Tiefe Rezessionsfurcht erfasst Wirtschaft
2. November 2022Die deutschen Firmen rechnen fest mit einer Rezession und stellen sich auf ein wirtschaftlich düsteres Jahr 2023 ein. "Die Unternehmen befürchten, dass das Schlimmste noch kommt", erklärte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben zu einer Konjunkturumfrage unter mehr als 24.000 Betrieben. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise gelten als Hauptrisiko. Sie setzen auch den Exporteuren bereits zu: Die Ausfuhren schrumpften im September überraschend um 0,5 Prozent zum Vormonat auf 134,5 Milliarden Euro.
Nach Einschätzung des Branchenverbands BGA werden die Exporteure von zwei Seiten in die Zange genommen: "Die hohen Energiekosten lassen Preise deutscher Waren steigen, was den Absatz im Ausland erschwert." Gleichzeitig setze den deutschen Unternehmen die anhaltende Inflation zu, die den Einkauf von Waren im Ausland verteuere.
Laut DIHK treibt die Wirtschaft auch die Sorge vor steigenden Arbeitskosten bei einer Preis-Lohn-Spirale im Zuge der ausufernden Inflation um. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befürchtet für 2023 nun einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um rund drei Prozent. Er ist damit weit pessimistischer als die Bundesregierung, die nur ein Minus von 0,4 Prozent prognostiziert.
Doch die DIHK-Umfrage zeugt von großem Pessimismus in der Wirtschaft. Mehr als die Hälfte der Unternehmen geht laut DIHK von schlechteren eigenen Geschäften in den nächsten zwölf Monaten aus. Nur noch acht Prozent rechnen mit Besserung. Dies ist laut DIHK ein historisch schlechter Wert. Selbst in den Zeiten von Corona und der Finanzmarktkrise habe der Anteil der Optimisten höher gelegen.
Enorme Verunsicherung
"Was wir erleben, ist eine enorme Verunsicherung", erklärte Ilja Nothnagel, Mitglied der DIHK-Hauptgeschäftsführung. Zwar könnten die geplante Strom- und Gaspreisbremse stabilisierend wirken. "Doch wir sehen ein sehr, sehr düsteres Bild für die nächsten Monate und auch für den Einstieg ins nächste Jahr." Angesichts der Energiekrise stelle sich die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit. Die Unternehmen zahlten hierzulande drei Mal so viel für Strom wie im Nachbarland Frankreich und sogar fünf Mal so viel wie in den USA. In der chemischen Industrie sieht sich laut Umfrage mehr als jeder vierte Betrieb zu Drosselungen gezwungen, in der Gummi- und Kunststoffindustrie mehr als jeder fünfte. Auch in der Automobilindustrie verringern 16 Prozent der Unternehmen - und damit jeder sechste Betrieb - ihre Produktion. Etwa 17 Prozent der Automobilfirmen planten wegen der hohen Energiepreise, Produktion ins Ausland zu verlagern.
Industrie-Abschwung beschleunigt sich
Die deutschen Maschinenbauer haben dank einer anziehenden Nachfrage aus dem Ausland im September unterdessen ihren Auftragseingang gesteigert. Die Bestellungen sind gegenüber dem Vorjahresmonat um fünf Prozent höher ausgefallen, wie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) mitteilte. Das Wachstum gehe allein auf die Auslandsorders zurück, die um acht Prozent zulegten. Daraus sollte jedoch nicht vorschnell der Beginn eines neuen Wachstumstrends gefolgert werden – dazu seien die globalen wirtschaftlichen Belastungen zu hoch, warnte VDMA-Chefvolkswirt Ralph Wiechers.
Laut dem S&P Global-Einkaufsmanagerindex beschleunigte sich der Abschwung in der deutschen Industrie im Oktober. Demnach schrumpfte die Produktion so deutlich wie seit Mai 2020 nicht mehr und auch die Neuaufträge gingen abermals stärker zurück als zuletzt. Mit Blick auf die Zukunft zeigten sich die meisten Hersteller noch pessimistischer als im Vormonat hinsichtlich ihrer Produktionsniveaus. Demnach sackte der entsprechende Index auf den tiefsten Stand seit Ausbruch der Pandemie ab. Viele Befragte machten dafür die anhaltend hohe Inflation, die explodierenden Energiepreise, die steigenden Zinsen sowie die mutmaßlich einsetzende Rezession verantwortlich.
Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben die deutsche Wirtschaft konjunkturell sowie strukturell weit zurückgeworfen. Das Kölner IW-Institut hat in einer Studie die Kosten geschätzt. "Würden diese beiden unheilvollen Ereignisse das Wirtschaftsleben nicht beeinträchtigen, dann wäre die Wertschöpfung in Deutschland in den Jahren 2020 bis 2022 um insgesamt 420 Milliarden Euro höher ausgefallen." Hohe Staatsausgaben wirkten diesen Verlusten zwar entgegen, beim privaten Konsum waren durch Lockdowns und inflationsbedingte Kaufkraftverluste jedoch Einbußen von rund 400 Milliarden Euro zu verzeichnen. "In den drei Krisenjahren kamen Investitionen von 125 Milliarden Euro nicht zustande, was dauerhaft den Wohlstand belastet."