Tote im Container: Zeebrugger Hafen im Fokus
30. Oktober 2019Peter Degroote wundert sich über die große Aufmerksamkeit, die seine Behörde in letzter Zeit bekommt. Seitdem bekannt ist, dass der LKW, in dem in der vergangenen Woche im englischen Essex 39 Tote gefunden wurde, hier im Hafen von Zeebrugge auf eine Fähre gerollt ist, erreichen ihn zahlreiche Medienanfragen aus ganz Europa. Der Zeebrugger Hafen sei gut gesichert, findet er. Wenn Schlepper Menschen in die Laderäume von LKW bringen, dann geschehe das nicht im Hafengebiet. Degroote ist einer der Hafenmeister in Zeebrugge und bestens mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut. Er spricht offen. Über das Geschäft der Schlepperbanden wisse er aber nicht mehr, als in der Zeitung stünde, sagt er.
"Wir können nur hoffen, dass das nicht der Normalfall ist. Aber natürlich gelangen jedes Jahr Menschen in großen Zahlen nach Großbritannien. Wenn wir eine Sache mit Bestimmtheit sagen können", erzählt Degroote, "dann, dass Menschen geschleppt werden."
Wie häufig das hier vorkommt, lässt sich allerdings kaum nachvollziehen. Zeebrugge ist Belgiens drittgrößter Hafen. Letztes Jahr wurden hier 40 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Mehr als die Hälfte dieser Waren bleibt in der EU. Das bedeutet die betreffenden Fahrzeuge und LKW-Container werden am Hafen nicht kontrolliert. So wie im Fall des Kühlcontainers mit den 39 Menschen an Bord, dessen Inhalt von Zeebrugge aus ungesehen nach Großbritannien verschifft wurde.
Kontrollen nur an der Oberfläche
Aus den Fenstern im Konferenzraum des vierten Stocks der Hafenbehörde erstreckt sich die Sicht über eines der Terminals. Hier werden LKW für die Weiterreise abgefertigt. Fahrzeuge, die die Schranke passieren und auf das umzäunte Gelände fahren, müssen im Anschluss durch eine Anlage fahren, erklärt der Hafenmeister. Dort werden die Fahrzeuge automatisch aus allen Blickwinkeln fotografiert, einschließlich der Fahrer, Nummernschilder und Achsen. So soll sichergestellt werden, wer der Fahrer ist, und dass sich niemand unter dem Fahrzeug versteckt. Wie es im Inneren der Trucks aussieht, lässt sich so allerdings nicht feststellen. Nach Angaben der Hafenbehörde werden weniger als zwei Prozent aller Container geröntgt.
In den seltenen Fällen, in denen ein LKW doch ein mobiles Röntgengerät durchfährt, geschieht dies in der Regel nicht, weil der Verdacht des Menschenschmuggels besteht. Die sporadischen Aktionen der Sicherheitsbehörden dienen in erster Linie dazu, Frachtpapiere zu überprüfen und gefälschte Waren aus dem Verkehr zu ziehen.
Auf der Polizeiwache im Hafengebiet will man sich zu den Sicherheitsmaßnahmen nicht äußern. Interviewanfragen werden höflich abgelehnt. Die Beamten verweisen an das Innenministerium in Brüssel.
LKW-Fahrer in Sorge
Auch unter LKW-Fahrern, die in Zeebrugge Pause machen, finden sich nur wenige, die bereit sind, offen zu sprechen. Niculescu Nicutse ist einer von ihnen. Der Rumäne bereitet zusammen mit seinem Kollegen auf einem LKW-Parkplatz das Abendessen zu. Es gibt Nackensteaks, dazu Kartoffeln, die der Kollege fein säuberlich über dem Topf schält. Eine improvisierte Küche auf dem Dieseltank des LKW. Es ist kalt, und je später es wird, desto mehr Lastwagen kommen auf den Parkplatz gerollt.
Nicutse findet die Sicherheit hier im Hafen von Zeebrugge gut. Anderswo könne es dennoch vorkommen, dass Menschen versuchen, in die LKW zu steigen. "Beim Parken in Deutschland, Holland und Frankreich. Vor allem Calais ist ein Problem", sagt er. Einem Kollegen seien einmal sechs Menschen in den Laderaum geklettert.
Die Angst der LKW-Fahrer ist groß, unter Generalverdacht gestellt zu werden. Auch Sicherheitsmaßnahmen wie Plomben würden niemanden davon abhalten, den Laderaum zu öffnen, erzählt Nicutse. Die Plomben, die unmittelbar nach dem Beladen angebracht werden, sollen dem Empfänger gewährleisten, dass sich während des Transports niemand Zugang zur Ware verschafft hat. Wie stabil sie sind, stellt Nicutse unmittelbar unter Beweis. Er holt eine alte Plombe aus dem Führerhaus und einen Bolzenschneider. Ein kräftiger Ruck, und der solide Metallstift zerspringt in zwei Teile, die klirrend auf dem Asphalt aufschlagen.
Wie sich in Zukunft Sicherheit und reibungsloser Warenverkehr unter einen Hut bringen lassen, darüber macht sich Hafenmeister Peter Degroote ebenfalls Gedanken. Aber eine konkrete Antwort hat auch er nicht. Man habe es hier eben mit Kriminellen zu tun und die seien leider immer einen Schritt voraus.