für schwarze Spieler, Aufforderungen, man möge bitte "nach Hause gehen" oder sonstige versteckte und offene rechte Parolen zermürbten Spieler und Verantwortliche zunehmend. "Die Spieler waren es zuletzt einfach leid, wir waren müde", erklärt Al-Najjar, der mit seinen Vorstandskollegen die Entscheidung traf, das Team für die kommende Saison vom Spielbetrieb abzumelden.
Besonders in Erinnerung blieben allen Beteiligten die Szenen rund um das Auswärtsspiel beim VSV Lassan, bei dem Spieler von Al Karama mit Bier überschüttet, ein Polizeibeamter verletzt und ein Zuschauer in Gewahrsam genommen wurden. Ein Video, auf dem zu hören ist, wie Teile der Zuschauer während des Spiels "Wir sind gar nicht rechtsradikal" skandieren, machte anschließend in Foren die Runde und fand auch den Weg in die Medien.
"Ich selber war bei diesen Vorfällen nicht dabei", berichtet Al-Najjar und bezeichnet die Ereignisse als Tiefpunkt: "Danach wollten viele in der Mannschaft nicht mehr, das war einfach zu viel. Von der Polizei abgeschirmt und zum Mannschaftsbus eskortiert zu werden, hat bei vielen Angst ausgelöst."
Schweinekopf im Gemeindezentrum
Doch Al-Najjar betont auch, dass es sich bei den Tätern um Einzelpersonen und kleine Gruppen handele. "Diese rechtsextremen Gruppen bestehen oft nur aus wenigen Leuten. Doch sie sind extrem gut vernetzt und organisiert. Es sind kleine, sehr laute Gruppen, die es durch ihr gezieltes Handeln immer wieder schaffen, dass ihre Aktionen viel mehr Aufmerksamkeit erhalten", sagt der 52 Jahre alte Syrer, der auch Integrationsbeauftragter des Landkreises Greifswald ist und ein SPD-Parteibuch besitzt.
Al-Najjar weiß, dass wilde Wutausbrüche und pauschale Schuldzuweisungen dem Verein am Ende wohl mehr schaden als nutzen würden. Dabei hätte er durchaus Grund, wütend zu sein. "Zweimal wurde zuletzt ein abgetrennter Schweinekopf in unserem Gemeindezentrum gefunden - zuletzt vor etwa zwei Wochen", berichtet Al Najjar. Das Verhältnis zu den öffentlichen Institutionen im Kreis sei aber sehr gut, man genieße Rückendeckung vom Kreisfußballverband Greifswald, vom Landessportbund und vom Landrat persönlich: "Auch die Polizei hat sich bei all unseren Spielen immer absolut und ausnahmslos korrekt verhalten."
Gespräche mit dem Landesverband
Auch der Verband sieht in den Vorfällen rund um Al Karama Einzelfälle. "Derartige Vorfälle sind in der Regel Einzelerscheinungen, wobei jede davon stets zu missbilligen und möglichst auch auf allen Ebenen aufzuklären ist. Die Entwicklung ist daher nicht besorgniserregend, wir haben sie aber dennoch im Blick", sagte Robert French vom Landesfußballverband Mecklenburg-Vorpommern (LFVM-V) der DW. Grundsätzlich gebe es aber Gefahren durch erstarkenden Rechtsradikalismus: "Der Fußball ist ein Abbild der Gesellschaft. Rassistische oder diskriminierende Anfeindungen halten hier leider vermehrt Einzug", so French.
Ein gemeinsames Treffen mit Vertretern des Vereins, des Landes- und Kreisfußballverbandes und des Landessportbundes hatte es im November 2019 gegeben, um Maßnahmen zu besprechen, zum Beispiel was die spezielle Schulung von Schiedsrichtern und Ordnern angeht. Wegen der Corona-Krise konnten diese Pläne aber noch nicht umgesetzt werden.
Neustart 2021/22?
Momentan gilt: Das Projekt Al Karama liegt zwar auf Eis, ist aber keineswegs gescheitert. "Gescheitert ist das falsche Wort, denn das wäre endgültig. Ein Rückschlag aber ist es wohl allemal, den wir alle sehr bedauern", sagt Robert French. "Der FC Al Karama Greifswald ist aber weiterhin vollwertiges Mitglied im Landes- als auch im Kreisfußballverband."
"Wir wollen jetzt Abstand gewinnen und im kommenden Sommer zur Saison 2021/22 wieder dabei sein", kündigt Ibrahim Al-Najjar an. Bis dahin wolle man sich bemühen, noch mehr deutsche Spieler für den Verein zu gewinnen, denn Integration bedeute ja, dass ausländische Spieler mit deutschen Spielern mit und ohne Migrationshintergrund zusammen spielen. "Das wollen wir nach außen verkörpern und für alle Teile der Gesellschaft hier im Kreis stehen", sagt Al-Najjar. "Wir wollen wieder Spaß beim Fußball haben, das ist unsere Leidenschaft - aber ohne Rassismus."