Tote bei Protesten in Kenia: Lage am Parlament eskaliert
Veröffentlicht 25. Juni 2024Zuletzt aktualisiert 26. Juni 2024Ein Gesetz der kenianischen Regierung, das Steuererhöhungen auf Brot, Speiseöl, Damenbinden und andere Produkte des täglichen Gebrauchs vorsieht, löst weiterhin Massenproteste auf den Straßen von Nairobi, Mombasa und anderen kenianischen Städten aus. Jetzt eskaliert die Gewalt in Kenias Hauptstadt Nairobi.
Am Dienstag durchbrachen Demonstranten Barrikaden in Nairobi und drangen in den Parlamentskomplex ein, wo ein Feuer ausbrach. Die kenianische Polizei habe mindestens einen Demonstranten in der Nähe des Parlaments erschossen, berichtete eine Menschenrechtsgruppe am Dienstag.
Die Nachrichtenagentur Reuters meldet acht Tote im Zusammenhang mit den Demonstrationen (Stand Mittwochvormittag). Nach Angaben von Medizinern sind mindestens 13 Menschen getötet worden. "Aber das ist noch nicht die endgültige Zahl", sagte der Präsident des größten Ärzteverbandes in dem ostafrikanischen Land, Simon Kigondu, an diesem Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP.
Die hauptsächlich von der sogenannten "Generation Z" geführten Kundgebungen, die vergangene Woche begannen, haben die Regierung überrascht. Wobei Staatspräsident William Ruto noch am Wochenende erklärte, er sei bereit, mit den Demonstranten zu sprechen.
"Generation Z" geht auf die Straße
Es sind vor allem junge Leute, darunter viele Frauen, die gegen Ruto und seine Wirtschaftspolitik auf die Straßen gehen. "Ruto muss gehen", riefen in den letzten Tagen die Demonstranten, die sich im Umfeld des Parlamentsgebäudes versammelt hatten. Wiederholt feuerte die Polizei Tränengas in die Menge. Hunderte wurden festgenommen. Die Polizei sperrte die Straßen zum Parlament großräumig ab und blockierte sie mit Wasserwerfern und Lastwagen.
Die Stimmung in Kenia ist aufgewühlt. Nicht nur, weil viele Menschen befürchten, dass durch das Gesetz die Lebenshaltungskosten weiter steigen. Auch der Tod von zwei jungen Demonstranten vergangene Woche bewegt die Menschen. Die überwiegende Mehrheit der Protest-Teilnehmer demonstrierte bisher friedlich.
Jugend in Kenia: Tiefes Misstrauen in die Regierung
Die meisten Demonstranten sind unter 30 Jahre alt. Der Begriff der "Generation Z" wird für Menschen verwendet, die in den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren geboren wurden.
"Wir zahlen bereits hohe Steuern, bekommen aber kaum eine Gegenleistung vom Staat. Wir werden regelrecht bestohlen", sagte Schauspielerin Makena Kahuha der DW. Und Pamela Muriuki, eine andere junge Demonstrantin, betont: "Für die Regierung zählen die Wähler nicht. Wir haben sie gewählt, damit sie unsere Interessen vertreten, aber stattdessen unterdrücken sie uns."
Demonstranten nutzen Smartphones und soziale Medien
Die aktuellen Demonstrationen unterscheiden sich von anderen Massenprotesten der Vergangenheit. Diesmal filmten viele junge Demonstranten die Zusammenstöße mit der Polizei mit ihren Smartphones und stellten die Videos online.
Unter dem Hashtag #OccupyParliament erregten die Demonstrationen damit eine große Aufmerksamkeit, vor allem in den sozialen Medien X und Tiktok. Kenianische Medien sprechen inzwischen nicht nur von der "Generation Z", sondern auch von der "Generation Smartphone".
