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Gesellschaft

Mutig gegen Neonazis

Sarah Judith Hofmann20. September 2015

Die Skinheads der Region kennt er so gut wie alle. Und sie kennen ihn. Tom tritt ein für Flüchtlinge und Toleranz. Auch wenn’s gefährlich wird.

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Bildergalerie Pirna Heidenau
Bild: DW/S. Hofmann

Es ist einer der letzten heißen Sommertage in diesem Jahr. Die Wettervorhersage kündigt Gewitter rund um Dresden an. Doch noch scheint die Sonne in Pirna, rund 25 Kilometer von Dresden entfernt.

Seit acht Uhr morgens hat Tom Waurig im Großraumbüro der "Aktion Zivilcourage" in Pirnas Altstadt gesessen. Er hat Anrufe von Menschen aus dem benachbarten Heidenau angenommen, die den Flüchtlingen im dort errichteten Erstaufnahmelager helfen wollen – mit Spielzeug, Geld, Kleidung. Einige wollen Deutschunterricht geben oder Essen austeilen. Der Verein koordiniert die Flüchtlingshilfe gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK). Alle drei Minuten klingelt das Telefon.

Tom Waurig hat letzte Korrekturen an der neuen Ausgabe des vereinseigenen Magazins gemacht, dessen Chefredakteur er ist. "Couragiert" heißt es. Er hat Diskussionen auf Facebook geführt, mit Usern, die öffentlich pöbeln, der Verein solle doch lieber Obdachlosen helfen anstelle von Flüchtlingen, wenn er schon um Spenden bettele. Ach ja, und dann war da noch die Sache mit dem Flugblatt, das irgendwer in Pirna in Umlauf gebracht hat. Deutsche, so stand es da, sollten doch bitte aus Rücksicht auf die muslimischen Flüchtlinge öffentlich keine Würstchen aus Schweinefleisch mehr essen, Frauen am besten gleich ein Kopftuch tragen! Der reinste Zynismus. Darunter das offizielle Logo der Aktion Zivilcourage. Also hat Tom in Absprache mit seinem Chef eine Richtigstellung verfasst, dass nicht sie hinter dieser Aktion steckten.

Ein ganz normaler Morgen für den 25-Jährigen. Er lacht. Schlechte Laune macht ihm so etwas nicht mehr. Jetzt ist es Mittag, und er nimmt sich Zeit, mir die Stadt zu zeigen. Das ist ihm wichtig. Es sollen nicht immer nur dieselben Vorurteile reproduziert werden über "den Osten" und die Neonazis. Über seine Heimat, die Sächsische Schweiz.

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Pirna in der Sächsischen Schweiz. Hier hat die "Aktion Zivilcourage" ihren Sitz.Bild: DW/S. Hofmann

Die "Kameraden" sind auch dabei

Unser Spaziergang beginnt auf dem Marktplatz. Eine Kulisse wie aus einer Tourismus-Werbebroschüre. Frisch gestrichene Gründerzeithäuser, ein Glockenturm, in einem Brunnen plätschert das Wasser. Nach dem großen Hochwasser 2013 wurde hier alles saniert, zum zweiten Mal, denn auch 2002 hatte die Flut Pirna erwischt. "Hier machen wir jedes Jahr im Sommer einen Markt der Kulturen. Für viele ist das Essen der erste Kontakt mit dem Fremden. Und das wird richtig gut angenommen", sagt er. "Na ja. Ein paar 'Kameraden' sind auch immer dabei."

Kameradschaften, so nennen sich viele rechte Gruppierungen. Tom benutzt das Wort ganz trocken. Seine Art von Humor. Sollen sie doch auf das Fest kommen und sehen, wie schön das ist, meint er. "Wir kennen die ja alle aus dem Stadtbild. Und die kennen uns auch. Wir sind da ganz entspannt."

Tom ist kein gebürtiger Pirnaer. Geboren ist er im Januar 1990 in der Nähe von Görlitz. Seine Mutter, sagt er, erzähle immer noch gern auf Geburtstagen, wie sie das erste Mal nach dem Mauerfall rüber nach Westberlin gefahren sei - mit ihm im Bauch. Die Mutter, damals gerade 23 Jahre alt, war in der DDR Lehrerin. Tom ruft sie manchmal an und fragt: "Mutti, wie war das denn damals?"

Geschichte spielt in der Familie durchaus eine Rolle. Der Opa kam aus Schlesien, ein Vertriebener, der beim Volksaufstand der Arbeiter 1953 in der DDR mitgemacht und daraufhin im Stasi-Gefängnis Bautzen interniert wurde. Auch die Oma wurde mal von der Stasi abgeholt. "Sie wollen doch, dass ihre Tochter studieren kann", hatte man der Oma damals gesagt. "Ich hab in meiner Familie nicht einen, der sich die DDR-Zeit zurückwünscht", sagt Tom.

