China eine Nummer zu groß für Boll und Co.
6. August 2021"Gegen China im Finale von Olympischen Spielen - das ist die größte Herausforderung im Tischtennis, vielleicht im ganzen Sport", hatte Dimitrij Ovtcharov schon vor dem Kampf um Gold in Tokio gesagt. "Aber es haben auch viele versucht, Rafael Nadal bei den French Open der Tennisprofis zu schlagen. Jetzt hat Novak Djokovic es geschafft. Vielleicht wird das Glück auf unsere Seite wechseln." Das tat es nicht.
Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska mussten sich im Finale den drei Ersten der Tischtennisweltrangliste, Fan Zhendong, Xu Xin und Ma Long, klar geschlagen geben. 0:3 hieß es nach dem Doppel und den beiden Einzeln. Immerhin konnte Ovtcharov gegen Fan zwei Sätze gewinnen, Boll einen gegen Ma. Mehr war nicht drin. Seitdem der olympische Teamwettbewerb 2008 eingeführt wurde, hieß der Olympiasieger immer China. "Wir haben unsere kleine Chance gehabt", sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf hinterher. "Wir sind sehr stolz auf dieses Turnier und mit der Silbermedaille mehr als zufrieden."
Tischtennis-Übermacht
China ist schließlich die Tischtennis-Großmacht schlechthin, um nicht zu sagen eine Übermacht. Seitdem die Sportart - 1988 in Seoul - erst relativ spät olympisch wurde, haben die Spielerinnen und Spieler aus dem "Land der Morgenröte" - inklusive der Spiele in Tokio - 32 von 37 möglichen Goldmedaillen gewonnen. Das kommt nicht von ungefähr.
Tischtennis ist in China der Volkssport Nummer eins, die Zahl der Aktiven wird auf mehr als 60 Millionen geschätzt. Sie treffen sich in unzähligen Betriebsmannschaften oder auch öffentlichen Spielhallen an den Platten. Der Staat finanziert ein umfangreiches Förderprogramm: Schon im Kindesalter werden die Talente gescoutet, im Grundschulalter geht es für die größten der kleinen Hoffnungsträger aufs Sportinternat, wo sie von Toptrainern ausgebildet werden.
Boll ein Star in China
Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov sind neben dem Österreicher Werner Schlager die einzigen Spieler, denen es seit dem Jahr 2000 gelang, wenigstens für einige Monate die Topspieler Chinas von der Spitze der Weltrangliste zu verdrängen. Boll schaffte dieses Kunststück gleich viermal: zweimal 2003, 2011 - und 2018, als er mit 37 Jahren zum bisher ältesten Spieler aller Zeiten zur Nummer eins der Welt wurde.
Kein Wunder, dass der inzwischen 40-Jährige in China ein absoluter Superstar ist. Überall, wo der Rekord-Europameister aus Deutschland auftaucht, ist er im Nu von chinesischen Tischtennis-Fans umringt. Dutzende Male hat Boll das Riesenland bereist, mehrfach in der "Chinese Super League" gespielt und sogar ein Buch über seine vielen Aufenthalte dort geschrieben.
Rekordhalter Ovtcharov
Die Spiele in Japan waren bereits die sechsten in der langen Karriere Bolls. Im vergangenen Jahr schien seine Laufbahn fast schon beendet zu sein. Starke Rückenschmerzen warfen Boll monatelang aus dem Rennen. Doch er kämpfte sich zurück. Eine Einzelmedaille blieb ihm in Tokio erneut versagt. Doch im Teamwettbewerb, der 2008 bei Olympia die Doppel-Konkurrenzen ablöste, stand Boll am Ende immer auf dem Podest: 2008 und jetzt in Tokio auf dem Silberrang, 2012 und 2016 mit Bronze dekoriert.
Auch Ovtcharov, der Anfang 2018 zwei Monate lang an der Spitze der Weltrangliste stand, war bei allen olympischen Medaillengewinnen des deutschen Teams mit dabei. Im Gegensatz zu Boll hat Ovtcharov auch schon zweimal Einzel-Bronze geholt: 2012 in London und jetzt in Tokio. In einem atemberaubenden Halbfinal-Krimi hatte der 32-Jährige sogar den späteren Olympiasieger, Ma Long, am Rande einer Niederlage. Auch wenn es nicht zu Gold reichte, hat Ovtcharov in Tokio Historisches geleistet: Er ist der bisher einzige Tischtennisspieler weltweit, der sechs olympische Medaillen gewinnen konnte. Ma Long ist ihm auf den Fersen - und seine fünf Medaillen waren allesamt golden.