Topfavorit auf den Nobelpreis: Peter Higgs
7. Oktober 2013Seit sich im Sommer 2012 abzeichnete, dass es das mysteriöse Higgs-Teilchen tatsächlich gibt, reißen sich die Medien um einen untersetzten älteren Mann mit schütterem weißen Haar: Der Physiker Peter Higgs sagte bereits in den 60er Jahren die Existenz des Teilchens voraus.
Dann kamen die Forscher der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf dem Teilchen mit ihrem Teilchenbeschleuniger LHC auf die Spur und unzählige Interviewanfragen prasselten auf den inzwischen 84-jährigen Schotten ein. "Jedes Mal, wenn die LHC-Leute über einen Hinweis auf das Higgs-Teilchen berichteten, rief die Presse nach mir und bat mich um Kommentare", erzählte Peter Higgs dem Physikprofessor Simon Hands im Jahr 2012.
Der ganze Medienrummel scheint Higgs eher lästig zu sein. Sollte Higgs jetzt die begehrteste Auszeichnung für einen Wissenschaftler einheimsen, würde sich das Medientheater aber sicher noch verstärken.
Durch und durch Physiker
Für diejenigen, die wie viele andere Peter Higgs persönlich sprechen möchten, hat Alan Walker, ein Kollege an der Universität Edinburgh, einen Tipp: "Er bevorzugt Journalisten, die die Physik verstehen und darüber fehlerfrei berichten."
Denn auch wenn Peter Higgs seit 1996 emeritiert ist: Er bleibt durch und durch Wissenschaftler. Spekulationen über zukünftige Ereignisse hat er stets abgelehnt. Er beendete seine Greenpeace-Mitgliedschaft, als die Organisation begann, sich gegen Gentechnik einzusetzen. Und wenn ihn jemand fragt, was denn seine Rolle in der ganzen Higgs-Teilchen-Sache gewesen sei, taucht er sofort tief in die Wissenschaft ab. Blumige Umschreibungen für Laien sind weniger sein Ding.
Für ihn typisch sind Aussagen wie: "Ich sage erst etwas dazu, wenn die Ergebnisse vom CERN in der Wahrscheinlichkeit von fünf Sigma liegen." Was für Nichtwissenschaftler bedeutet: Bevor er etwas kommentiert, sollten sich die Forscher zu 99,9999426697 Prozent sicher sein.
Ein Aufsatz, der die Welt verändert
Im Jahr 1964 - Peter Higgs lehrte gerade am Tait Institute in Edinburgh - schrieb er das erste Mal die Idee auf, die ihn weltberühmt machen sollte. Ein bisher unentdecktes Teilchen solle es geben - und das sei der Grund dafür, warum Materie eine Masse hat. Etwas, das Physiker bisher nicht zufriedenstellend erklären konnten. "Für mich war das alles offensichtlich", sagte er einmal bei einer Pressekonferenz und lachte.
Nur eine DIN-A4-Seite lang war der wissenschaftliche Aufsatz über seine weltverändernde Theorie. "Ich wusste nicht, welche Auswirkung sie haben würde. Ich dachte nur, dass es das Beste war, das ich jemals gemacht hatte", erzählte er später. "Und ich war sehr verärgert, als die erste Version meines Papers abgelehnt wurde."
Das Fachmagazin "Physics Letter" wollte seinen Aufsatz nicht veröffentlichen. Vielleicht war die Theorie zu revolutionär - so etwas mögen Fachmagazine auch heute nicht sonderlich. Aber Peter Higgs war hartnäckig, würzte sein Werk mit einer zusätzlichen Schlussbetrachtung und veröffentlichte es dann erfolgreich im US-amerikanischen Konkurrenzblatt "Physical Review Letters". Die Geschichte nahm ihren Lauf.
Nicht mehr der Jüngste
Inzwischen hängt ein Ölgemälde von Higgs in der Universität von Edinburgh, ein Acrylgemälde lässt sich in der Scottish National Portrait Gallery bewundern. Aber am lebenden Exemplar hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen: Higgs fällt das Sprechen manchmal schwer, er verhaspelt sich, hört nicht mehr gut, seine Hände zittern oft.
Mögen sich Kollegen mit bunten, hypermodernen Powerpoint-Vorträgen schmücken - Peter Higgs greift bei Vorträgen über sein Lebenswerk stets aufs Altbewährte zurück: auf einen Overhead-Projektor und einen Stapel handschriftlicher Folien. Wer sich in dem dicht beschriebenen Gekrakel nicht zurechtfindet, braucht ja nicht zuzuhören.
Misserfolge - privat und beruflich
Nicht nur den Anschluss an das Computerzeitalter hat Higgs verpasst: Auch zur mathematikorientierten Teilchenphysik der 70er Jahre fand er keinen Zugang. Nicht er selbst, sondern andere Forscher entwickelten seine Ideen weiter. Die Blütezeit von Higgs' wissenschaftlicher Karriere war schon wenige Jahre nach einer weltbewegenden Idee wieder beendet.
Mit dazu beigetragen hat auch die Scheidung von seiner Frau Jody im Jahr 1972. Higgs war am Boden zerstört. Es heißt, sie habe sich vernachlässigt gefühlt, weil Higgs sich zu sehr in seine Physik verbissen hatte.
Trotzdem: "Peter ist ein Familienmensch", sagte Alan Walker in einer Rede 2010. Er habe sich immer viel Zeit für seine zwei Söhne genommen. Higgs hat inzwischen auch zwei Enkelkinder.
Das Gottesteilchen ist ihm verhasst
Als ihn eine Journalistin fragte, welchen technologischen Fortschritt man von der Entdeckung des Higgs-Teilchens erwarten könne, antwortete Higgs ehrlich: "Ich habe keine Ahnung, was man damit Nützliches anfangen kann." Für Anwendungen in der Medizin, um beispielsweise Tumore zu bekämpfen, sei das Higgs-Teilchen viel zu kurzlebig.
Verhasst ist dem Physiker der Begriff "Gottesteilchen", der sich in den Medien für das Higgs-Teilchen eingebürgert hat. Ihm sei das "peinlich". Er habe das Wort nie benutzt und würde das auch nie. "Ich glaube nicht an Gott, aber ich habe immer gedacht, dass dieser flappsige Begriff einige Menschen beleidigen könnte."
"Es ist schön, recht zu haben"
Was sagte Peter Higgs, als die Forscher am CERN das Higgs-Teilchen tatsächlich gefunden haben? "Ich bin überrascht, dass es noch in meiner Lebenszeit passiert ist. Aber es ist schön, manchmal auch recht zu haben."
Wie es sich für einen Wissenschaftler gehört, weist er darauf hin, dass noch viele Rätsel offen seien. Es gebe noch viel Interessantes rund um das Higgs-Teilchen zu messen. "Der Teilchenbeschleuniger hat noch eine Menge zu tun. Und ich freue mich darauf, mehr davon zu hören."