Harte Probe für Kubas Tourismusindustrie
16. Februar 2016US-Amerikaner waren früher nur selten in Havannas historischer Altstadt zu sehen. Heute flanieren sie neben Europäern und Kanadiern in Scharen über die Plätze und Gassen aus der Kolonialzeit. Kubas tropisches Klima, seine reiche musikalische Tradition, die berühmten Zigarren und Oldtimer waren jahrzehntelang tabu für die meisten US-Amerikaner. Schuld waren die Sanktionen der USA gegen das kommunistische Kuba, die auch ein Reiseverbot für US-Bürger beinhalteten. Doch nun sind diese Beschränkungen gelockert worden.
Kubanische Geschäftsleute, Straßenverkäufer und Gauner haben auf den touristischen Ansturm bereits reagiert und ihre Preise für Taxifahrten, Essen und Souvenirs erhöht. Frauen, die Zigarren kauend in farbenfrohen Kleidern und mit traditioneller Kopfbedeckung für ein Foto posieren, verlangen dafür nun fünf statt wie früher einen US-Dollar.
Kuba verzeichnete im vergangenen Jahr einen Besucherrekord von 3,52 Millionen, das sind 17,4 Prozent mehr als 2014. Besuche von US-Amerikanern stiegen um 77 Prozent an auf 161.000 - die hunderttausenden Kuba-Amerikaner nicht mitgezählt, die ihre alte Heimat regelmäßig besuchen. Branchenkenner sind besorgt, dass die Insel einen weiteren Ansturm nicht bewältigen könne. Der ist jedoch zu erwarten, wenn kommerzielle Flug- und Fährunternehmen aus den USA in diesem Jahr wie geplant ihren Betrieb aufnehmen.
Zu spät für das ursprüngliche Kuba
Ausländer, die auf Kuba ein Hotel buchen oder ein Auto mieten möchten, stehen derzeit vor extremen Hürden. Und diejenigen, die gehofft hatten, Kuba zu entdecken, bevor der Massenansturm käme, stellen fest, dass sie bereits zu spät sind: "Kuba ist momentan touristisch total überlaufen. Ich habe so viele Amerikaner gesehen, es ist nicht mehr lustig", sagt die 44-jährige Ana Fernandez, aus Nashville im US-Bundesstaat Tennessee.
Die 46-jährige Gisela Hoiman aus Berlin hoffte Kuba kennenzulernen "bevor es sich verändert". Sie war enttäuscht von den langen Schlangen am Flughafen, den allgegenwärtigen Abzockern und den Massen von Touristen. Die Schulbuch-Redakteurin blieb in Havanna hängen, weil es ihr nicht gelang, einen Platz im Bus nach Santiago im Osten der Insel zu ergattern. "Es war nicht zu schaffen, zu viele andere Touristen waren da. Wir standen an und wurden immer wieder zwischen verschiedenen Schaltern hin und her geschickt", erzählt sie in einem Café in Havannas Altstadt. Ihren großen Rucksack hat sie neben sich auf dem Boden abgestellt. "Ich glaube, Kuba ist hierfür noch nicht bereit."
Die Vereinigten Staaten und Kuba einigten sich im Dezember 2014, ein halbes Jahrhundert Feindseligkeit zu beenden und wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Eine internationale Begeisterung für Kuba entflammte daraufhin. Die Öffnung kam dem kleinen touristischen Privatsektor Kubas zugute – zumeist Familien, die in ihren Häusern Restaurants und Unterkünfte betreiben. Doch die touristische Infrastruktur insgesamt ist mit 63.000 Hotelbetten im ganzen Land noch immer ein weitgehend staatliches Geschäft. Durch jahrzehntelange Wirtschaftssanktionen der USA und die Unterentwicklung des Landes steht es um dieses jedoch schlecht.
Schwache Infrastruktur erschwert das Reisen
"Vom Entladen am Flughafen bis zum Vorhandensein von Restaurants - die Infrastruktur ist am Limit", sagt Collin Laverty, Gründer von Cuba Educational Travel. Er organisiert Touren für US-Amerikaner, die sich bei Reisen nach Kuba noch immer an gesetzliche Auflagen halten müssen.
Die wenigen von Ausländern betriebenen Hotels wie die der spanischen Meliá-Hotelkette sind immer schnell ausgebucht. Vielen Besuchern bleibt dann nur die Option, in einem abgewirtschafteten staatlichen Motel einzuchecken oder ein Zimmer von privat zu mieten. Manche können sich auch die hohen Preise nicht leisten oder werden von Hotels abgewiesen. Vor allem in Havanna reservieren Gruppen US-amerikanischer Luxustouristen ganze Komplexe Monate im Voraus und zahlen dafür höhere Preise.
