Tiergarten-Mord: Gedämpfter Zorn
6. Dezember 2019103 Tage hat Manana T. warten müssen. Bereits am 23. August wurde ihr Ex-Mann, der Georgier Zelimkhan Khangoshvili - auch bekannt als Tornike K. - im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit ermordet. Schnell wiesen alle Indizien nach Russland, wo Khangoshvili wegen des Kampfs gegen das russische Militär im Kaukasus als Terrorist und Staatsfeind galt. Doch erst in dieser Woche, 103 Tage nach der Tat, zog der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich. Er sieht nun genug Anhaltspunkte dafür, dass "staatliche Stellen" in Russland oder im Moskau-treuen Tschetschenien hinter der Tat stecken.
"Ehrlich gesagt war ich schon verzweifelt", sagt T., die ihren vollen Namen nicht nennen möchte, der DW. "Ich dachte, dass dieser Fall vergessen wird." Direkt nach dem Mord hatte die Polizei einen flüchtenden Mann festgenommen. Der Tatverdächtige kommt aus Russland und sitzt in Untersuchungshaft. Aber hat er auch im Auftrag staatlicher Stellen gehandelt? Die russischen Behörden jedenfalls schienen nicht an Aufklärung interessiert, "trotz wiederholter hochrangiger und nachdrücklicher Aufforderungen", wie das Auswärtige Amt mitteilt.
"Hilflos" in Berlin
Die Bundesregierung hat deshalb am Mittwoch zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt. "Das heißt für mich, die Dinge nehmen nun ihren richtigen Lauf", sagt T.. "Ich dachte, wegen so eines einfachen Mannes will Deutschland nicht seine Beziehungen zu Russland riskieren."
Aber riskiert Berlin wirklich etwas mit der Ausweisung zweier russischer Botschaftsmitarbeiter? "Hilflos" nennt der Osteuropa-Sprecher der Grünen im Bundestag, Manuel Sarrazin, das Handeln der Bundesregierung. "Angesichts des Personalbestandes an der russischen Botschaft in Berlin ist das eher ein Tropfen auf den heißen Stein." Moskau habe solche Maßnahmen bewusst einkalkuliert, so Sarrazin im Gespräch mit der DW. "Sie werden sicherlich nicht dazu führen, dass in Moskau jetzt irgendjemand sagt: So etwas werden wir nicht mehr machen."
Englische Härte
Warum also reagiert die Bundesregierung nicht härter? So, wie die britische Regierung nach dem Mord an Sergej Skripal in Salisbury im März 2018? London hatte 23 russische Diplomaten ausgewiesen und seine Verbündeten darum gebeten, es ihr gleich zu tun. Londons Partner in EU und NATO wiesen mehr als 100 russische Diplomaten aus. Damals habe die britische Regierung sehr schnell und sehr aggressiv gehandelt, sagt der britische Historiker Mark Galeotti der DW. "Das hat Moskau stark getroffen. Der Kreml hat damit nicht gerechnet. Aber so etwas haben wir im Berliner Fall bisher nicht gesehen."
Die Bundesregierung agiere sehr viel vorsichtiger, so Galeotti. "Nachdem Deutschland nun entschlossen ist, einige Russen auszuweisen, wird es interessant sein zu beobachten, ob es auch versuchen wird, andere Staaten von einem solchen Schritt zu überzeugen." Nach Informationen der DW hat sich die Bundesregierung bislang nicht darum bemüht, EU- oder NATO-Partner zu Solidaritäts-Maßnahmen wie der Ausweisung russischer Diplomaten zu bewegen. Fragt man, warum Deutschland bislang eher zurückhaltend reagiert, dann heißt es, dass man erst die Ermittlungsergebnisse im Mordfall abwarten muss. Diese Linie bekräftigte Kanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit dem kasachischen Präsidenten Kassym-Shomart Tokajew am Donnerstag.
Erst mal in den Élysée
Auch Deutschland hatte auf Bitten Londons im März 2018 vier russische Botschaftsmitarbeiter nach Hause geschickt. "Die Fakten und Indizien weisen nach Russland. Es ist klar, dass dieser Anschlag nicht ohne Folgen bleiben kann", sagte Außenminister Heiko Maas damals. Endgültige Ermittlungsergebnisse gab es da noch nicht.
"Zurzeit ist mein Eindruck, dass Deutschland nicht eskalieren will", sagt der Historiker Galeotti dazu. Er erwähnt die Gespräche zwischen Russlands Präsident Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Selenskyj, die am Montag in Paris stattfinden sollen. Es sind die ersten Verhandlungen auf höchster Ebene zwischen den Konfliktparteien seit drei Jahren. Frankreich und Deutschland sind als Vermittler dabei im sogenannten Normandie-Format. Der Gipfel könnte die Chance bieten, den seit fast sieben Jahren andauernden Krieg in der Ostukraine zu beenden.
Wie du mir, so ich dir?
Bis nach Ende des Paris-Gipfels dürfte auch die russische Seite kein Interesse an einer weiteren Eskalation haben, sagt der Russland-Experte András Rácz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtigen Politik der DW. "Normalerweise reagiert Russland in solchen Fällen immer mit Vergeltungsmaßnahmen. Wenn russische Diplomaten irgendwo ausgewiesen werden, dann schickt Moskau die gleiche Anzahl Diplomaten aus dem jeweiligen Land nach Hause. Aber ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass Russland etwas in dieser Art vor dem Normandie-Meeting tun wird."
"Wir alle hoffen, dass am Montag etwas erreicht werden kann im Normandie-Format", sagt der Grünen-Politiker Sarrazin. Die Chance dafür sei gering, aber es sei richtig, dass der Gipfel nicht vom Fall Khangoshvili überschattet werde. Darum hat auch die ukrainische Seite gebeten. "Das heißt aber natürlich nicht, dass man deswegen in seiner Reaktion gegenüber Moskau auch nur ein Jota nachlassen darf."
Der politische Preis
Man müsse darüber nachdenken, ob die Zusammenarbeit mit Moskau, das "Appeasement à la Nord Stream 2" eigentlich zum Verhalten des Kreml passe. "Wir müssen uns bewusst sein, dass solche Vorgänge ein Zeichen an alle Menschen auf der ganzen Welt sind, die Putin kritisieren, dass sie auch in unserem Rechtsstaat nicht sicher sind. Sollte es tatsächlich von Moskau gesteuert worden sein, dann muss dieses Vorgehen einen politischen Preis haben."
Kommt der Generalbundesanwalt zum Schluss, dass es sich um einen Mord im Auftrag des Kremls gehandelt hat, dann wird die Bundesregierung auf jeden Fall handeln müssen. "Weitere Schritte in dieser Angelegenheit behält sich die Bundesregierung im Licht der Ermittlungen vor", heißt es in einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes. Davon allerdings scheint man in Berlin noch weit entfernt.