Und in der Gegenwart, spielt da das Thema Ost und West noch eine Rolle? "Nicht für meine Generation", glaubt Tom. Er habe sich nach dem Abi genauso vorstellen können, in Trier zu studieren wie in Leipzig. Nur nach Dresden wollte er eben noch lieber, um weiterhin bei der Aktion Zivilcourage arbeiten zu können. Dort hatte er schon ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) gleich nach der Schule gemacht. Dass es jetzt wieder heiße, im Osten gebe es nur Nazis, das regt ihn auf. "Wir wissen, dass wir hier ein Neonazi-Problem haben", sagt er. "Aber wir tun auch so viel dagegen wie kaum irgendwo sonst". Und tatsächlich: In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Vereine und Initiativen gegen Rechts wie in Sachsen.

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Der Marktplatz von Pirna mit seinen Gründerzeithäusern. Hier findet jeden Sommer der "Markt der Kulturen" statt.Bild: DW/S. Hofmann

"Der vorgeschobene Antifaschismus der DDR hat das ganze Thema der Fremdenfeindlichkeit unter Verschluss gehalten", sagt der ehemalige Student der Politikwissenschaften. "Und auch die Ghettoisierung der Gastarbeiter, der separaten Viertel für Vietnamesen oder Mosambikaner. Es fehlte der Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen." 1995 hat der erste Dönerladen in Pirna aufgemacht. Davon erzähle sein Chef immer. Das war eine Sensation. Bis dahin gab's nur Bratwurstbuden. Mittlerweile gehöre der Gemüsehändler aus Vietnam zum ganz normalen Stadtbild.

Die "Skinheads Sächsische Schweiz" mischen jetzt beim Fußball mit

Tom will runter ans Elbufer, dorthin, wo auf dem Bürgersteig kleine bunte Gedenkkreuze aufgemalt sind. 15.000 sind es insgesamt, eines für jedes Opfer der Euthanasiemorde der Nationalsozialisten. Ein Schulprojekt der Aktion Zivilcourage. Tom spricht über die Präventionsarbeit in den Schulen, über Demokratieförderung und darüber, dass die rechte Szene in Pirna in den letzten Jahren eigentlich viel schwächer geworden ist.

Dann kommt ein Mann um die Ecke gebogen, der aussieht wie das lebendig gewordene Klischee eines Neonazis. Glatze, breite Schultern, die aufgepumpten Oberarme tätowiert, an der Hundeleine ein Pitbull. Tom lacht. Wie jemand, der ertappt wurde. "Das ist der Tattooladenbesitzer", flüstert er. Man merkt ihm an, dass ihm lieber wäre, dass wir den Tätowierer jetzt nicht getroffen hätten. Aber er redet das Problem nicht klein. "Das ist einer, der auch früher bei der 'SSS' dabei war", sagt er. "Ich sehe den oft bei Dynamo Dresden."

SSS - das steht für "Skinheads Sächsische Schweiz". Eine fast paramilitärisch organisierte neonazistische "Kameradschaft", die 2001 verboten wurde. Verschwunden sind die Mitglieder aus der Region rund um Pirna nicht. Sie sind jetzt bei der NPD, in rechten Bürgerbewegungen oder als Hooligans beim Fußballclub Dynamo Dresden aktiv.

Auch Tom ist Fan von Dynamo Dresden. Obwohl der Verein berüchtigt ist für Probleme mit Rechtsextremisten. Oder vielleicht auch gerade deswegen? Man dürfe den Nazis nicht einfach das Terrain überlassen, meint er. "Ich fahre sogar zu Auswärtsspielen."

Hat er Angst, von rechten Hooligans angegriffen zu werden? "Nee", sagt er nüchtern. "Hab ich nicht." Während seiner eigenen Schulzeit, erzählt Tom, hätten drei Skinheads mal seinen Kumpel umgehauen. Einfach so, ohne Vorankündigung. "Was soll man da machen? Das war halt so damals", sagt er.

"Wenn die NPD über einen schreibt, hat man was richtig gemacht"

Vor drei Jahren ist Tom noch einmal in seinen Heimatort zurückgekehrt und hat mit dem Gemeinderat zusammengearbeitet. Dann veröffentlichte die NPD einen Artikel über ihn: "Ein Juso-Streber im Kampf gegen Rechts". Der Artikel landete auch bei den Eltern im Briefkasten. Tom lacht. "Die haben dann gesagt, willst du dir nicht überlegen, ob du damit aufhörst? Die werfen uns noch die Scheiben ein und brennen unser Haus ab." Stolz mischt sich in den Zynismus: "Man kann auch sagen, wenn die NPD über einen schreibt, hat man was richtig gemacht, dann haben die offenbar Angst, dass man ihnen Wählerstimmen wegnimmt." Aber klar, fügt er an, das sei schon ein komisches Gefühl, so was über sich zu lesen. Er hat dann auch Anzeige erstattet. Aber der NPD-Text befand sich laut Gericht noch im Rahmen der Meinungsfreiheit.

Härtet man ab? "Ich glaube schon. Wenn man sich in diesem Themenfeld engagiert, darf man sich nicht einschüchtern lassen. Dann ist das der falsche Job."

