Hermannstadt: Für zehn Tage die Theaterbühne Europas
4. Juli 2023Das Wunder der Kunst kann die Welt retten. Und wenn nicht retten, dann sie zumindest besser und schöner machen. Davon ist der Intendant des Internationalen Theaterfestivals in Hermannstadt (rumänisch: Sibiu), Constantin Chiriac, fest überzeugt. Und so lautete das Motto der inzwischen 30. Ausgabe des Festivals passenderweise "Wonder".
Auch das Festival selbst mutet bisweilen wie ein Wunder an: Namhafte Künstler und Kulturschaffende, Journalisten und Theaterkritiker, Diplomaten und Touristen aus aller Welt treffen sich im Herzen Rumäniens im beschaulichen Hermannstadt bei einem Festival, das an Größe und Bedeutung den Festspielen in Avignon und Edinburgh nahekommt. In diesem Jahr kamen an jedem der zehn Festivaltage über 90.000 Besucher, um sich die 825 Veranstaltungen mit 5000 Teilnehmern aus 81 Ländern anzuschauen.
Das Festival ging am Sonntagabend (02.07.2023) mit einer Drohnen- und Lasershow zu Ende. Sichtlich erleichtert erzählte Chiriac im Gespräch mit der DW, was sein Team und ihn angetrieben habe, diesen Kraftakt ein weiteres Mal zu bewältigen: "Genau das, was am Himmel über dem Theater mit Drohnen geschrieben stand: 'Hermannstadt, wir lieben dich!' Das sind keine leeren Worte. Mit vereinten Herzen setzen wir viele Emotionen, aber auch viel Energie frei."
Die ganze Altstadt als Bühne
Für zehn Tage herrscht jedes Jahr Ausnahmezustand in Hermannstadt. "Es ist auch sonst eine sehr lebendige Stadt, aber beim Festival spürt man noch mehr die Dynamik und Internationalität", berichtet Kerstin Ursula Jahn, deutsche Konsulin in Hermannstadt. "Es ist ein großes Miteinander."
Auch wenn bei dem Festival das Theater im Vordergrund stand, war es ein Fest der Künste. So konnten die Besucher in der Siebenbürgener Stadt auch Tanz- und Musikshows beiwohnen - von Klassik über Fado und Flamenco bis Rock. Daneben gab es Vorstellungen hochkarätiger Zirkusensembles, Straßenperformances, Konferenzen zu kulturellen, politischen und sozialen Themen, Buchpräsentationen, Ausstellungen und vieles mehr - für jede Altersgruppe und jeden Geschmack.
Über 80 Spielstätten gab es in Hermannstadt, auch unkonventionelle wie Kirchen. "Die ganze Altstadt wird zur offenen Bühne", hatte Oberbürgermeisterin Astrid Fodor bereits bei der Eröffnung versprochen.
Theater als Brücke zwischen verschiedenen Kulturen
In Hermannstadt entstand 1788 das erste Theater auf dem heutigen Gebiet Rumäniens. Es richtete sich an die dortige deutsche Bevölkerung. Obwohl inzwischen ein Großteil der deutschen Minderheit ausgewandert ist, gibt es weiterhin Inszenierungen in deutscher Sprache. Das Nationaltheater hat eigens eine deutsche Abteilung, geleitet von Hunor Horvath. Das Ensemble setzt sich aus Schauspielern aus Rumänien, Deutschland, Luxemburg, Österreich, Schweiz, Ungarn und Ecuador zusammen.
"Das Theater ist unter den Künsten, die mit Worten zu tun haben, der Ort, der sich am besten für kulturellen Austausch eignet", sagte Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Bukarest, bei einer Podiumsdiskussion über die Rolle des deutschen Theaters in multi-ethnischen Regionen wie Siebenbürgen.
Der Rattenfänger von Siebenbürgen
Immer wieder wurde während des Festivals die besondere Verbindung zwischen deutscher und rumänischer Kultur aufgrund der Siebenbürger Sachsen hervorgehoben. Die Siedler aus dem deutschen Reich zogen im 12. Jahrhundert auf Einladung des ungarischen Königs in die Region - ihr Einfluss ist bis heute spürbar. Das Stück "Herz eines Schreiners", inszeniert von der amerikanischen Dramatikerin und Regisseurin Sarah Brown, thematisierte genau diese Ansiedlung.
Und dann war da noch die Inszenierung des Märchens "Der Rattenfänger von Hameln". Der Legende nach befreite ein Rattenfänger die Stadt Hameln mit seiner Flöte von einer Rattenplage. Als ihm die Bewohner Hamelns jedoch den versprochenen Lohn verweigerten, setzte der Rattenfänger die Flöte abermals an - und lockte die Kinder der Stadt in eine Höhle. Was den meisten nicht mehr in Erinnerung geblieben ist: Die in Hameln entführten Kinder verließen die Höhle auch wieder - in Siebenbürgen.
Bekannte Erfolge, neue Partnerschaften, große Herausforderungen
Highlights des Festivals waren auch die vielen rumänischen Produktionen, etwa die international äußerst erfolgreiche Faust-Inszenierung des Nationaltheaters Hermannstadt, die seit ihrer Premiere vor 16 Jahren jedes Mal direkt ausverkauft ist, Thomas Bernhards "Theatermacher" vom Nationaltheater Bukarest und Peter Handkes "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" von der rumänischen Abteilung des Hermannstädter Theaters.
Das Programm des nächsten Theaterfestivals, das vom 21. bis zum 30. Juni 2024 stattfinden wird, stehe bereits zu etwa 80 Prozent, berichtet Festivalleiter Chiriac. "Es freut uns, dass sich viele interessante Partnerschaften abzeichnen. Doch stehen wir vor großen Herausforderungen: Wir haben einen Krieg quasi vor unserer Haustür. Und darüber hinaus wird 2024 ein wichtiges Wahljahr - für Europa und für Rumänien."