1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hermannstadt: Für zehn Tage die Theaterbühne Europas

4. Juli 2023

Ein opulentes Theaterfestival mit Tausenden von Besuchern, ausgerechnet in einer kleinen rumänischen Stadt: Verrückte Tage liegen hinter dem siebenbürgischen Hermannstadt.

https://p.dw.com/p/4TOVe
Ein Kind sitzt auf den Schultern eines Erwachsenen und schaut mit tausenden anderen Zuschauern auf eine beleuchtete Openair-Bühne beim 30. Internationalen Theaterfestival in Sibiu, Hermannstadt
Zuschauer bei einer Open-Air-Veranstaltung in der Hermannstädter AltstadtBild: Medana Weident/DW

Das Wunder der Kunst kann die Welt retten. Und wenn nicht retten, dann sie zumindest besser und schöner machen. Davon ist der Intendant des Internationalen Theaterfestivals in Hermannstadt (rumänisch: Sibiu), Constantin Chiriac, fest überzeugt. Und so lautete das Motto der inzwischen 30. Ausgabe des Festivals passenderweise "Wonder".

Auch das Festival selbst mutet bisweilen wie ein Wunder an: Namhafte Künstler und Kulturschaffende, Journalisten und Theaterkritiker, Diplomaten und Touristen aus aller Welt treffen sich im Herzen Rumäniens im beschaulichen Hermannstadt bei einem Festival, das an Größe und Bedeutung den Festspielen in Avignon und Edinburgh nahekommt. In diesem Jahr kamen an jedem der zehn Festivaltage über 90.000 Besucher, um sich die 825 Veranstaltungen mit 5000 Teilnehmern aus 81 Ländern anzuschauen. 

Das Festival ging am Sonntagabend (02.07.2023) mit einer Drohnen- und Lasershow zu Ende. Sichtlich erleichtert erzählte Chiriac im Gespräch mit der DW, was sein Team und ihn angetrieben habe, diesen Kraftakt ein weiteres Mal zu bewältigen: "Genau das, was am Himmel über dem Theater mit Drohnen geschrieben stand: 'Hermannstadt, wir lieben dich!' Das sind keine leeren Worte. Mit vereinten Herzen setzen wir viele Emotionen, aber auch viel Energie frei."

Bild von Drohneninszenierung, mit rumänischem Schriftzug
Drohneninszenierung zum Abschluss des Festivals: "Sibiu, te iubim", auf Deutsch: Hermannstadt, wir lieben dich!Bild: Medana Weident/DW

Die ganze Altstadt als Bühne

Für zehn Tage herrscht jedes Jahr Ausnahmezustand in Hermannstadt. "Es ist auch sonst eine sehr lebendige Stadt, aber beim Festival spürt man noch mehr die Dynamik und Internationalität", berichtet Kerstin Ursula Jahn, deutsche Konsulin in Hermannstadt. "Es ist ein großes Miteinander."

Auch wenn bei dem Festival das Theater im Vordergrund stand, war es ein Fest der Künste. So konnten die Besucher in der Siebenbürgener Stadt auch Tanz- und Musikshows beiwohnen - von Klassik über Fado und Flamenco bis Rock. Daneben gab es Vorstellungen hochkarätiger Zirkusensembles, Straßenperformances, Konferenzen zu kulturellen, politischen und sozialen Themen, Buchpräsentationen, Ausstellungen und vieles mehr - für jede Altersgruppe und jeden Geschmack.

Zwei Musiker spielen in einer Kirche während eine Frau in einem pinken Kleid dazu singt. Das Konzert ist Teil des Programms des Theaterfestivals Hermannstadt
Das Fadokonzert in der Katholischen Kirche Hermannstadt als Teil des TheaterfestivalsBild: Medana Weident/DW

Über 80 Spielstätten gab es in Hermannstadt, auch unkonventionelle wie Kirchen. "Die ganze Altstadt wird zur offenen Bühne", hatte Oberbürgermeisterin Astrid Fodor bereits bei der Eröffnung versprochen.