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Der Bahnhof von Heidenau: Bis Dresden sind es keine 20 Minuten mit der S-Bahn.Bild: DW/S. Hofmann

Wir fahren nach Heidenau. Dort spielt Tom gemeinsam mit einem Kollegen jeden Dienstag Fußball mit sogenannten "unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen". Die Jugendlichen sind ganz allein ohne Eltern aus Afghanistan geflohen. Nach zehn Minuten Fahrt mit der S-Bahn sagt Tom trocken: "Tja, das ist Heidenau." Die drittgrößte Stadt des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge nach Freital und Pirna. 16.500 Einwohner hat der Ort, der zu einem Symbol geworden ist für rechtsextreme Gewalt gegen Flüchtlinge. Zuerst organisierte die NPD eine Demonstration vor einem Erstaufnahmelager, zu der auch ganze Familien kamen. Dann kam es zwei Nächte in Folge zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizisten, die das Flüchtlingslager schützen sollten. Schließlich besuchte Vizekanzler Gabriel Heidenau und nannte die Randalierer "Pack". Die Kanzlerin wurde bei ihrem Besuch kurz darauf ausgebuht und übel beschimpft. Seither ist Heidenau in aller Munde. Das weiß auch Tom.

Er war bei jeder Demo dabei. Als Beobachter, ein wenig abseits, aber nah genug, um alles zu sehen. Das machen sie immer so, er und sein Chef. "Größtenteils waren das Männer zwischen 30 und Mitte 40 und viele organisierte Neonazis, die uns vom Gesicht bekannt sind." Professionelle Hooligans, die ihren Hass auf die Polizei ausleben wollten, nachdem sie das im Stadion nicht mehr könnten. "Und 'erlebnisorientierte Jugendliche', wie sie dort drüben stehen", sagt Tom leicht ironisch mit Blick zur anderen Straßenseite. Von dort schauen uns vier junge Männer mit auffällig kurzen Haaren nicht besonders freundlich an.

Aber auch Mädchen von 15 Jahren seien bei einigen Demos vor dem ehemaligen Baumarkt, in dem inzwischen rund 250 Flüchtlinge untergebracht sind, dabei gewesen. "Da wundert man sich schon", sagt Tom. "Vor ein paar Jahren war es noch verwerflich, sich hinter die NPD einzureihen. Das ist es jetzt nicht mehr." Gegen "Überfremdung" auf die Straße zu gehen sei in der Asyldebatte wieder salonfähig geworden. Manchmal habe er schon Probleme, die Motivation dieser Leute nachzuvollziehen. Da kämen Menschen aus einem Kriegsgebiet, müssten nun in einem ehemaligen Baumarkt kampieren - und diese Demonstranten hätten nichts Besseres zu tun als zu bemerken, dass die ja alle ein Smartphone hätten. "Aber das sind ja nicht alles Rassisten." Man müsse den Menschen eben Gegenangebote machen, damit nicht die NPD die einzigen seien, die sich die Sorgen am Gartenzaun anhörten und mit den Jugendlichen klettern gingen.

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Tom (Mitte) und die deutsch-afghanischen Fußballfreunde: Spielen geht auch ohne Sprache.Bild: DW/S. Hofmann

Fußball spielen ist eine gemeinsame Sprache

Am Fußballplatz wartet schon Toms Kollege Ronald. Er hat die Jugendlichen an ihrer Unterkunft, die nicht weit von dem umfunktionierten Baumarkt liegt, abgeholt. Einige kicken sich schon die Bälle zu. Andere trudeln noch ein. Als alle 20 da sind, teilt Ronald sie in zwei Mannschaften ein. Mit wenig Worten und vielen Gesten. Denn nur einer der Afghanen spricht Englisch, Deutsch lernen sie gerade vollkommen neu. Und die Deutschen sprechen kein Dari. Beim Fußball ist das alles kein Problem.

Dann wird der Himmel dunkel. Es donnert in der Ferne. Doch keiner will aufhören zu spielen. Erst als Regenmassen auf den Ascheplatz von Heidenau fallen, stellen sich die Mannschaften unter einen Baum. Ein paar kicken auch jetzt noch weiter. Sie sind ehrgeizig und gut. Das hat auch ein Trainer des SV Heidenau erkannt. In Latzhose sei der letzte Woche auf sie zugekommen, erzählt Tom. Da habe er gedacht, der wolle sich bestimmt beschweren. Das Gegenteil war der Fall. Die Jungs sollten doch mal bei seiner Mannschaft vorspielen. Gute Spieler könne er gebrauchen. Manchmal, meint Tom, werde man eben auch positiv überrascht. Um die Jugendlichen in Heidenau macht er sich daher keine Sorgen. "Ich glaube nicht, dass diese Leute, die demonstriert haben, wirklich Flüchtlinge angreifen würden. Das wär 'ne andere Dimension. Ich hoffe einfach, dass das nie passiert."

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Kurze Pause unter der Autobahnbrücke: Da der Regen nicht aufhört, laufen die Fußballer irgendwann einfach zurück Richtung Flüchtlingsunterkunft. Dort spielen sie dann noch eine Runde Karten.Bild: DW/S. Hofmann