Toomey: Snowden kann kein Verräter sein
18. Dezember 2013DW: Was hat der konservative Richter Richard Leon in seinem Urteil genau beanstandet?
Patrick Toomey: Der Richter ist nach Anhörung beider Seiten zu dem Schluss gekommen, dass das Sammeln von Telefondaten der Amerikaner über sieben Jahre hinweg gegen das individuelle Recht auf Privatsphäre verstößt. Das ist der wichtigste Punkt. Sein Urteil wertet die Metadaten unserer Telefongespräche - also wann wir anrufen, wen wir anrufen und wie lange diese Gespräche dauern - als sehr private Informationen. Und das sind Informationen, die Menschen für gewöhnlich nicht mit der Regierung teilen. Wenn die NSA diese Informationen über einen langen Zeitraum sammelt, kann sie sich ein detailliertes Bild über die Bürger machen. Das verstößt gegen die Privatsphäre, auf die sich jeder verlassen können sollte, und es ist ein Verstoß gegen den vierten Verfassungszusatz. Auf dieser Grundlage ist der Richter zu dem Schluss gekommen, dass das Programm (Anm.d.Red.: der NSA) nicht verfassungsgemäß ist. Er hält es für wahrscheinlich, dass die Kläger mit ihrem Fall Recht behalten werden.
DW: Welche juristischen Auswirkungen könnte das für die Arbeit der Geheimdienste haben – auch mit Blick auf weitere Klagen gegen die Praktiken der NSA?
Die unmittelbaren juristischen Auswirkungen werden sich erst noch zeigen, schließlich muss die Entscheidung noch vor einem Berufungsgericht bestehen, bevor irgendein Teil des Programms gestoppt werden könnte. Es ist jedoch ein unmittelbarer, grundlegender Beitrag für die öffentliche Diskussion und für die Debatte um die Gesetzgebung. Gerade auch mit Blick auf eine ähnliche Klage, die ACLU (Anm.d.Red.: die US-Menschenrechtsorganisation American Civil Liberties Union) gerade in New York vertritt. Die Botschaft des Urteils an die Öffentlichkeit ist: Diese Programme können auf transparente Weise in einem öffentlichen Gericht angefochten werden. Selbst Richter, die von einem konservativen Präsidenten ernannt worden sind (Anm.d.Red.: Richter Richard Leon wurde vom republikanischen Präsidenten George W. Bush an das US-Bezirksgericht in Washington berufen), kommen zu dem Schluss, dass die Programme nicht verfassungskonform sind und das individuelle Recht auf Privatsphäre verletzen. Das ist aus meiner Sicht sehr bedeutend. Es wird die Öffentlichkeit von den tiefschürfenden, rechtlichen Problemen mit diesen Programmen überzeugen. Und das wird den Kongress unter Druck setzen, sie zu reformieren.
Welchen Effekt könnte der Richterspruch auf die Beurteilung von Edward Snowden und anderen Whistleblowern haben?
Er wird sich mit Sicherheit positiv auf die öffentliche Sicht auswirken und auf die Einsicht, wie bedeutend solche Enthüllungen sind. Snowden hat Inhalte offengelegt, die ein Bundesrichter für nicht verfassungskonform hält. Für Whistleblower ist das verfassungsmäßig garantierte Recht entscheidend, denn sie sind ein wichtiger Kanal, über den die Öffentlichkeit von Betrug, Verschwendung, Missbrauch oder andere Handlungen von Regierungsmitarbeitern oder -agenturen erfährt, die gegen die Verfassung verstoßen. Das Urteil bestätigt meiner Ansicht nach, dass Edward Snowden nicht der Verräter ist, den viele Menschen in ihm sehen. Er ist ein Whistleblower, der Entscheidendes zur öffentlichen Debatte über diese sehr ernsten und in die Privatsphäre eindringenden Programme beigetragen hat.
Patrick Toomey ist Anwalt für das Programm für Nationale Sicherheit (National Security Program) der US-Menschenrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU). Er arbeitet in den Bereichen Geheimdienst, zeitlich unbegrenzte Internierungen und Regierungsgeheimnisse.
Das Interview führte Antje Passenheim