Tournee-Sieg aus dem Nichts
6. Januar 2014Mit dem Erfolg von Thomas Diethart bei der 62. Vierschanzentournee haben nicht einmal die österreichischen Skispringer selbst gerechnet. Auf dem Teambus der Austria-Adler prangt ein riesiges Foto der Mannschaft, Diethart allerdings ist nicht dabei. Der kometenhafte Aufstieg des 21-Jährigen liest sich wie ein Märchen: Schon im achten Weltcup-Springen seiner noch kurzen Karriere sicherte sich Diethart den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee - ein Titel, dem arrivierte Springer der Extraklasse teilweise ein ganzes Sportlerleben lang vergeblich hinterherrennen. Einen Monat vor den Olympischen Spielen in Sotschi (7. bis 23. Februar) gehört Diethart plötzlich auch zu den heißen Gold-Favoriten. Doch wer ist der junge Österreicher überhaupt?
"Flachland-Tiroler" mit enormer Sprungkraft
Diethart stammt aus Michelhausen in Niederösterreich, weit ab der Skisprungzentren der Alpenrepublik. Die nächste Sprungschanze ist etwa zwei Autostunden entfernt. Eigentlich sollte Diethart, der "Flachland-Tiroler", deswegen auch lieber Alpin-Fahrer werden, doch seine enorme Sprungkraft war einfach zu auffällig. Das Talent musste genutzt werden. Diethart schafft eine Sprunghöhe von 75 Zentimetern aus dem Stand, das bringen nicht einmal die hochdekorierten Teamkollegen Gregor Schlierenzauer oder Thomas Morgenstern fertig. Dietharts Vorteil: Er war früher Turner. "Er hat unglaublich viel Kraft in den Beinen", sagt Norwegens Nationaltrainer Alexander Stöckl, ein Österreicher, der mit Diethart früher als Trainer am renommierten Skygymnasium in Stams zusammenarbeitete.
Als Geheimnis seines plötzlichen Erfolges führt Diethart selbst immer wieder seine Lockerheit an. "Ich denke nicht so viel nach", sagte der Überflieger vor dem letzten Springen in Bischofshofen. Und genau das scheint seine Stärke zu sein. "Er lernt seine Konkurrenten jetzt einmal kennen. Die kennt er bisher nur aus dem Fernsehen", sagte Österreichs Nationaltrainer Alexander Pointner. "Er hat gesehen, dass die anderen auch nur mit Wasser kochen." Das allerdings würde Diethart selbst so nie sagen. Er tritt bescheiden, fast schüchtern auf, wenn er sich an der Schanze im Kreise seiner berühmten Teamkameraden bewegt. Die Ehrfurcht vor seinem großen Vorbild Thomas Morgenstern ist ihm stets anzumerken.
Immer kurz vor dem Aus
Ausgerechnet ein Missgeschick seines Idols war es, das Diethart den Sprung in den A-Kader der Österreicher bescherte. Nachdem Morgenstern im Dezember schwer gestürzt war, bewies Nationaltrainer Pointner ein glückliches Händchen und nominierte Diethart für den Weltcup nach. "Zum Einsatz in Engelberg ist er wie die Jungfrau zum Kinde gekommen", sagt Pointner. Und Diethart nutzte die Chance, auf die er so lange gewartet hatte.
Dabei hätte es mit der Karriere als Skispringer beinahe gar nicht geklappt. Diethart flog als Jugendlicher aus sämtlichen Nationalkadern, weil immer wieder andere junge Springer besser waren. Jedes Mal kämpfte sich der ehrgeizige junge Mann zurück. Auch finanzielle Probleme hielten ihn auf seinem Weg an die Spitze nicht auf. "Uns ist das Geld hinten und vorne ausgegangen", erzählte Vater Gernot Diethart vor der Tournee: "Dann gehst du jammern zu Firmen, damit die vielleicht einen Sprunganzug zahlen."
Kuchenverbot bis Sotschi
Seit dem Neujahrsspringen, bei dem er in Garmisch-Partenkirchen erstmals auf der großen Bühne siegte, ist das alles vergessen. Seine Eltern hatten Tränen in den Augen, als er auf dem Podest stand und von den Fans gefeiert wurde. Die Familie hat viel für die Karriere des Sohnes geopfert, das alles zahlt sich nun aus. Diethart steht plötzlich im Rampenlicht. Mit der bei der Tournee gezeigten Form dürfte der 21-Jährige auch bei den bevorstehenden Olympischen Winterspielen in den Kampf um die Medaillen eingreifen.
Vorausgesetzt, er hält den Kuchenkonsum bei den Feiern nach dem Tournee-Erfolg in Grenzen. Diethart hat nämlich eine Schwäche für süßes Gebäck. Mindestens bis zu den Skisprung-Wettbewerben in Sotschi, die zwischen dem 8. und dem 17. Februar stattfinden, muss Diethart noch fasten. Es sollte ihm etwas leichter fallen als bisher: Nach seinem Sieg bei der Vierschanzentournee weiß er schließlich, zu welchen Erfolgen eiserne Disziplin führen kann.