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Trauern und ermitteln

Bernd Riegert, z.Zt. Nizza16. Juli 2016

An der Cote d'Azur herrscht tiefe Trauer. Die Frage, was den Attentäter antrieb, 84 Menschen zu töten, ist unbeantwortet. Es war Terrorismus "nach dem Muster des IS", meint der Staatsanwalt. Bernd Riegert aus Nizza.

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Frankreich Gedenken an Opfer des Attentats in Nizza
Bild: DW/B. Riegert

Die blauen Fensterläden sind festgeschlossen. Die gelbe Fassade des Mehrfamilienhauses leuchtet in der Sonne. Kamerateams belagern das Gebäude im Norden von Nizza. Hier wohnte der Attentäter, der mit einer brutalen Lkw-Fahrt am Donnerstagabend an der Strandpromenade 84 Menschenleben auslöschte, darunter das von zehn Kindern. 202 Verletzte werden behandelt. Ungefährt 50 schweben in Lebensgefahr.

Nur wenige Nachbarn in dem gelben Haus kennen den Attentäter Mohamed Lahouaiej Bouhlel. Diejenigen, die über ihn sprechen, beschreiben ihn als schwierig, verschlossen, unfreundlich. Der 31 Jahre alte Tunesier besaß eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich. Er soll als Auslieferungsfahrer gearbeitet haben. Der Polizei war der von seiner Frau getrennt lebende Mann bekannt. Er hatte mehrfach krumme Dinger gedreht und war erst im Frühjahr wegen Körperverletzung zu einer neuen Haftstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er sei ein typischer Kleinkrimineller gewesen, sagte sein früherer Strafverteidiger einem französischen Fernsehsender.

"Es war Terrorismus"

Wenigstens äußerlich sei er nicht als radikaler Islamist zu erkennen gewesen, meinen seine Nachbarn und ein Vetter in Interviews. Er sei ins Fitnessstudio und zum Tanzen gegangen. Auch die Ermittlungsbehörden konnten wohl noch keine direkte Verbindung zwischen Mohamed Lahouaiej Bouhlel und einer Terrororganisation wie dem "Islamischen Staat" (IS) feststellen. Das sagte am Nachmittag der ermittelnde Staatsanwalt in Nizza. Trotzdem wird der Mann, der nach bisherigen Kenntnissen allein gehandelt hat, als Terrorist eingestuft.

In dem weißen Miet-LKW, mit dem er das Massaker ausführte, wurden mehrere Waffen gefunden. Ob sie benutzt wurden, ist noch unklar. "Sein Verhalten und die Tatausführung stimmen mit den bisher bekannten Mustern von Terroristen überein", sagte der französische Generalstaatsanwalt Francois Molins in Paris. "Der Angriff trug alle Merkmale einer dschihadistischen Tat." Außerdem habe der "Islamische Staat" schon oft seine Anhänger dazu aufgerufen, Mordtaten mit Fahrzeugen auszuführen.

Nizza Polizei
Polizei und Staatsanwalt suchen das konkrete Motiv des Täters, der den Geheimdiensten unbekannt warBild: picture-alliance/dpa/O.Anrigo

"Der Feind greift weiter an"

Die Ermittlungen gehen am Samstag weiter. Die Polizei untersucht Mobiltelefon und Computer des Täters, um Hinweise auf ein Motiv für die Tat zu finden. Klar sei, dass der Mann seine Mordfahrt genau geplant habe. Das Fahrzeug war bereits drei Tage vor der Tat angemietet worden. Das Datum der Tat sei auch kein Zufall. Mit dem Attentat am franzöischen Nationalfeiertag habe der tunesische Attentäter die französische Republik insgesamt angegriffen, so Innenminister Bernard Cazeneuve.

Staatspräsident Francois Hollande besuchte Ermittler, Ärzte und Angehörige von Opfern in Nizza. Er hatte zuvor seine Landsleute auf "einen langen Kampf gegen den Feind" eingeschworen. "Wir haben es mit einem Feind zu tun, der seine Angriffe auf die freien Völker fortsetzen wird. Wir wollen ihn vernichten und müssen deshalb wachsam sein."

Trauer um die Opfer

Viele Menschen, die auch bis spät in die Nacht an kleinen Mahnwachen an der Strandpromenade teilnahmen, bezweifeln allerdings, dass der Staat sie vor solchen Terrortaten Einzelner schützen kann. "Wir dürfen trotzdem nicht aufgeben", sagte ein Mann, der eine rote Grabkerze anzündete und sie zu einer Reihe anderer Kerzen stellte.

Am Abend sangen Menschengruppen immer spontan die kämpferische Nationalhymne Frankreichs, die Marseillaise, die von marschierenden Soldaten erzählt. Hunderte Menschen nahmen in der Kathedrale von Nizza an einem Trauergottesdienst teil, darunter die Chefin der "Nationalen Front", Marine Le Pen. Die Rechtspopulistin, die sich gegen Einwanderung ausspricht, hat hier im Süden Frankreichs relativ viele Anhänger.

Überlebende ringen mit dem Tod

In der Nacht kämpften Ärzte und Pfleger im Kinderkrankenhaus von Nizza weiter um das Leben von schwer verletzten und schwer traumatisierten Kindern. "Wir haben etwa 30 Kinder in sehr ernstem Zustand hier. Zwei sind leider schon verstorben", sagte am Abend Stephanie Simpson vom Kinderkrankenhaus.

Die französischen Behörden identifizieren mehr und mehr der 84 bisher bekannten Todesopfer. Zwei Deutsche sind darunter. Drei Tunesier, zwei Schweizer, zwei Chinesen, zwei Amerikaner und viele andere Nationalitäten zählen zu den Toten. Einige Freunde und Angehörige suchen immer noch nach vermissten Personen. Ein Krankenhaus sucht die Eltern eines verletzten Kindes.

Frankreich Messe im Nizzas Dom zum Trauer der Opfern
Trost im Glauben: Trauermesse in der Kathedrale von NizzaBild: Reuters/E. Gaillard

Traumatisierung abbauen

Viele Menschen, die am Donnerstagabend Zeugen des Attentats geworden waren und vielleicht nur knapp überlebt hatten, kamen am Freitag noch einmal an den Ort des Schreckens zurück. Unter Tränen berichtete zum Beispiel Alexandre von seinen Erlebnissen. "Ich bin durch ein Feld mit Leichen gegangen. Da lagen auch Kinder."

Die Strecke, die der Täter mit dem LKW auf der Promenade zurücklegen konnte, beträgt fast zwei Kilometer. Jetzt wird auch untersucht, warum es der Polizei nicht möglich war, den Fahrer früher durch gezielte Schüsse zu stoppen. Der Wagen mit der zerschossenen Frontscheibe ist inzwischen abtransportiert worden. Die Strandpromenade, eine Hauptverkehrsader der Touristenstadt Nizza, soll am Samstag wieder geöffnet werden.

Der Psychologe Bernard Muscole sagte dem französischen Nachrichtensender BFMTV, es sei wichtig, dass sich Überlebende und Augenzeugen mit Erlebnissen und Ängsten auseinandersetzten. "Das Trauern und das emotionale Aufarbeiten kann eine langfristige Traumatisierung verhindern helfen."