Regierung beugt sich teilweise dem Druck
Nicht zuletzt deshalb konnte die Protestbewegung erste Erfolge für sich verbuchen. Die Regierung kündigte an, einige der umstrittensten Vorschläge zurückzunehmen: "Die vorgesehene 16-Prozent-Abgabe auf Brot wird gestrichen, auch die Steuer auf den Transport von Zucker wird zurückgenommen, ebenso die die Kraftfahrzeugsteuer. Es wir auch keine Erhöhung der Gebühren für mobile Geldüberweisungen geben", kündigte die Regierung an.
Bereits in der vergangenen Woche hatte eine Mehrheit der Parlamentarier dem Gesetz grundsätzlich zugestimmt, nun geht es um vorgeschlagene Änderungen. Präsident Ruto hatte die Steuererhöhungen zuvor als notwendig verteidigt, um die Abhängigkeit von externen Krediten zu verringern. Insgesamt hoffte die Regierung auf rund 2,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen, was 1,9 Prozent des BIP des Landes entspräche.
Spätestens seit der COVID-19-Pandemie kämpfen kenianische Konsumenten gegen stark steigende Lebenshaltungskosten. Beobachter warnen, dass die Armut im Land durch Steuererhöhungen verschärft würde. Vor seiner Wahl hatte William Ruto versprochen, die Steuern zu senken.
Polizeigewalt nicht zu rechtfertigen
"Die aktuellen Jugendproteste verliefen bis zu diesem Dienstag überwiegend friedlich. Aber leider setzt die Polizei immer wieder Gewalt gegen die jungen Demonstranten ein", sagt Wanjiru Gikonyo, Koordinatorin des Institute for Social Accountability, einer zivilgesellschaftlichen Initiative, die sich für gute Regierungsführung einsetzt, im DW-Gespräch.
Ähnlich äußert sich Zaha Indimuli, Geschäftsführerin der Amali Organization, die sich für die Interessen der Jugend in Kenia einsetzt: "Das Verhalten der Regierung ist unwürdig und entblößt all ihre Unreife. Für die Gewalt sollte sie zur Rechenschaft gezogen werden", sagt Indimuli der DW.
"Präsident Ruto möchte sich vor allem auf internationalem Parkett profilieren", fügt Wanjiru Gikonyo hinzu. Massenproteste, wie sie zurzeit in Kenia stattfänden, könnten seinem Image weltweit sehr schaden. Ruto habe seine Vorgänger für ihre "sehr unverantwortlichen Kreditaufnahmen“ immer wieder hart kritisiert. Gleichzeitig habe er aber die Verschuldungspolitik früherer Regierungen fortgesetzt.
"Kenias Wirtschaft hat mit gravierenden strukturellen Problemen zu kämpfen, mit hohen Strompreisen und auch Kosten aufgrund von Korruption. Das Land ist auf dem falschen wirtschaftlichen Weg", fasst Gikonyo die Widersprüche in der Politik des kenianischen Präsidenten zusammen.
Proteste: Beginn des Wandels?
Die jüngsten Proteste in Kenia sollten indes weitergehen, bis die Regierung alle Steuererhöhungen zurückzieht, sagt eine Mehrheit der Demonstranten. Die jungen Menschen verabreden sich vor allem über soziale Medien.
"Die Regierung befürchtet seit Langem, dass soziale Medien genutzt werden könnten, um Protestaktionen zu organisieren, und hat auf strengere Kontrollen durch die Regulierungsbehörden gedrängt", sagt Wanjiru Gikonyo vom Institute for Social Accountability und fügt hinzu: "Die Rechnung der Regierung ist bislang nicht aufgegangen. Diese Revolution der jungen Menschen, angetrieben über die sozialen Medien, scheint der Beginn des Wandels zu sein. Diese jungen Menschen der Generationen Z und Smartphone zeigen den älteren Generationen, wie man es macht."
Felix Maina Maringa in Nairobi trug zu diesem Artikel bei. Der Text wurde am 26.06.2024 aktualisiert.