"Tiefe Reue" ohne neue Entschuldigung
14. August 2015Am Vorabend des 70. Jahrestags des Kriegsendes in Asien hat sich Japans Regierung dazu bekannt, dass die Nation im Zweiten Weltkrieg "unschuldigen Menschen unermesslichen Schaden und unermessliches Leid" angetan hat. Konkret erwähnte Japans Premier Shinzo Abe Korea, China, Taiwan, Indonesien und Philippinen. "Ich verneige mich tief vor den Seelen aller, die zu Hause und im Ausland zugrunde gingen", sagte Abe bei seiner live ausgestrahlten Gedenkrede. "Ich bekunde meine Gefühle von tiefer Trauer und ewiger, inniger Anteilnahme."
Der nationalkonservative Regierungschef entschuldigte sich jedoch nicht selbst. Japan habe wiederholt seine "tiefe Reue" und "aufrichtige Entschuldigung" für seine Kriegshandlungen ausgedrückt, sagte Abe lediglich. Sein Kabinett stehe hinter diesen Aussagen, betonte er anschließend. Von einer "Aggression" Japans wollte er nicht explizit sprechen.
Mit den ausgewogenen Formulierungen versuchte der Premier die Erwartungen der USA und der Nachbarländer, die eine Bestätigung früherer Entschuldigungen verlangten und die Wünsche von nationalistischen Unterstützern zu berücksichtigen. Diese Revisionisten wollen Japans "nationale Ehre" wiederherstellen und auf die "masochistischen" Entschuldigungen verzichten. Entsprechend hob Abe hervor, die nächsten Generationen in Japan seien nicht dazu vorherbestimmt, sich zu entschuldigen. Die Kontroverse um die Zwangsprostituierten in japanischen Soldatenbordellen umschiffte er mit der allgemeinen Aussage, Frauen hätten Leiden und Ehrverlust erlebt. Die passive Formulierung verbirgt die Mitverantwortung der japanischen Armee bei der Versklavung der Frauen. Andererseits gestand Abe "Fehler" von Japan ein, die es niemals vergessen und wiederholen dürfe.
Druck von Bündnispartner USA
Nach Ansicht von Beobachtern dürfte Japans Bündnispartner USA hinter den Kulissen großen Druck auf Abe ausgeübt haben, die Nachbarländer in Asien nicht erneut zu provozieren. Abe hatte im Dezember 2013 den Yasukuni-Schrein besucht, der auch eine Vielzahl von verurteilten Kriegsverbrecher ehrt, und sich dafür offene Kritik aus Washington eingehandelt. Noch am Montag hatte Abe die US-Botschafterin Caroline Kennedy in Tokio getroffen.
Der 60-jährige Abe ist der Enkel des früheren Kriegskabinett-Ministers und späteren Premierministers Nobusuke Kishi. Abes Großvater hatte 1960 gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit die Sicherheitsallianz mit den USA durchgesetzt, um Japans Souveränität zu vergrößern und das Militär zu stärken.
Nach diesem Vorbild interpretiert Abe gerade die pazifistische Verfassung neu und will den Streitkräften das Recht auf kollektive Selbstverteidigung geben. Sie sollen künftig schon zusammen mit Verbündeten kämpfen können, wenn Japans Sicherheit bedroht ist. Die USA befürworten dies, aber in den heimischen Umfragen ist Abe abgestürzt. Daher sei der Premier darauf angewiesen, dass die Nachbarländer seine neue Militärpolitik duldeten, meinte der deutsche Politologe Sebastian Maslow von der Tohoku-Universität in Sendai. "In dieser Situation konnte er sich eine neue Provokation von China und Südkorea nicht leisten", sagte Maslow der Deutschen Welle. Tatsächlich erklärte der Regierungschef nach seiner Rede, er sei sich der Gefühle Chinas bewusst und erhoffe sich ein Gipfeltreffen mit Chinas Präsident Xi Jinping.
Zurückhaltung von China und Südkorea
China und Südkorea haben sich in den vergangenen Monaten mit Kommentaren zu Abes Sicherheitsgesetzen stark zurückgehalten. Als Grund vermuten Beobachter vor allem wirtschaftliche Motive. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft hat sich verlangsamt. Auf japanische Investitionen ist China zwar nicht mehr richtig angewiesen, aber man ist stark an japanischer Technologie interessiert. Außerdem will Peking Japan als Mitglied der neuen Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gewinnen, die China initiiert hatte.
Auch Südkoreas Wirtschaft läuft seit einiger Zeit nicht mehr rund. Die Konglomerate leiden unter der starken Landeswährung Won. Dadurch können sie gegen japanische Rivalen auf dem Weltmarkt nicht mehr so aggressiv vorgehen. Angeblich gibt es nach japanischen Medienberichten heimliche Verhandlungen zwischen Tokio und Seoul, um den Streit um die Zwangsprostituierten beizulegen. Die magische Formel der Beziehungen von Japan und seinen direkten Nachbarn in Asien lautet seit Jahren: "Heiße Wirtschaft, kühle Politik". Dieser Phrase hat sogar eine eigene Wikipedia-Seite in Japan.
Kriegsverbrechen nie aufgearbeitet
Das "Internationale Militärtribunal für den Fernen Osten" der Alliierten hatte im April 1946 den japanischen Angeklagten "Massenmord, Vergewaltigung, Plünderung, Räuberei, Folter und andere barbarische Grausamkeiten" zur Last gelegt. Konkret ging es unter anderem um das Massaker von Nanjing 1937, den Todesmarsch von Bataan 1942 auf den Philippinen und die biomedizinischen Experimente der Armee-Einheit 731 an lebenden Gefangenen in China. Doch weder der Krieg selbst noch die Verbrechen der kaiserlichen Truppen wurden in Japan richtig aufgearbeitet. Der damalige Kaiser Hirohito, der 1989 starb, kam nicht auf die Anklagebank wie viele andere Offizielle des Militärregimes auch.
Erst 1993 entschuldigte sich Regierungssprecher Yohei Kono für die Versklavung von Zehntausenden Frauen in japanischen Soldatenbordellen. Eine Kommission hatte die Beteiligung der Armee an der Zwangsrekrutierung der Frauen festgestellt. Zwei Jahre später kam die bisher einzige offizielle Entschuldigung der japanischen Regierung. Der sozialistische Premierminister Tomiichi Murayama sagte, Japan habe enormen Schaden und enormes Leiden vor allem in asiatischen Ländern durch seine Kolonialherrschaft und Aggression verursacht. "Ich drücke hier noch einmal mein Gefühl der tiefen Reue aus und erkläre meine aufrichtige Entschuldigung." 2005 wiederholte Regierungschef Junichiro Koizumi die gleichen Formulierungen. Von diesem Ritual ist Abe nun abgewichen.