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13. Was macht eigentlich ein Behindertenbeauftragter?

4. Februar 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung. Wofür braucht man Behindertenbeauftragte und was tun die eigentlich? Und sind sie selbst auch behindert?

https://p.dw.com/p/3opHW

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen! Hier ist "Echt behindert!" und mein Name ist Matthias Klaus.

"Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, wird vom Bundeskabinett jeweils für die Dauer einer Legislaturperiode bestellt. Der Beauftragte hat die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass die Verantwortung des Bundes für gleichwertige Lebensbedingungen, für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen, in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfüllt wird. Innerhalb der Bundesregierung nimmt der Beauftragte Einfluss auf politische Entscheidungen und begleitet aktiv die Gesetzgebung." 

Seit 2018 ist Jürgen Dusel der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Er ist Jurist und er ist seit seiner Geburt stark sehbehindert. Also wie es sich für diesen Podcast gehört, auch echt behindert.

Schönen guten Morgen, Herr Dusel.

Jürgen Dusel: Guten Morgen, Herr Klaus.

Matthias Klaus: Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Wie muss ich mir denn diesen Job vorstellen?

Jürgen Dusel: Das ist ein Job, der mir sehr viel Freude macht und den ich wirklich auch als Ehre betrachte. Es geht im Grunde - und das haben Sie vollkommen richtig zitiert nach dem Behindertengleichstellungsgesetz - darum, dass der Bund seiner Verpflichtung, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, ich verkürze das ein bisschen, gerecht wird.

Also mein Job ist es, darauf zu achten, dass Politik für Menschen mit Behinderungen "Mainstream" wird, innerhalb der Bundesregierung. Das heißt, dass es eine Querschnittsaufgabe ist, eben nicht nur Arbeits- und Sozialpolitik, sondern eben - wir erleben es jetzt gerade in der Coronakrise - sehr viel Gesundheitspolitik. Aber es geht auch um Wohnungsbaupolitik. Es geht um Freizeitgestaltung, also beispielsweise um die Frage von Sportpolitik. Es geht um alle Lebensbereiche.

Das ist der eine Bereich, mit dem ich viel zu tun habe. Und da kann man sagen, ich kümmere mich natürlich sehr stark darum:  Was passiert jetzt gesetzgeberisch? Die Bundesregierung bringt ja Gesetze in den Deutschen Bundestag ein. Und ich habe darauf zu achten, dass Gesetze und Verordnungen, die die Situation von Menschen mit Behinderungen betreffen könnten, eben auch Menschen mit Behinderungen im angemessenen Maße berücksichtigen. Und ich sage mal ganz flapsig: Das sind 95 Prozent der Gesetze, weil Gesetze macht man ja für Menschen. Und Menschen mit Behinderungen sind ja zweifellos Menschen. Und die Gesetze sind auch für sie. Also muss ich darauf achten! 

Das Zweite ist - und das ist für mich ganz wichtig -  ich stehe in ganz engen Kontakt mit den Verbänden von Menschen mit Behinderungen, aber auch mit Einzelpersonen. Ich muss ja wissen wo es brennt, wo es Probleme gibt. Also bin ich da in einem sehr engen Austausch.

Der dritte Bereich, mit dem ich ganz viel zu tun habe, das ist natürlich die Staatenberichterstattung bei den Vereinten Nationen oder beispielsweise auch Fragen der Kultur - also ist das ein breites Feld. Und ich habe mit allen Ministerien zu tun und bin innerhalb der Bundesregierung weisungsfrei. 

Matthias Klaus: Müssen Sie denn den Regierungsmitgliedern da manchmal auch auf die Nerven gehen? Weil es ist ja Behindertenpolitik oder sagen wir es so: Es sind zwar 10-11 Prozent der Deutschen, aber es wird ja oft vergessen. Ist es manchmal schwierig, sich da Gehör zu verschaffen?

Jürgen Dusel: Nein, es sind sogar mehr: Weil man sagt, in Deutschland leben ungefähr 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen, davon sind ungefähr 8,5 Millionen schwerbehindert und rund 900.000 Leute bekommen Eingliederungshilfe. Also das sind schon eine ganze Menge Menschen - auch weil die ja nicht alle alleine leben.

