"The Mystery of Banksy": Hommage ohne Originale
6. November 2023Banksy - den kennt sogar der letzte Kunstmuffel. Der Mann, dessen Anonymität ein Markenzeichen ist, gilt als Urheber der wohl berühmtesten Graffitis aller Zeiten: die knutschenden Polizisten, der vermummte Typ, der einen Blumenstrauß statt Molotov-Cocktail schleudert, oder das kleine Mädchen mit dem davonfliegenden roten Luftballon.
Mit seinen spektakulären Aktionen, wie etwa dem eigenhändigen Schreddern eines gerade für teures Geld verkauften Werkes bei einer Auktion, machte sich Banksy einen Namen als Robin Hood der Kunstwelt, als kritisch denkender Freigeist und Witzbold zugleich.
Banksy-Shows: "Kehricht vom Boden des Ateliers"?
Ein Werk von Banksy nicht auf einem Poster oder auf dem Instagram-Account des Künstlers, sondern in freier Wildbahn zu erleben, ist aber kein einfaches Unterfangen. Streetart lebt eben nicht lange, das liegt in der Natur dieser Kunstform.
Um sich ein Bild vom gesamten Œuvre des umtriebigen Künstlers zu verschaffen, müsste man auch fast die ganze Welt bereisen. Laut Expertinnen und Experten war Banksy in den letzten zwei Jahrzehnten in mindestens 20 Ländern aktiv. Und zwar nicht nur in seiner Heimatstadt Bristol oder in London, sondern auch in schwer erreichbaren Ecken der Welt: etwa in Bethlehem und an der Grenze zum Gaza-Streifen, wo Banksy seit 2015 sprayt und seit 2017 ein Hotel an der Sperrmauer betreibt. Oder in den zerstörten Vororten von Kiew, um die Kriegsruinen für seine aussagestarken Solidaritätsbekundungen zu nutzen.
Man kann es sich auch etwas einfacher machen und in eine Banksy-Ausstellung gehen. Mit steigendem Ruhm des Künstlers mehrten sich auch die Versuche, Banksy in Museumsräume zu bringen. Eine Ausstellung hat Banksy sogar autorisiert - sie lief im Sommer in Glasgow unter dem Titel "Cut & Run" und zeigte vor allem Schablonen, mit denen der Künstler seine Werke sprayt. "Während die nicht autorisierten Banksy-Shows vielleicht so aussehen wie der Kehricht vom Boden meines Ateliers, ist 'Cut & Run' der tatsächliche Kehricht vom Boden meines Ateliers", sagte Banksy.
Banksy: ein Star für die Massen
Nach dieser Logik bekommen die Besucherinnen und Besucher der nicht autorisierten Schau mit dem Titel "The Mystery of Banksy. A genius mind" nun also den "Atelier-Kehricht" zu sehen. Das mindert aber nicht die Popularität der Wanderausstellung, die bereits seit 2021 durch Europa tourt und derzeit parallel in Stockholm, Hannover und Köln gezeigt wird. Köln, wo die Schau seit dem 3. November zu sehen ist, ist die bereits zwanzigste Station von "The mystery of Banksy. A genius mind".
Nach Angaben des Veranstalters, der üblicherweise Popgrößen wie David Garrett über die Bühnen des Landes schickt, oder neumodische "immersive Ausstellungen" über Tutanchamun oder Salvador Dalí organisiert, haben sich bereits über zwei Millionen Menschen die Banksy-Schau angesehen, in Köln wurden allein am Eröffnungswochenende 15.000 Karten in kürzester Zeit verkauft.
Untergekommen ist die Kölner Ausstellung in einem ungenutzten Autohaus, in Hannover läuft sie in einem geschlossenen Supermarkt und trägt damit auch zur Belebung der Innenstadt bei. "Viele Besucher nehmen Anreisezeiten von mehreren Stunden in Kauf, um eine Banksy-Ausstellung zu sehen", sagt Virginia Jean stolz. Die aus England stammende Wahlberlinerin ist Kuratorin der Ausstellung. Und das, obwohl die Ausstellung kein einziges Banksy-Original präsentiert.
"Wir verzichten ganz bewusst auf Originale und unterstreichen das auch", sagt Virginia Jean. "Wir verstehen unser Projekt nicht als Banksy-Ausstellung, sondern als eine Hommage an diesen Künstler." In nur zehn Tagen habe ein dreißigköpfiges Team, darunter nicht nur Messebauer und Elektriker, sondern auch sechs Profis aus der Sprayer-Szene, die Ausstellung in den leeren Raum hineingezimmert. Ein Meisterwerk für sich.
Für knapp zwanzig Euro Eintritt bekommt das Auge einiges geboten: Fast 200 Werke, ob Graffitis, Skulpturen, Videos oder ganze Installationen sind auf knapp 400 Quadratmetern zu sehen.
In fünfzehn Räumen werden die spektakulärsten Interventionen von Banksy nachgestellt, etwa "The elephant in the room". Das mit Tapetenmuster verzierte Tier stand einmal mitten in einer Galerie in Los Angeles, in einem nachgebauten Wohnzimmer im 1950er-Jahre Look und wies auf Armut und Ungerechtigkeit in der Welt hin. Bei der Eröffnung in Los Angeles war es ein echter Elefant im Raum, sowie eine echte Angelina Jolie und vielleicht sogar ein echter Banksy, man weiß es nicht.
In der Kölner Schau gibt es einen Raum, der das Atelier des Sprayers zeigen soll, und auch eine Figur im Hoodie sitzt am Tisch. Diese Szenerie ist wohl einem der Ausstellungsräume der autorisierten Schau in Glasgow abgekupfert. Es könnte also tatsächlich so aussehen bei Banksy.
Weiß Banksy Bescheid?
Was aber hält Banksy selbst von kommerziellen Projekten wie diesem? Ist es ihm egal? Ist er empört und kann nur nicht protestieren, weil er sonst seine Anonymität riskiert? Oder aber: Ist diese Art Jahrmarkt-Banksy-Show ein neuer Streich des genialen Künstlers?
Diesen Gedanken wollen die Veranstalter weder bestätigen noch widerlegen. Man stehe im Austausch mit dem Management der Marke "Banksy", so viel wird preisgegeben.
Ein Teil des Gewinns wird auch an die Banksy-Stiftung weitergeleitet, zur Finanzierung des Rettungsboots "MV Louise Michel" etwa. Die nach der französischen Anarchistin Michel benannte 30 Meter lange ehemalige Yacht rettet mit ihrer zehnköpfigen Besatzung seit 2020 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer.