Träne ist nicht gleich Träne
Wir weinen vor Freude, wir weinen vor Traurigkeit. Wir weinen beim Zwiebelschneiden. Salzig schmecken Tränen immer, aber wenn man genau hinsieht, dann unterscheiden sie sich doch. Und wunderschön anzusehen sind sie.
Trauer und Dankbarkeit
Ein bisschen erinnert dieses Bild an eine Landkarte. Oder an eine Luftaufnahme von hoch oben auf die Erde herab. Doch tatsächlich ist dies eine Träne – eine Träne der Trauer und Dankbarkeit. Schätzungen nach produziert jeder Mensch durchschnittlich 80 bis 100 Liter Tränen in seinem Leben. Der eine vielleicht noch etwas mehr, der andere etwas weniger.
Hoffnung
Die amerikanische Fotografin Rose-Lynn Fisher fragte sich 2008, ob eine Träne der Trauer wie eine Träne der Freude aussehen würde. Sie nahm ein paar Tränen, und fotografierte sie auf einer Glasplatte unter dem Lichtmikroskop – und tatsächlich! In bis zu 400-facher Vergrößerung war es offensichtlich: Tränen unterscheiden sich in ihrem Aussehen. Hier ist eine Träne der Hoffnung zu sehen.
Topografie der Tränen
Von da an begann Rose-Lynn, Tränen – hauptsächlich ihre eigenen – einzufangen, sie zu datieren und zu trocknen, zu fotografieren und ihnen Namen zu geben. Über 1000 Bilder habe sie seitdem betrachtet, sagt sie. Die Aufnahmen erzählten so schöne Geschichten, dass daraus ein ganzer Bildband mit verschiedensten Tränenlandschaften entstanden ist: "The Topography of Tears".
Schutzauftrag
Ganz nüchtern betrachtet schützt die Tränenflüssigkeit schlichtweg unser Auge, vor Staub und Schmutz zum Beispiel. Ein ausgeklügelter Chemiecocktail sorgt für Sauberkeit. Die Basaltränen bildet unser Auge unentwegt, damit es feucht und gesund bleibt.
Mitgefühl
Tränenflüssigkeit besteht aus drei Schichten: Auf der Hornhaut des Auges liegt die etwas schleimige Muzinschicht. Darüber liegt die mittlere Schicht, die zu 98 Prozent aus Wasser besteht. Die äußerste Lipidschicht ist fetthaltig und stabilisiert den Tränenfilm. Hier ist eine Träne des Mitgefühls aus Rose-Lynns Fotoserie zu sehen.
Reue
Tränen enthalten Wasser, Salze, Proteine, Enzymen und Fett. Doch je nachdem, aus welchen Gründen wir weinen – hier ist eine Träne der Reue abgebildet – unterscheidet sich die Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit.
Zwiebeltränen
Neben den Basaltränen gibt es auch Reflextränen. Sie werden von Fremdkörpern oder Umweltreizen hervorgerufen, etwa durch ein Sandkorn oder durch Zwiebelschneiden (hier im Bild). Bei einer frisch aufgeschnittenen Zwiebel reizen schwefelhaltige Aminosäuren das Auge. Reflextränen helfen, Störenfriede wieder auszuspülen. Bei ihnen überwiegt daher der Wasseranteil.
Erschöpft und ausgelaugt
Und dann gibt es noch die emotionalen Tränen. Sie entstehen, wenn starke Gefühle das vegetative Nervensystem stimulieren. Hier sind Tränen der Erschöpfung zu sehen. Solche emotionalen Tränen enthalten bis zu ein Viertel mehr Proteine als Reflextränen, dafür weniger Flüssigkeit.
Am Ende war es egal
Die Träne mit dem Titel "In the end it didn't matter" weinte Rose-Lynn in einem Moment, in dem ihr alles egal war. In dem sie frustriert und unerfüllt war. Sie nahm die Träne und versah die Folie mit einem Datum. Dann geriet sie in Vergessenheit. Als Rose-Lynn die Träne wiederfand und auch ihre Frustration nachgelassen hatte, zeigte sich unter dem Mikroskop eine der schönsten Tränenlandschaften.
Wiedergutmachung
Während ihrer Arbeit wurde Rose-Lynn aber noch etwas klar: Träne ist nie gleich Träne. Denn auch Tränen, die durch die gleiche Emotion hervorgerufen wurden, unterscheiden sich. Es gibt viele Variablen, die das resultierende Bild beeinflussen: das Volumen der Tränenflüssigkeit, die Verdampfung oder Strömung, feinste biologische Variationen, die Mikroskop- und Kameraeinstellungen.