Theater als Brücke zwischen verschiedenen Kulturen

In Hermannstadt entstand 1788 das erste Theater auf dem heutigen Gebiet Rumäniens. Es richtete sich an die dortige deutsche Bevölkerung. Obwohl inzwischen ein Großteil der deutschen Minderheit ausgewandert ist, gibt es weiterhin Inszenierungen in deutscher Sprache. Das Nationaltheater hat eigens eine deutsche Abteilung, geleitet von Hunor Horvath. Das Ensemble setzt sich aus Schauspielern aus Rumänien, Deutschland, Luxemburg, Österreich, Schweiz, Ungarn und Ecuador zusammen.

Inszenierung von Hunor Horvarths Stück "Die Zofen" von Jean Genet
Eine Szene aus dem von Hunor Horvarth und der deutschen Abteilung des Nationaltheaters inszenierten Stück "Die Zofen" von Jean GenetBild: Dragos Dumitru

"Das Theater ist unter den Künsten, die mit Worten zu tun haben, der Ort, der sich am besten für kulturellen Austausch eignet", sagte Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Bukarest, bei einer Podiumsdiskussion über die Rolle des deutschen Theaters in multi-ethnischen Regionen wie Siebenbürgen.

Ein gold angemalter Mann steht auf einer blau-goldenen Bühne während des Internationalen Theaterfestivals FITS in Sibiu
Die Inszenierung des Theaterstücks "Dorian Gray" vom Burgtheater Wien auf der Bühne des Hermannstädter TheatersBild: Medana Weident/DW

Der Rattenfänger von Siebenbürgen

Immer wieder wurde während des Festivals die besondere Verbindung zwischen deutscher und rumänischer Kultur aufgrund der Siebenbürger Sachsen hervorgehoben. Die Siedler aus dem deutschen Reich zogen im 12. Jahrhundert auf Einladung des ungarischen Königs in die Region - ihr Einfluss ist bis heute spürbar. Das Stück "Herz eines Schreiners", inszeniert von der amerikanischen Dramatikerin und Regisseurin Sarah Brown, thematisierte genau diese Ansiedlung.

Und dann war da noch die Inszenierung des Märchens "Der Rattenfänger von Hameln". Der Legende nach befreite ein Rattenfänger die Stadt Hameln mit seiner Flöte von einer Rattenplage. Als ihm die Bewohner Hamelns jedoch den versprochenen Lohn verweigerten, setzte der Rattenfänger die Flöte abermals an - und lockte die Kinder der Stadt in eine Höhle. Was den meisten nicht mehr in Erinnerung geblieben ist: Die in Hameln entführten Kinder verließen die Höhle auch wieder - in Siebenbürgen.

Ein Kind sitzt auf den Schultern eines Mannes und beobachtet ein rot angestrahltes Gebäude während des Internationalen Theaterfestivals in Sibiu
Openair-Lichterinszenierung am Großen Ring in HermannstadtBild: Medana Weident/DW

Bekannte Erfolge, neue Partnerschaften, große Herausforderungen

Highlights des Festivals waren auch die vielen rumänischen Produktionen, etwa die international äußerst erfolgreiche Faust-Inszenierung des Nationaltheaters Hermannstadt, die seit ihrer Premiere vor 16 Jahren jedes Mal direkt ausverkauft ist, Thomas Bernhards "Theatermacher" vom Nationaltheater Bukarest und Peter Handkes "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten" von der rumänischen Abteilung des Hermannstädter Theaters.

Das Programm des nächsten Theaterfestivals, das vom 21. bis zum 30. Juni 2024 stattfinden wird, stehe bereits zu etwa 80 Prozent, berichtet Festivalleiter Chiriac. "Es freut uns, dass sich viele interessante Partnerschaften abzeichnen. Doch stehen wir vor großen Herausforderungen: Wir haben einen Krieg quasi vor unserer Haustür. Und darüber hinaus wird 2024 ein wichtiges Wahljahr - für Europa und für Rumänien."

Porträt einer Frau mit schwarzen Haaren
Medana Weident Autorin, Reporterin, Redakteurin, vor allem für DW Rumänisch