Also wir leben ja nicht alleine, sondern wir haben ja Eltern oder Kinder oder Partner oder Freunde - also betrifft das unmittelbar eine Menge Leute. Und mittelbar natürlich auch. Und wenn es meine Aufgabe ist, darauf hinzuwirken, dass der Bund etwas tut, dann bedeutet das: Ich muss natürlich manchmal kritisch sein. Und wenn man so ein bisschen die letzten Jahre mitbekommen hat von der Arbeit, von meinem Team und mir, dann merkt man auch, dass wir das durchaus sind. Das ist mein Job und den nehme ich sehr ernst!

Matthias Klaus: Wie erfahren Sie denn, was los ist in der wirklichen Welt jenseits der Berliner Politikblase sozusagen? Wie kommen die Anliegen an Sie? 

Jürgen Dusel: Also es gibt da mehrere Wege: Wir kriegen natürlich Hunderte von Eingaben in jedem Jahr von Menschen, die sich an uns wenden. Ich bin viel im Land unterwegs, jetzt durch Corona natürlich leider mehr virtuell als tatsächlich. Aber in der Vergangenheit vor Corona war ich viel, viel unterwegs.

Ich habe Kontakt zu den Verbänden von Menschen mit Behinderungen auf Bundesebene, auf Landesebene. Und das sichert natürlich, dass ich schon eine ganze Menge mitbekomme, das dann letztlich dazu führt, dass wir eben auch aktiv werden können und der Bundesregierung Vorschläge machen können, welche Themen man wie lösen könnte.

Also wir haben beispielsweise vor etwas mehr als einem Jahr der Bundesregierung Teilhabe-Empfehlungen gegeben, weil wir der Meinung sind, dass es bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland noch Nachholbedarf gibt. Und das ist beispielsweise ein Ausfluss von ganz vielen Kontakten, die ich im Land gehabt habe.

Matthias Klaus: Da sind wir schon beim Thema: Bei Ihnen angesiedelt ist die staatliche Koordinierungsstelle, die sozusagen über die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland wacht. Was geschieht denn in dieser Stelle? Wie arbeiten Sie da? 

Jürgen Dusel: Das ist total wichtig: Der "Inklusionsbeirat" sage ich das verkürzt. Er hat ja im Grunde seine Rechtsgrundlage, wenn man es juristisch begreifen wollte, in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). In Artikel 33 werden die Vertragsstaaten verpflichtet, nicht nur eine unabhängige Monitoringstelle zu bilden, das ist bei uns das Deutsche Institut für Menschenrechte, sondern eben auch einen Koordinierungsmechanismus.

Das klingt so ein bisschen sperrig, aber das ist tatsächlich der Gesetzestext der UN-BRK. Und dieser Inklusionsbeirat, der berät mich. Da sind ganz viele Verbände von Menschen mit Behinderungen beteiligt. Da ist beispielsweise der Blinden- und Sehbehindertenverband beteiligt oder die Werkstatträte sind dabei. Also ganz viele, ganz unterschiedliche Verbände. Und die beraten mich, die beschließen auch teilweise etwas.

Also es gibt Beschlüsse des Inklusionsbeirats und für mich ist das ein ganz wichtiger Partner, der darauf achtet, dass in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt wird, weil der Grundsatz, und das ist mir ganz wichtig, der UN-BRK sagt: "Ja, wir Menschen mit Behinderungen sind Expertinnen und Experten in eigener Sache. Wir können selbst entscheiden und wir wissen im Zweifel auch, was wir brauchen und was wir wollen. Und wir alle kennen ja den Satz 'Nothing about us, without us', das 'nichts über uns ohne uns'" und ein Ausdruck davon ist eben der Inklusionsbeirat.

Matthias Klaus: Die Behindertenrechtskonvention, die ja in Deutschland noch nicht in allen Gesetzen angekommen ist: Wie steht's darum? Wo muss denn jetzt am dringendsten was geändert werden?

Jürgen Dusel: Naja, aus meiner Sicht haben wir einige Schritte schon gemacht auf dem Weg. Aber wir sind, würde ich sagen, so auf der Mitte des Weges. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Und wenn ich das mit so einer Note bewerten würde, also mit einer Schulnote, würde ich sagen wir sind so bei: "drei", "drei bis vier".

Im Grunde also "gut" sind wir noch nicht, da müssen wir noch besser werden. Und das, um was es für mich im Wesentlichen zurzeit geht, ist das Thema Barrierefreiheit. Aber gar nicht so im klassischen Sinn, wie man das vielleicht jetzt denkt: Also im öffentlichen Bereich, in der Frage der Kommunikation mit Verwaltung oder der Frage: "Wie werden die Bescheide gefertigt? in leichter Sprache" oder: "wie sieht es aus mit der Gebärdensprache, in der Kommunikation mit Behörden?" 

Sondern es geht mir um den privaten Bereich. Ich finde, wir müssen jetzt gerade im Zuge auch einer Gesetzesgeschichte, nämlich der Umsetzung des EAA, des European Access Ability Act (der muss ja in deutsches Recht gegossen werden) dafür sorgen, dass private Anbieter von "Produkten und Dienstleistungen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind" (so heißt das!) zur Barrierefreiheit verpflichtet werden.

Denn zur Allgemeinheit gehören eben auch 13,5 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen. Und da müssen wir in der Bundesrepublik Deutschland wirklich besser werden. Da sind wir im europäischen Vergleich wirklich nicht besonders gut. Und wir legen zurzeit sehr viel Kraft da rein, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren tatsächlich auch etwas bewirken.

Denn Menschen mit Behinderungen, die gehen natürlich ins Rathaus. Logisch, das mache ich auch manchmal. Aber im Zweifel geht man eher, sagen wir mal, ins Restaurant oder ins Kino oder ins Theater. Man will vielleicht auch als sehbehinderter Mensch mal ohne fremde Hilfe am Bankautomaten Geld abheben oder vielleicht im Internet shoppen. Und da haben wir wirklich noch große Barrieren.

Und ich denke, wir sind in der Bundesrepublik Deutschland sehr, sehr gut beraten, wenn wir in der Barrierefreiheit vorankommen. Nicht nur für die Menschen mit Behinderungen, die ein Recht darauf haben, sondern auch, weil das ein Qualitätsstandard ist für ein modernes Land.

Also wer heutzutage irgendetwas macht, irgendetwas baut, irgendwas entwickelt und er macht es mit Barrieren, der macht einen schlechten Job, der ist schlichtweg unprofessionell. Und deswegen ist es mir so wichtig, immer wieder zu sagen, dass eben diese Barrierefreiheit einerseits eine tiefe soziale Dimension hat, aber andererseits eben als Qualitätsstandard begriffen werden muss, wie wir auch beispielsweise nachhaltig etwas machen oder ökologisch neutral etwas machen, müssen wir natürlich grundsätzlich auch alles barrierefrei machen, weil es einfach keinen Sinn macht, Barrieren zu bauen.

Matthias Klaus: Das ist jetzt das große Bild, also die Gesetzeslage. Sie sind aber auch für Kleinkram zuständig. Im Behindertengleichstellungsgesetz gibt es eine Schlichtungsstelle, zu der man mit seinen Anliegen, mit seinen Problemen als Person wirklich gehen kann. Was tun Sie denn dort? 

Jürgen Dusel: Also ich will zunächst sagen, dass natürlich auch der sogenannte "Kleinkram", wie Sie das nennen, gar nicht so Kleinkram ist. Sondern es geht natürlich um Situationen für Menschen mit Behinderungen, die für deren Lebnensumstände wirklich wichtig sind.

Also es geht darum, dass Menschen mit Behinderungen, die den Eindruck haben, sie werden diskriminiert, sie werden nicht richtig wahrgenommen von beispielsweise Behörden des Bundes, also von öffentlichen Stellen des Bundes. Die können sich tatsächlich an die Schlichtungsstelle wenden.

