Türkische Touristen: Traumziel Thessaloniki
4. September 2017Auf der Agios-Dimitrios-Straße in Thessaloniki steht eines der am besten gesicherten Gebäude der Stadt. Der pittoreske, pinkfarbene Altbau ist von massiven Metallwänden umgeben. Zu jeder Tages- und Nachtzeit stehen Polizisten mit Maschinengewehren vor dem Eingang. In diesem Gebäude befindet sich nicht nur das türkische Konsulat. Hier wurde 1880 Kemal Mustafa Atatürk geboren, der Begründer der modernen Türkei.
"Ich fühle mich hier zu Hause"
Diese Attraktion lockt jährlich Zehntausende von Touristen in Griechenlands zweitgrößte Stadt. Jeden Tag parken dort reihenweise Linienbusse, die interessierte Besucher aus dem Nachbarland zur Geburtsstätte ihres Nationalhelden bringen. Einer von ihnen ist Necat Altin. Die Familie des 51-jährigen Vizepräsidenten einer Istanbuler Textilfirma war während der Balkan-Kriege von Thessaloniki nach Aynalik geflohen, einer kleinen türkischen Küstenstadt direkt gegenüber der griechischen Insel Lesbos.
Er fühle sich zu Hause in Thessaloniki, sagt Altin. Und er habe seine beiden Töchter zum Geburtshaus von Kemal Atatürk gebracht, damit sie im Urlaub auch etwas lernen. "Ich denke nicht, dass es wirklich Spannungen gibt zwischen dem türkischen und dem griechischen Volk. Das ist einfach Politik und hat mit den Menschen nichts zu tun" , meint Altin. Die derzeitige Konfrontationspolitik Ankaras unterstütze er nicht - genauso wenig wie der 36-jährige Cengiz Erkonak aus Izmir. Auch ihm gehe es vor allem um eine Entspannung zwischen der Türkei und Griechenland.
"Der einzige Grund, dass nicht mehr Türken nach Griechenland kommen, sind die Visa-Bestimmungen. Wenn wir im Schengen-Raum ohne Visum reisen dürften, dann würde es noch viel mehr Tourismus geben", glaubt Erkonak. Er ist mit seiner Schwester nach Griechenland gereist. Izmir und Thessaloniki seien einander sehr ähnlich, schwärmt sie: "Alles erinnert mich an zu Hause. Das Essen, die Art der Menschen und der Verkehr." Den türkischen Präsidenten Erdogan vergleicht sie mit einem Diktatoren. Sie selbst habe keine Angst, sich frei zu äußern, doch viele hielten sich inzwischen mit politischen Aussagen zurück.
"In der Schule werden Feindbilder gezeichnet"
Die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind in einer Dauerkrise - das hat Tradition. Regelmäßig verletzen türkische Kampfflugzeuge den griechischen Luftraum. Ende 2016 ließ Ankara noch verlauten, die Lausanner Verträge von 1923 zu überdenken, mit denen die Türkei auf die Dodekanes-Inseln in der Nähe des türkischen Festlandes verzichtete. Und seit Präsident Erdogans Führungsstil nach dem gescheiterten Putschversuch vom Sommer 2016 offen autoritäre Züge trägt, ist auch das Verhältnis zu Europa angespannt.
Trotzdem kommen immer mehr türkische Touristen nach Thessaloniki: Allein zwischen Januar und Juni 2017 registrierte der Hotelverband der Stadt 39.286 Übernachtungen - ein Anstieg von fast fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. "Zahlenmäßig stehen die Touristen aus der Türkei in Thessaloniki an zweiter Stelle, nach den Zyprioten und vor den Deutschen", sagt Kostis Chantzaridis, Vorsitzender des örtlichen Tourismusverbandes. Dabei spiele nicht allein die geografische Nähe eine Rolle, sondern auch die gemeinsame Geschichte.
Bis 1913 war die nordgriechische Metropole Teil des Osmanischen Reiches. Nach dem griechisch-türkischen Krieg 1919-1922 wurde die osmanische Bevölkerung aus Griechenland in die Türkei zwangsumgesiedelt. Ebenso mussten über eine Million Griechen ihre türkische Heimat verlassen und sich in Griechenland niederlassen. Gerade bei den Griechen wiegt dieses Trauma schwer. "In der Schule redet man über die Türken vor allem als Besatzer. Da werden Feindbilder gezeichnet", erklärt Konstantinos Drakotis, Besitzer eines Souvenir-Ladens in unmittelbarer Nachbarschaft zum Atatürk-Haus. Die gelebte Realität aber sehe anders aus. "Der Kontakt mit den türkischen Besuchern ist überaus positiv. Wir haben viel gemeinsam und sie bringen Geld in die Stadt."
Griechenland als Zufluchtsort
Diese Meinung teilen längst nicht alle Menschen in Thessaloniki. Der öffentliche Diskurs ist stark geprägt von den Spannungen zwischen Athen und Ankara. Doch es sind vor allem die gebildeten, progressive Türken, die das Geburtshaus von Atatürk besuchen. Für sie ist er gerade heute ein Symbol für die moderne Republik und die Trennung von Staat und Religion. "Es ist ein bewegendes Gefühl, hier in seinem Geburtshaus zu stehen und Gegenstände aus seinem Leben zu betrachten", schwärmt Cengiz Erkonak. Auch er sieht Erdogans autoritären Regierungsstil und die Drohgebärden gegen Europa kritisch.
"Ich denke nicht, dass die Türkei Ansprüche erheben sollte auf griechische Inseln. Da hat sich jetzt griechisches Leben etabliert", meint Erkonak. So denken viele Besucher des Atatürk-Hauses. Die wenigsten aber wollen sich öffentlich äußern. Zu groß ist die Sorge vor möglichen Konsequenzen im Heimatland, wo man immer härter gegen Oppositionelle und Regierungskritiker vorgeht. So kommt es, dass Griechenland für viele Türken nicht nur zum Urlaubsziel, sondern auch zum Zufluchtsort wird.