ThyssenKrupp bleibt dem Stahl doch treu
18. Februar 2021Die Odyssee der Stahlsparte von Thyssenkrupp geht weiter. Vielleicht ist sie nun aber auch zu Ende. Denn am Mittwochabend hat der traditionsreiche Industriekonzern bekannt gegeben, dass man die Gespräche mit Liberty Steel beendet habe. Die Briten wollten die Stahlsparte von Thyssenkrupp kaufen, dafür aber aus Sicht des Stahlkochers nicht genug auf den Tisch legen - zu hören war sogar von einem negativen Kaufpreis, sprich: Die Deutschen hätten Liberty Steel noch Geld geben müssen.
"Zum einen lagen die Vorstellungen zu der Bewertung des Geschäftes zu weit auseinander", sagte Finanzvorstand Klaus Keysberg. "Zum anderen standen Fragen zur Finanzierungsstruktur und damit Sicherheiten im Raum, für die wir am Ende keine gemeinsame Lösung gefunden haben."
Eine lange Geschichte der Partnersuche
Liberty hatte im Herbst eine erste unverbindliche Offerte für den Stahlbereich der Essener abgegeben. Seither liefen die Gespräche. Allerdings gab es schon seit einigen Wochen Anzeichen dafür, dass die Differenzen am Ende zu groß sein könnten. So hieß es unlängst aus der Firmenzentrale, man prüfe auch ein Herauslösen des Stahlbereichs, um einen eigenständigen Konzern daraus zu schmieden und an die Börse zu bringen, ein so genanntes Spin-Off. Möglich sei auch ein Betrieb in Eigenregie, unterstrich Thyssenkrupp nun aber auch wieder.
Damit wäre die Suche nach der Zukunft der Stahlsparte also wieder dort angekommen, wo sie begann. Denn bereits vor zwei Jahrzehnten wollte man den Stahlbereich als eigenständiges Unternehmen an die Börse bringen. Das scheiterte allerdings an einer zu schwachen Börsenbewertung im Jahr 2000, dem Jahr des Platzens der Dotcom-Blase. Dass dies dem Konzern zunächst nicht schaden sollte, zeigte sich einige Jahre später: Vor der großen Finanzkrise fuhr das Stahlgeschäft des Riesen aus dem Ruhrgebiet in Folge des weltweiten Stahlbooms einen Rekordgewinn von unter dem Strich 2,3 Milliarden Euro ein.
Das Amerika-Desaster
Es folgten große Investitionen in Süd- und Nordamerika im Volumen von mehr als 10 Milliarden Euro. Nur entwickelten die sich zum finanziellen Desaster. Im Geschäftsjahr 2011/2012 schreibt der Konzern Milliarden auf America Steel ab, Thyssenkrupp fährt einen horrenden Verlust von fast fünf Milliarden Euro ein und streicht erstmals die Dividende. Nach Abzug des Verkaufs der beiden Stahlwerke in Amerika ist die Zehn-Milliarden-Dollar-Investition zu einem acht Milliarden tiefen Verlustloch mutiert. Zur jüngeren Geschichte gehört dann auch der Versuch, die Stahlsparte mit der indischen Tata Steel zu verschmelzen. Das aber wird letztlich von den Wettbewerbshütern der EU-Kommission untersagt.
Mit der neuen Chefin Martina Merz, die das Ruder Ende 2019 übernahm, sucht Thyssenkrupp insgesamt nach einer geeigneten Strategie für den Industriekonzern. 2020 verkauft sie die Aufzugssparte an ein Konsortium von Finanzinvestoren für gut 17 Milliarden Euro. In Bezug auf die Stahlsparte ist dies nun vorerst nicht gelungen und wird vielleicht auch nicht mehr so dringend nötig sein. Denn zwischenzeitlich hat sich die Situation in der Stahlbranche entscheidend verändert.
Seit Jahren litt die europäische Stahlbranche unter steigendem Druck: Billigimporte aus Asien haben für heftige Konkurrenz gesorgt; die dadurch verursachten Überkapazitäten haben die Stahlpreise niedrig gehalten. Und durch die Coronakrise kam die Schwerindustrie im vergangenen Frühjahr zusätzlich in eine allgemeine Absatzflaute. In den vergangenen Monaten aber hat sich das geändert: Vor dem Hintergrund der wieder anziehenden weltweiten Konjunktur und der dadurch gestiegenen Stahlnachfrage haben die Stahlpreise vor allem in den vergangenen Wochen wieder stark zugelegt.
Höhere Nachfrage trifft auf reduzierte Kapazitäten
Denn die große Nachfrage trifft auf eine Industrie, die während der Krise erheblich Kapazitäten abbauen musste. So konnte auch die Kernsparte von Thyssenkrupp im ersten Geschäftsquartal des Jahres einen Gewinn von 22 Millionen Euro ausweisen. Im vergangenen Jahr schrieb sie noch einen Verlust von fast 144 Millionen Euro.
Neben der wieder angezogenen Autoproduktion habe sich eine gute Nachfrage in der Hausgeräte- und der Bauindustrie positiv bemerkbar gemacht. Zuletzt hat Thyssenkrupp rund 700 Millionen Dollar freigegeben, um die Stahlsparte mit Investitionen zu modernisieren. So soll die Sparte fit für künftige Anforderungen der Autoindustrie werden.
Im Gegenzug will der Konzern dann aber mehr Stellen streichen als bislang geplant. Im Zuge des bisherigen Konzernumbaus hat Thyssenkrupp bislang rund 3600 Stellen abgebaut. Insgesamt sollen 11.000 Stellen durch die Transformation und Modernisierung auf der Strecke bleiben. Ende Dezember arbeiteten noch rund 103.000 Beschäftigte im Konzern.
Die IG Metall begrüßte das Ende der Gespräche mit Liberty. "Es ist gut, dass in Sachen Liberty Steel Klarheit herrscht", sagte Knut Giesler, IG-Metall-Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen. "Wir erwarten vom Vorstand, dass er jetzt mit Hochdruck daran arbeitet, den Stahlbereich zukunftsfähig aufzustellen." Denn eine weitere Hängepartie sei den Beschäftigten nicht zuzumuten. Mit dem Ende der Gespräche und der Möglichkeit eines Verbleibes der Stahlsparte im Konzern könnte das sogar eintreten. Und eine lange Odyssee wäre - bis auf Weiteres - zu einem Ende gekommen. Liberty Steel will allerdings noch nicht aufgeben. "Wir halten uns die Tür offen."