Die Schlichtungsstelle ist unabhängig. Ich kann denen sozusagen nichts vorgeben. Aber diese Schlichtungsstelle sorgt dafür, dass sich eben beispielsweise Menschen mit Behinderungen und öffentliche Stellen auf Augenhöhe, wie man so schön sagt, begegnen und es ein moderiertes Verfahren gibt, um Problemlagen zu beseitigen.

Diese Schlichtungsstelle gibt es jetzt schon seit mehreren Jahren und die Fallzahlen steigen und steigen. Die Ergebnisse, die ich auch mitgeteilt bekomme (Es gibt ja auch nebenbei Jahresberichte von der Schlichtungsstelle) die zeigen, dass es manchmal wirklich ein Vorteil ist, wenn man nicht gleich zu Gericht geht, wo dann meistens die Fronten vielleicht doch schon verhärtet sind und es dann manchmal vielleicht wirklich nur noch darum geht, sich durchzusetzen. 

Wenn man im vorherein ein moderiertes Verfahren wählt, kann man tatsächlich auch im Dialog zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Wenn man dann nicht damit einverstanden ist (mit dem Ergebnis), kann man immer noch zu Gericht gehen. Das ist kein Ausschluss, aber es ist sozusagen die vorgeschaltete Instanz, die das moderiert und klärt. Und ich finde, das ist ein sehr, sehr gutes Beispiel dafür, dass man Probleme wirklich auch lösen kann.

Und ich wünsche mir, dass das nicht nur auf Bundesebene geschehen wird oder geschieht (das tut es ja schon) sondern dass es eben auch auf Länderebene geschieht. Ich würde mir wünschen, dass auch die Bundesländer, beispielsweise bei den Beauftragten der Länder, solche Schlichtungsstellen einrichten.

Matthias Klaus: Nehmen wir mal ein Beispiel aus meinem Leben: Die Deutsche Rentenversicherung ist verpflichtet, barrierefrei zu kommunizieren. Ich selber bin blind. Ich habe also mit denen vereinbart, dass sie mir Computerlesbare Dokumente schicken.

Jetzt war es gerade vorgestern so, dass ich mal wieder (trotz dieser Vereinbarung, die ja auch nachweist, dass ich schwerbehindert bin), einen Brief bekommen habe, den ich selbst nicht lesen konnte. In diesem Brief (inzwischen habe ich das erfahren) steht drin, dass Sie meinen Behindertenausweis haben möchten. Ich habe also ein Dokument, wenn ich nicht zufällig mit jemandem zu Hause gewesen wäre, der mir das hätte vorlesen können, hätte ich das einfach nicht lesen können. Und das ist nicht gesetzeskonform. Wäre das so ein Fall für Ihre Stelle?

Jürgen Dusel: Das wäre so ein Fall. Und das ist auch nicht sehr professionell. Wenn das stimmt, was Sie sagen, wovon ich ausgehe, dann haben Sie natürlich recht, dass Sie mit der Deutschen Rentenversicherung in einer Form kommunizieren können, die Sie wahrnehmen können. Ich kann das sehr, sehr gut nachvollziehen, weil ich auch zu den Menschen gehöre, die eben ein BL im Ausweis haben.

Matthias Klaus: Und BL steht für Blind.

Jürgen Dusel: Entschuldigung, genau. richtig. Ein BL steht für Blind. Also ich habe einen, Minisehrest zwischen 1 und 2 Prozent. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Also es ist einerseits nicht professionell von der Behörde und auf der anderen Seite ist es auch frustrierend für Sie, weil sie haben ja nicht irgendwie den Anspruch, dass die jetzt besonders nett zu Ihnen sind.

Das sowieso, aber dass Sie sich zumindest Rechtskonform verhalten. Und vor diesem Hintergrund wäre das eine Möglichkeit, auch zur Schlichtungsstelle zu gehen. Ja klar. Ich würde vielleicht, bevor ich zur Schlichtungsstelle gehe (weil ich jemand bin, der eigentlich so ein kommunikativer Typ ist) tatsächlich versuchen, mit denen Kontakt aufzunehmen, zu sagen: "Hallo, könnt ihr das bitte beim nächsten Mal besser machen? Oder jetzt nochmal korrigieren?"

