Trikots mit geheimer Sonderfunktion
29. August 2014Die Trikots der deutschen Fußball-Nationalmannschaft waren bereits im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Brasilien ein Kassenschlager, doch als das deutsche Team seinen vierten WM-Titel unter Dach und Fach gebracht hatte, ging die Nachfrage buchstäblich durch die Decke. Trikothersteller Adidas kam gar nicht hinterher, Trikots mit dem vierten goldenen Stern auf der Brust - jeder steht für einen WM-Sieg der DFB-Elf - nachzuliefern und die Kundschaft in ganz Deutschland zu versorgen. In vielen Geschäften waren die wenigen Trikots, die kurzfristig geliefert worden waren, binnen Minuten ausverkauft. Die Kunden wurden vertröstet und gebeten, später wiederzukommen oder das Trikot im Internet zu kaufen.
Was allerdings nur die wenigstens Fans wissen, ist die Tatsache, dass Adidas in die Nationalmannschaftstrikots Etiketten einnäht, in denen sich ein elektromagnetischer Chip befindet, mit dem Radio-Frequenz-Identifikation (RFID) möglich ist. RFID wird benutzt, um Daten mit Hilfe elektromagnetischer Felder automatisch zu verfolgen, zu verschicken und zu sammeln. Die Technologie wurde ursprünglich für logistische Zwecke genutzt und bot dort eine kolossale Erleichterung. Rollt eine volle Palette von Artikeln mit RFID-Chip an einem Scanner vorbei, weiß der Computer in Sekundenschnelle, welche Artikel in der Lieferung enthalten sind. Nachteilig ist allerdings, dass die Chips auch anschließend noch wirksam sind und auch dann noch eine Datenabfrage möglich ist, wenn das Produkt beim Käufer angekommen ist - im Falle der Trikots, wenn der Fan es auf seinen Schultern trägt und sich damit im privaten Umfeld bewegt. Zudem weiß der Kunde meistens gar nichts von den Chips in seiner Kleidung und deren Wirkungsweise.
In diesem Jahr berichtete "Digitalcourage", eine Gruppe, die sich für Bürgerrechte und Datenschutz im digitalen Zeitalter einsetzt, erstmals darüber, dass Adidas seine Deutschland-Trikots mit RFID-Chips ausstattet. Der Konzern bestätigte zwar eine testweise Verwendung der Etiketten, war aber zu keinem weiteren Kommentar bereit.
Logistik-Projekt
Fast ein halbes Jahr, einen WM-Titel und einen Ansturm auf ein Vier-Sterne-Trikot später scheint Adidas diesen Test mit RFID-Chips immer noch fortzuführen. Auf Nachfrage der DW gab der Sportartikelhersteller dieselbe knappe Antwort, die zuvor auch schon "Digitalcourage" bekommen hatte: "Als Teil eines Logistik-Projekts haben wir RFID-Etiketten zum ersten Mal in einem gewissen Umfang getestet. Es handelt sich dabei um Etiketten, die nur gelesen werden können, ohne zusätzliche Daten. Das Etikett ist nicht mit der Artikelnummer, der Größe oder der Farbe des Artikels verknüpft. Wir können es auch nicht mit weiteren Kundendaten verlinken. Der Kunde hat zudem jederzeit die Möglichkeit, das RFID-Etikett herauszutrennen und in den Müll zu werfen."
Auf konkrete Fragen der DW, ob und wie die Kunden über das RFID-Etikett und seine Wirkungsweise sowie über das Logistik-Projekt an sich informiert würden, gab Adidas keine Antwort.
Offene Fragen, fehlende Information
Um Aufklärung gebeten, teilte ein Adidas-Unternehmenssprecher der DW mit, dass alle Deutschlandtrikots mit einem RFID-Chip ausgestattet seien. Allerdings könne er nicht sagen, ob dies auch für die Nationaltrikots der anderen Länder gelte, so der Sprecher. Adidas stellt auch für Spanien, Argentinien, Russland, Nigeria, Mexiko, Kolumbien, Japan und Bosnien-Herzegowina die Trikots her. Weiterhin war der Adidas-Sprecher nicht in der Lage, über die Hintergründe des Logistik-Tests aufzuklären oder zur Haltung des Unternehmens zu möglichen Bedenken von Kunden, was Transparenz und Wahrung der Privatsphäre angeht, Stellung zu nehmen. Was der Unternehmenssprecher dagegen wohl bestätigte, waren die historischen Verkaufszahlen des deutschen Weltmeistertrikots: bislang zwei Millionen Stück.
Für Datenschutz-Experten wirft das Gebaren von Adidas eine Menge Fragen auf: "Kunden haben nicht nur ein Interesse, sondern auch das moralische Recht auf Information", sagt Thilo Weichert, der Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein im Gespräch mit der DW. "Die Kunden sollten Bescheid wissen, wenn ihre Kleidung einen Chip enthält. Außerdem ist es ein Problem, dass RFID-Chips sehr einfach zu verfolgen sind."
Jeder, der ein RFID-Lesegerät besitze, sei theoretisch in der Lage, die Chips in bestimmten Kleidungsstücken zu verfolgen und - gekoppelt mit Informationen über den Träger oder Besitzer der Kleidung - ein Profil der betreffenden Person anzulegen, so Weichert weiter. "Ich möchte nicht behaupten, dass Adidas oder jemand anderes das macht, aber es ist eine Eigenschaft des Trikots, über die der Kunde informiert werden muss. Außerdem muss er darüber informiert werden, wie er sich dieser Form der Identifikation entziehen kann."
Informieren und entfernen
Das findet auch Raegan MacDonald, die für Europa zuständige Datenschutzaktivistin der Gruppe "Access Now". "Im Fall von Adidas wirkt es nicht so, als bekomme der Kunde ausreichende Informationen über die integrierten Chips", sagt sie der DW. Sie weist zudem auf eine EU-Empfehlung zum Datenschutz und Sicherheitsaspekten von RFID-Chips aus dem Jahr 2009 hin. Darin heiße es, dass die Chips zum Zeitpunkt des Verkaufs deaktiviert sein müssten, es sei denn, der Käufer gebe seine Einverständniserklärung, den RFID-Chip einzuschalten. "Im Statement von Adidas ist es dagegen die Aufgabe des Käufers, den Chip zu entfernen", so MacDonald.
Ginge es nach Thilo Weichert, sollte Adidas seine Kunden wenigstens über die RFID-Chips informieren und, da der Chip nur für logistische Zwecke benutzt werde, solle er spätestens beim Abschluss des Verkaufs entfernt werden. Von der DW um eine Stellungnahme zu den RFID-Chips gebeten, verwies der Deutsche Fußballbund (DFB) auf das Statement seines Partners Adidas und verweigerte jeglichen weiteren Kommentar.