Timoschenko? Nein, Danke
27. März 2014Ende Februar in Kiew. Ein schwarzer S-Klasse-Mercedes wird angehalten. Die Fensterscheibe hinten rechts öffnet sich: Im Wagen sitzt Julia Timoschenko. Die ehemalige Ministerpräsidentin und langjährige Oppositionsführerin genießt ihre ersten Stunden in Freiheit nach zweieinhalb Jahren Gefängnis. "Sie werden doch nicht vergessen, wer diese Revolution gemacht hat?", fragt ein Mann mit leicht drohender Stimme. "Ich werde es nicht vergessen, das ist das Wichtigste für mich", antwortet Timoschenko schnell und winkt mit den Händen. Sie sieht überrascht aus.
Die Männer, die den Konvoi von Timoschenko und ihrem Parteifreund Arseni Jazenjuk, der mittlerweile Ministerpräsident der Ukraine ist, gestoppt haben, zählen zu der oppositionellen "Selbstverteidigung des Maidan". Es habe ihnen nicht gefallen, wie herrisch die beiden Politiker vorgefahren seien, sagte ein Mann.
Alte Korruptionsvorwürfe
Die Szene steht symbolisch für die Haltung gegenüber der einst mächtigen Oppositionsführerin. Schon bei ihrem ersten Auftritt auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan Nesaleschnosti) in Kiew verkündete die 53-Jährige, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Die Begeisterung Zehntausender hielt sich bei Timoschenkos Auftritt in Grenzen.
Am Donnerstag (27.03.2014) bekräftigte Timoschenko ihren Anspruch. "Ich plane, für den Posten des ukrainischen Präsidenten zu kandidieren", sagte die Politikerin vor Journalisten in Kiew. Sie wolle sich am 29. März auf einem Kongress ihrer Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) von den Delegierten bestätigen lassen. Die Wahl ist für den 25. Mai angesetzt.
Timoschenko ist in der Ukraine umstritten. Serhij Leschtschenko bringt es auf den Punkt: "Julia, es reicht." Der Prozess gegen Timoschenko sei zwar politisch motiviert gewesen, schreibt der Starkolumnist der Kiewer Online-Zeitung "Ukrainska Prawda" in seinem Blog. Doch jetzt sei nicht Timoschenko an der Reihe, die Ukraine zu regieren. Neuer Staatschef solle jemand werden, gegen den es keinen Korruptionsverdacht gebe, fordert der Journalist. Er meint damit in erster Linie ihre Vergangenheit als millionenschwere Leiterin des Gasmonopolisten "Die Vereinigten Energiesysteme der Ukraine" in den 1990er Jahren. "Maidan hat tausende Anführer geboren, die nicht schlechter als Timoschenko regieren werden", schreibt Leschtschenko. Es sei ihr Sieg.
Timoschenkos rechte Hand wird Interimspräsident
Diese Meinung ist immer häufiger zu hören. "Liebe Julia Timoschenko! Wir haben nicht für Sie auf dem Maidan demonstriert und auch nicht für Ihren Stellvertreter Alexander Turtschinow", schreibt eine Aktivistin auf Facebook. "Und nicht für Sie sind Menschen auf den Barrikaden gestorben." Turtschinow wurde Ende Februar vom Parlament in Kiew zum amtierenden Präsidenten der Ukraine gewählt. Zuvor wurde er neuer Parlamentspräsident. Mit diesen beiden Posten ist Turtschinow, der als Timoschenkos rechte Hand gilt, zum mächtigsten Mann im Staat aufgestiegen.
Keine Galionsfigur mehr
Timoschenkos Rückkehr in die Politik berge Konfliktpotenzial, meinen viele Beobachter in Kiew. Die Fotos der Frau mit dem markanten Haarkranz waren zwar seit Beginn der Proteste auf dem Maidan sichtbar, doch die Forderung nach ihrer Freilassung stand nie im Vordergrund. Weder der umstrittene Prozess gegen die Oppositionsführerin, noch ihre Verurteilung im Herbst 2011 haben zuvor die Massen mobilisiert. Nur einige hundert Anhänger demonstrierten. Es schien, als sei der Westen besorgter über Timoschenkos Schicksal als ihre Landsleute. Viele Ukrainer geben Timoschenko Mitschuld am Scheitern der sogenannten "Orangenen Revolution" im Jahr 2004, bei der Timoschenko eine der Galionsfiguren war. Unvergessen ist auch, dass sie 2009 offenbar mit Janukowitsch im Parlament paktieren wollte, um die Verfassung zu ändern. Dazu kam es nicht, weil sich Janukowitsch am Ende dagegen entschieden hatte.
Konfliktpotenzial mit Klitschko
Streit droht auch zwischen Timoschenko und Vitali Klitschko. Das Verhältnis zwischen den beiden Oppositionspolitikern ist seit Jahren angespannt. Als Klitschko 2008 Bürgermeister in der Hauptstadt Kiew werden wollte, verweigerte ihm Timoschenko ihre Unterstützung und schickte ihren Stellvertreter Turtschinow ins Rennen. Beide verloren. Auch Klitschko hat Präsidentschaftsambitionen und hat ebenfalls seine Kandidatur angekündigt. Anders als Timoschenko, die im Gefängnis saß, engagierte sich Klitschko auf den Barrikaden und versuchte, Blutvergießen zu verhindern. Nun dürfte er sich übergangen fühlen.
In aktuellen Umfragen zur Präsidentschaftswahl liegen Timoschenko und Vitali Klitschko gleichauf auf Platz zwei, aber abgeschlagen hinter dem Milliardär Pjotr Poroschenko.