"Das ist wie ein Schlag ins Gesicht, denn es waren kanadische und europäische Touristen, die in den vergangenen 25 Jahren geholfen haben, die kubanische Wirtschaft in Gang zu halten", sagt Keri Montogmery, der ein kanadisches Unternehmen für Gruppen- und Studienreisen betreibt.
Die kubanische Regierung sucht nach mehr ausländischen Investoren. Bis 2020 soll es 85.000 Hotelzimmer im ganzen Land geben. Doch es geht nur langsam voran, Bauprojekte werden bislang vor allem in den bevorzugten Strandgebieten realisiert, weniger in Kubas kulturellen Zentren.
Verbotene Genüsse, freizügig ausgekostet
Noch immer sind touristische Reisen nach Kuba wegen des bestehenden Handelsembargos für US-Amerikaner verboten. Doch es gibt 12 offizielle Reise-Kategorien, nach denen US-Bürger doch nach Kuba dürfen - aus religiösen Gründen, zu sportlichen Zwecken und zum Bildungsaustausch etwa. Eine der ersten Maßnahmen von US-Präsident Barack Obama nach der politischen Annäherung beider Länder war es, das Reisen nach Kuba einfacher zu machen.
Die vermehrte Präsenz von US-Amerikanern auf der Insel ist besonders in Havanna deutlich zu spüren. Maßnahmen, um das touristische Reiseverbot tatsächlich durchzusetzen, gibt es kaum. Darum genießen einige von ihnen Kubas Strände und Bars in vollen Zügen und ohne jedes Bemühen, sich als Bildungsreisende zu tarnen.
Die US-amerikanische Kontrollbehörde zur Überwachung von Handels- und Wirtschaftssanktionen OFAC hat, seit Obama 2009 sein Amt antrat, nicht einen einzigen US-Bürger zu einer Geldstrafe verdonnert. Unter Obamas Vorgänger George W. Bush zählte die Behörde hunderte Einzelpersonen wegen Embargo-Verletzungen an - am häufigsten wegen unerlaubter Reisen. Mehr als 800 Menschen erhielten Geldstrafen, allein 2004 und 2005 kamen so 1,1 Millionen US-Dollar an Bußgeldern zusammen.
Lohnt ein Kuba-Besuch trotz allem?
Der aus Kalifornien stammende Tony Pandola, 33, führt seit drei Jahren US-Bürger durch Kuba. Früher originäre Erlebnisse, bei denen man Menschen und Kultur nahekommen konnte, seien durch die vielen Touristen nun verdorben: "Auf einer wirklich wunderschönen, ruhigen Farm standen sechs gigantische Tourbusse herum, deren Dieselmotoren permanent liefen. Dazu noch ein paar Minivans und Taxis, deren Insassen alle denselben Tabakbauern besuchen wollten", erzählt er in Viñales, einem malerischen Dorf, das oft von Touristen besucht wird.
Rucksackreisende finden normalerweise eine Unterkunft vor Ort ohne vorher zu buchen. Doch manche stranden im Nirgendwo: "Ein Taxifahrer in Viñales erzählte mir, dass sie den Touristen anbieten, für zehn Dollar die Nacht auf ihrem Rücksitz zu verbringen."
Der 34-jährige Leonardo Diaz aus Viñales arbeitet in seiner Heimatstadt im Tourismus seit er ein Teenager ist. Im Dezember sei jedes Zimmer in Viñales ausgebucht gewesen: "Viele Touristen schliefen einfach im Park. Das gab es hier noch nie."
Havannas Flughafen fehlt die nötige Infrastruktur - Gepäckwagen und Passagiertreppen etwa - um den Touristenstrom zu bewältigen. "Es ist absoluter Wahnsinn" sagt Roniel Hernandez, der am Terminal für Flüge aus den USA arbeitet. "Die Mitarbeiter des Flughafens tun alles nur Mögliche um die Besucher zufriedenzustellen. Doch unsere Geräte sind komplett veraltet und müssten ersetzt werden."
Die Rentnerin Joanna Sarff träumte 50 Jahre lang von einer Reise nach Kuba - nun ist sie endlich da. Sie will sich ihren Trip nicht durch die Unannehmlichkeiten und die Touristenmassen verderben lassen. Anders als die meisten Touristen war sie vor allem daran interessiert, ein Buena Vista Social Club-Konzert zu besuchen und dabei ausgelassen zu tanzen: "Für mich ist die Reise eine großartige Gelegenheit Kuba kennenzulernen: die Kultur, die Menschen, das Essen, die Mojitos und die Zigarren!"