Aber wenn es dann wirklich Schwierigkeiten gibt, dann würde ich tatsächlich auch den Weg sehen, zur Schlichtungsstelle zu gehen. Und das machen auch viele Menschen, nicht nur was die Deutsche Rentenversicherung betrifft, sondern auch, was andere Behörden betrifft.

Und ich merke das gerade in solchen Schlichtungsverfahren, die dann irgendwann mal stattfinden, natürlich auch wirklich ein Problembewusstsein bei den Behörden entsteht. Ich unterstelle jetzt nicht der Deutschen Rentenversicherung, dass sie sowas absichtlich macht, sondern es ist teilweise schlichtweg manchmal unprofessionell.

Matthias Klaus: Davon gehe ich auch aus. Es ist ein Beispiel aus meinem Leben, was mir einfach gerade widerfahren ist. Aber...

Jürgen Dusel: Und das nervt.

Matthias Klaus: Genau das ist das Problem, das das nervt, Der Einzelfall ist ja vielleicht gar nicht so schlimm. Da denkt man "Okay, da hat jemand nicht in die Datenbank geguckt". So etwas passiert! Aber man kriegt das ja regelmäßig von vielen Behörden und immer wieder. Und das ist wie mit der Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer. Sie erleben das auch immer wieder und immer wieder. Und irgendwann ist es einfach lästig.

Jürgen Dusel: Ich würde gerne noch was dazu sagen, weil das ist mir sehr, sehr wichtig. Ich habe ja meine Amtszeit unter ein Motto gestellt, Herr Klaus, das so ein bisschen staatstragend daherkommt auf den ersten Blick, aber von dem ich wirklich, wirklich überzeugt bin. Dieses Motto heißt: "Demokratie braucht Inklusion".

Das bedeutet also, dass Inklusion und Demokratie zusammengehören, dass ich mir ein gutes demokratisches Land nicht vorstellen kann, das nicht inklusiv ist. Und der zweite Satz, der mir wichtig ist und der jetzt eben auch auf ihre Erfahrungen mit Behörden passt, ist, dass es Aufgabe des Staates ist, nicht nur Recht zu setzen, also nicht nur beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention zu ratifizieren und nicht nur das Behindertengleichstellungsgesetz zu erlassen, sondern es ist vor allem Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die Menschen mit Behinderungen, diese Rechte, die in diesen Gesetzen stehen, leben können. Dass diese Rechte bei den Menschen ankommen, dass sie sich darauf verlassen können, dass das eingehalten wird. Also es geht nicht um irgendwas Nettes, was da geschieht. Es geht nicht um irgendetwas Humanes, Karitatives. Sondern es geht letztlich um die Umsetzung von fundamentalen Grundrechten.

Matthias Klaus: Das sagt Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Wo man sich beschweren kann, können Sie bei uns auf der Website nachlesen. Hier ist "Echt behindert!" von der Deutschen Welle.

Sprecher: Sie hören "Echt behindert!" den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Wir sind auf allen gängigen Podcastplattformen. Email, Feedback und Kommentare an [email protected]. Mehr Infos und Links gibt es unter dw.com/echtbehindert. Und bewerten Sie uns, wo immer Sie uns hören.

Matthias Klaus: Wir sprechen hier miteinander am 28.1.2021. Das ist ein Tag nach dem Holocaust-Gedenktag. Gestern haben Sie, wie schon Ihre Vorgänger an der Gedenkstätte T4 einen Kranz niedergelegt. Herr Dusel, können Sie mir sagen, warum ist das heutzutage immer noch wichtig?

Jürgen Dusel: Weil wir uns immer wieder erinnern müssen, was in unserer Geschichte geschehen ist. Erinnerungsarbeit ist die Voraussetzung dafür, dass man verantwortlich seine Gegenwart und auch die Zukunft gestalten soll. Und die Pandemie hat natürlich da etwas verändert.

