Das Bayern-Jahr der Superlative
24. Dezember 2020Um die Dynamik des Erfolgs des FC Bayern im Jahr 2020 richtig einordnen zu können, ist ein Blick zurück vor die Jahreswende notwendig. Es war der 4. November 2019, als eine Erfolgsgeschichte begann, die sich wohl niemand rund um die Säbener Straße so hätte ausmalen können. Co-Trainer Hansi Flick wurde zum Chef der Bayern-Profis befördert. Nach einem 1:4 der Bayern bei Eintracht Frankfurt und der Beurlaubung von Nico Kovac. "Als er im November 2019 kam, war es so, als wenn einer den Lichtschalter angestellt hätte und dann sind wir in eine Erfolgsstory namens Hansi Flick mit dem ganzen Klub gekommen", sagt Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern.
Was danach folgte, ist ein Jahr der Superlative für den FCB, das zunächst in einem Triple (Meisterschaft, Pokalsieg, Champions-League-Triumph) gipfelte. Und das in seiner Fortführung mit dem Verlauf der neuen Saison kaum eine Abschwächung fand. "Es ist ja unglaublich, dass ein Trainer, der noch nie Chefcoach in der Bundesliga war, solch eine Leistung gemeinsam mit seinem Trainerteam abliefert. Und das ist ja auch nicht so einfach beim FC Bayern", sagt Michael Rummenigge der DW. "Es war ein außergewöhnliches Jahr, mit dem Namen Hansi Flick verbunden."
Fit zurück aus der Corona-Zwangspause
Der ehemalige Nationalspieler, Profi beim FCB und Bruder von Karl-Heinz, spielte einst - Mitte der 80er Jahre - gemeinsam mit Flick in einem Team. Rummenigge, Flick und Lothar Matthäus bildeten damals eine kleinere Gruppe aus jungen Spielern bei den Bayern, die viel miteinander unternommen haben. "Hansi war sehr ruhig, hat nie geklagt, auch wenn er mal nicht spielte. In ihm müssen damals schon Dinge geschlummert haben, die lange nicht zu sehen waren", sagt Michael Rummenigge. "Solch einen Erfolg habe ich ihm nicht zugetraut. Aber er hat uns alle überrascht."
Sein Potenzial als Trainer kann Flick nun bei den Münchnern voll entfalten. "Es gibt drei Punkte, die ich immer wieder sage: Loyalität, Vertrauen, das braucht jeder Mensch. Aber es muss auch eine gewisse Qualität da sein", sagt Flick über seine Herangehensweise. Und diese Marschroute scheint geradezu optimal zu funktionieren. Flick hat aus einer verunsicherten Mannschaft ein Team geformt, das vor Selbstvertrauen nur so strotzt und auch nahezu perfekt im internen Umgang miteinander harmoniert. Zudem hat er die Corona-Pause mit seinem Trainerteam so gut gemeistert wie kaum ein anderer Fußballlehrer. Die Spieler kamen so fit aus der Zwangspause wie kein anderes Team - und überrannten danach so manchen Gegner.
Großes Vertrauen
"Es hat noch nie so Spaß gemacht in einer Mannschaft wie jetzt", sagte Torhüter Manuel Neuer nach dem Champions-League-Sieg in Lissabon. Eine beim FC Bayern der Vergangenheit wohl nie da gewesene Erkenntnis. Galt der Klub doch lange als ein Sammelbecken von Stars, die vor allem ihre persönlichen Interessen in den Vordergrund gestellt haben.
"Er hat den Schlüssel zu den Spielern gefunden. Wenn man sieht, was Thomas Müller nochmal für eine Entwicklung genommen hat, dann spricht das einfach für die Qualität von Hansi. Er hat das große Vertrauen bei den Spielern entwickelt. Und wenn die Spieler solch ein Vertrauen spüren, dann passieren manchmal Dinge, mit denen niemand rechnet", sagt der 56-Jährige.
Zudem habe Flick eine nachhaltige Achse im Team der Münchner herausgebildet. Beginnend bei Manuel Neuer über Jerome Boateng, weiter zu Thomas Müller bis hin zu Robert Lewandowski habe der Trainer Schlüsselspieler eingesetzt, die die Verantwortung auf dem Feld übernommen haben. "So etwas muss man erstmal finden in Europa", sagt Rummenigge.
Rekorde ohne Ende
Wie dankbar die Spieler über Flicks Vertrauen waren und wie sehr sie diesen in sie gesetzten Glauben in Motivation umgesetzt haben, zeigt nicht zuletzt die Rekord-Bilanz der Bayern. Hier ein paar Auszüge:
Der FC Bayern ist der erste Verein, der alle Spiele in einer Saison der Champions League gewinnen konnte. Mit 49 von möglichen 51 Punkten in der Bundesliga-Rückrunde sowie einem Torverhältnis von +44 hat die Mannschaft ebenfalls einen neuen Bundesliga-Rekord herausgespielt. Im Schnitt erzielte der FC Bayern unter Hansi Flick 3,1 Tore pro Bundesliga-Spiel - Rekord. Die Bayern waren 30 Pflichtspiele lang ungeschlagen (29 Siege, ein Remis gegen Leipzig) – das ist ebenfalls deutscher Rekord. Die (Erfolgs-) Liste ließe sich weiter fortführen.
Und auch die individuellen Rekorde können sich sehen lassen. Hansi Flick gewann in seiner ersten Saison 88 Prozent aller Bundesliga-Spiele – das ist die historisch höchste Siegquote aller Bundesliga-Trainer. Müller gab 21 Torvorlagen und stellte damit ebenfalls einen neuen Rekord auf. Robert Lewandowski schaffte mit 34 Saisontreffern einen neuen Torrekord für ausländische Bundesligaprofis. Joshua Kimmich lief in der vergangenen Bundesliga-Saison 397,9 Kilometer (im Schnitt 12,7 Kilometer pro Spiel) - ligaweit legte er dami die größte Strecke zurück.
Mit fünf Siegen und einem Remis setzten die Münchner ihre Erfolgsserie in der Champions League auch in der Saison 2020/21 fort, zogen souverän ins Achtelfinale ein. In der Bundesliga haben sie nicht zuletzt aufgrund der hohen Belastung und einiger Verletzungen (Joshua Kimmich, Leon Goretzka) ihre Unbesiegbarkeit eingebüßt - dennoch sind sie wieder der Top-Favorit, es wäre ihr neunter Titel in Folge. "Der FC Bayern ist selten mehr für seinen Spielstil bewundert worden als im Jahr 2020", sagt FCB-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge. Hansi Flick setzt seinen Weg unbeirrt fort.