Wir haben uns in der Tiergartenstraße nicht wie normalerweise mit ganz vielen Menschen getroffen, sondern ich habe im Grunde in aller Stille einen Kranz niedergelegt. Ich habe am Vormittag oder am ganz frühen Morgen eine Videobotschaft ins Netz gestellt, wo ich tatsächlich noch einmal meine Gedanken mit den Zuschauenden und Zuhörenden geteilt habe.

Es geht mir immer wieder darum zu sagen, dass es wichtig ist, daran zu erinnern, dass eben im Nationalsozialismus entsetzliche Verbrechen, die sogenannten Euthanasie-Verbrechen begangen wurden. Und es war für mich auch nie eine Option, innerhalb der Pandemie nicht zu gedenken.

Ich glaube, gerade in der Pandemie ist es wichtig, dass wir die Erinnerung wachhalten. Denn wir erleben natürlich, dass im politischen und auch im öffentlichen Bereich einfach die Stimmen und auch der Ton härter werden und dass es Menschen gibt, die eben beispielsweise Fakten leugnen und Fakten verdrehen.

Besonders besorgniserregend finde ich es eben auch, dass es Menschen gibt, die sich von unserer Demokratie abwenden und bestimmten politischen Kräften hinterherlaufen, die vermeintlich einfache Antworten auf die schwierigen Fragen geben. Deswegen ist für mich dieses Erinnern letztlich auch als Arbeit für unsere Demokratie sehr, sehr wichtig.

Matthias Klaus: Wie geht es Ihnen als einem, der selbst eine Schwerbehinderung hat, wenn Sie dann dort stehen an dieser Gedenkstätte?

Jürgen Dusel: Es greift mich immer wieder an. Das macht mich immer wieder fassungslos. Es macht mich auch traurig. Auch wenn ich 1965 geboren bin, also 20 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Das macht mich fassungslos und traurig. Und es ist aber auch so, dass ich eine starke Verantwortung empfinde dafür, eben denjenigen entgegenzutreten - auch heute entgegenzutreten - die jetzt wieder anfangen unsere Demokratie teilweise verächtlich zu machen, die jetzt wieder anfangen oder angefangen haben, Personen und Personengruppen zu versuchen an den Rand zu drängen - denen entgegenzutreten, auch im Netz, die Hass und Beleidigungen und Verleumdungen verbreiten. Und ich habe auch gestern gesagt: Ich erwarte von unserem Rechtsstaat, dass er diese Menschen sichtbar macht und im Rahmen der geltenden Gesetze auch zur Verantwortung zieht. 

Matthias Klaus: Ein Thema, an dem wir natürlich auch hier nicht vorbeikommen, ist Corona. Das ist im Moment ja auch in fast jedem Podcast so. Sie haben gerade ein Gesamtkonzept zur Versorgung von behinderten Menschen in der Corona Zeit in der Coronakrise gefordert. An was mangelt es denn da? 

Jürgen Dusel: Ich wünsche mir, dass es ein abgestimmtes Konzept gibt zwischen Impfen und zwischen Schützen und auch was das Maskentragen betrifft. Das fehlt mir zurzeit so ein bisschen. Und ich meine, wir haben ja lange diskutiert, auch über die Frage der Priorisierung, also: Wer wird wann geimpft?

Und da ist es mir immer wichtig zu sagen: Hätten wir genug Impfstoffe, würde es diese Priorisierung gar nicht brauchen. Wir reden über diese Priorisierung natürlich deswegen, weil es zurzeit noch nicht genug Impfstoff gibt. Und da hat man ja die Diskussion doch sehr stark wahrgenommen, dass es Menschen mit Beeinträchtigungen gibt, die sagen, wir sind nicht entsprechend in der priorisierten Gruppe.

Und meine Aufgabe ist es sozusagen da, auch gegenüber dem Gesundheitsministerium eine klare Botschaft zu vertreten.

Matthias Klaus: Wie stehen Sie denn zu den konkreten Forderungen von Schwerbehinderten, dass sie in der Impfreihenfolge nach oben kommen wollen oder meinen zu müssen?

Jürgen Dusel: Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Und wir haben ja jetzt durch die veränderte Empfehlung der ständigen Impfkommission auch die Möglichkeit, dass es Einzelfälle oder Einzelfallentscheidungen in den Ländern geben kann, eben in einer höheren Priorität zu sein.

Mittlerweile ist es so, dass auch ich immer wieder gesagt habe, wir müssen bei bestimmten Personen, die, ein hohes Risiko haben, die nicht "im Heim" leben sondern bestenfalls (das ist ja das Ziel) zu Hause sind,  die Assistenz haben, die gepflegt werden, die betreut werden - für die müssen wir eine höhere Priorität hinkriegen. Und wenn das aus irgendwelchen Gründen nicht möglich ist - und jetzt kommt das Gesamtkonzept ins Spiel - dann müssen sie aber prioritär Zugang haben zum Schutz. 

Das heißt, sie müssen prioritär Zugang haben zu FFP-2 Masken, und zwar nicht nur sie als Person, sondern auch die Pflegekräfte, die Assistenten. Sie müssen die Möglichkeit haben, an Schnelltests zu kommen. Und da hat es mir in der Vergangenheit - nicht nur ein bisschen - an einem Gesamtkonzept gefehlt.

Deswegen haben wir als Beauftragte der Bundesregierung, also ich, zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern, diese Woche auch eine gemeinsame Erklärung auf den Weg gebracht und veröffentlicht. Und ich habe letzte Woche tatsächlich auch eine Presseerklärung dazu gemacht, weil es meine Aufgabe ist, in diesem Falle Politikberatung zu machen - im Verhältnis zum Gesundheitsminister Jens Spahn.

Matthias Klaus: Noch eine mal etwas allgemeinere Frage, wieder mal bezogen auf die Arbeit, die Sie tun. Sie sind selbst sehbehindert. Sie sagten fast blind mit 1 bis 2 Prozent Sehrest. Hat das für Ihre Arbeit, also für Ihr Selbstverständnis, eine Bedeutung?

Jürgen Dusel: Na, ich merke relativ schnell ob die Dokumente der Bundesregierung barrierefrei sind oder nicht. Das nur so am Rande.

Aber: Nein! Das hat natürlich damit zu tun, dass ich klar mit einer gewissen Selbstbetroffenheit auch vielleicht einen anderen Zugang zu dem Thema habe und im Grunde ja eigene Erfahrungen gemacht habe als sehbehinderter Mensch. Aber die Gruppe der Menschen mit Behinderung ist natürlich sehr heterogen, sehr, sehr unterschiedlich.

Und deswegen will ich nicht sagen das es die absolute Voraussetzung dafür ist, den Job zu machen. Aber ich glaube, es macht das Ganze authentischer und es macht, das Ganze auch glaubwürdiger. Und ich finde, wenn wir es ernst meinen mit dem Satz: "Nothing about us, without us!" - und Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen sind, Experten in eigener Sache - dann finde ich es schon richtig, dass der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen eben auch mit Behinderungen lebt.

Matthias Klaus: Was aber nicht so festgelegt ist?

Jürgen Dusel: Im Gesetz nicht. Aber es hat sich da tatsächlich eine Änderung ergeben, einfach im Faktischen. Das ist die Normativität des Faktischen, wie man manchmal sagt.

Meine Vorgängerin Verena Bentele  ist eine Frau, die auch mit Behinderungen lebt. Sie war im Grunde die erste Beauftragte  mit Behinderungen. Ich bin der zweite und ich hoffe, ich bin nicht der letzte. Ich gehe aber auch nicht davon aus. Ich glaube, das wird so bleiben.

Matthias Klaus: Heute zu Gast in "Echt behindert!" war Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Vielen Dank, Herr Dusel, dass Sie für uns Zeit hatten.

Jürgen Dusel: Ich danke Ihnen Herr Klaus.

Matthias Klaus: Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Das war "Echt behindert!". Mein Name ist Matthias Klaus.

Sprecher: Mehr Folgen unter dw.com/echtbehindert.

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.